Russlands Diplomatie und Israels Interessen

Mittelost Die jüngsten Militäraktionen sind kein Zeichen der Stärke, sondern der Schwäche. Es wäre ebenso gefährlich wie dumm, Tel Avivs strategische Interessen zu übergehen.

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Update zur weltpolitischen Lage, Teil I

Nach der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem und dem Massaker an palästinensischen Demonstranten am 14. Mai ist die weltweise Empörung groß. Berechtigterweise, keine Frage - doch die Aufregung über diese offenkundigen Skandale versperrt den Blick auf dahinterliegende Entwicklungen. Letztlich ist auch Israel ein Teil des geostrategischen Puzzles Mittlerer Osten, und refektieren die sichtbaren Ereignisse tiefergehende Umbrüche im regionalen Kräfteverhältnis.

Seit 2011 bemühen sich die Neocon-Strategen (d.h. nicht ‘die’ US-Außenpolitik oder ‘die’ Saudis), eine Eskalation zwischen den Regionalmächten rund um Syrien herbeizuführen. Ein größerer Krieg würde es ihnen ermöglichen, als lachender Dritter zuzusehen, wie sich die beteiligten Staaten in einem Abnutzungskrieg gegenseitig schwächen. Da mindestens eine Seite sie um Unterstützung bitten würde, wäre ihr Einfluss im Mittleren Osten gesichert - selbst bei einem (weitgehenden) Rückzug des US-Militärs. Früher hieß das ‘verbrannte Erde’, heute ließe sich eher von einer ‘Strategie der Spannung’ sprechen.

Anfangs sah es so aus, als könnte die ‘dschihadistische Internationale’ mit verdeckter westlicher und saudischer Unterstützung die syrische Regierung zu Fall bringen. Damit wäre die aufstrebende Mittelmacht Iran empfindlich geschwächt, ihre regionale Hegemonie bis auf Weiteres verhindert. Nach dem Eingreifen Moskaus im Herbst 2015 wurde erfolglos versucht, einen Krieg zwischen der Türkei und Russland herbeizuführen. Da sich auch Saudi-Arabien mit der absehbaren Niederlage abzufinden scheint, anstatt selbst militärisch einzugreifen, wird als letzte Regionalmacht jetzt Israel in Stellung gebracht.

Hauptsache Krieg - wer gegen wen ist egal

Die kalkulierte Eskalation in der Hoffnung auf eine Überreaktion der Gegenseite hat in Syrien System - auf beiden Seiten. Den Neocons scheint es nicht so wichtig zu sein, wer genau gegen wen in den Krieg zieht, solange es zu einer Konfrontation und verschärften Blockbildung zwischen USA und Europa auf der einen, Russland und Iran auf der anderen Seite führt. Ob Donald Trump dies versteht oder ob er lediglich ‘stark’ erscheinen und außenpolitisch punkten will, sei dahingestellt.

Glücklicherweise ist bisher kein Staat der Region bereit, sich zugunsten der Neocon-Geostrategie ‘verheizen zu lassen’. Ankara hatte ohne NATO-Unterstützung verständlicherweise wenig Interesse an einem Krieg und zog es vor, sich mit Moskau abzustimmen. Benjamin Netanjahu mag ein skrupelloser Nationalist sein, aber er ist keineswegs dumm. Mit der Regionalmacht Iran kann er sich militärisch anlegen, mit der Groß- bzw. Weltmacht Russland nicht. Können Russen und Europäer auch dieses Mal die Kuh vom Eis holen?

Ordnungsmacht und regionale Akteure - ein schwieriges Verhältnis

Seit einigen Jahren ist Moskau bemüht, sich im Mittleren Osten als neue Ordnungsmacht zu etablieren. Um damit Erfolg zu haben, muss es die Interessen aller regionalen Mächte berücksichtigen und bestmöglich austarieren. Dazu gehört auch, den eigenen Verbündeten Grenzen aufzuzeigen, etwa wenn diese Israel und die USA bewusst provozieren, um moderne russische Waffen geliefert zu bekommen.

Erdogans wichtigstes Ziel und ‘Rote Linie’ war und ist es, die Entstehung eines Kurdenstaats entlang der türkischen Südgrenze zu verhindern. Um dieses Minimalziel zu erreichen, hat er Moskaus Konditionen für den Einmarsch seiner Armee in Syrien akzeptiert. Analog zeigt sich heute, was Tel Avivs wichtigstes Minimalziel im Syrienkonflikt ist: Die Verhinderung einer dauerhaften iranischen Militär-Präsenz in dem Land, mit der Teheran dauerhaft strategische Tiefe gewinnen würde. Es ist anzunehmen, dass Netanjahu genau darüber mit Putin gesprochen hat bei seinem Besuch der großen Siegesparade am 9. Mai in Moskau.

Der russische Präsident ist offensichtlich der Einzige, der ihm bei der Erreichung dieses Ziels helfen kann - auch das eine Parallele zu Erdogan. Moskau kann und wird Druck auf Teheran und Damaskus ausüben, die iranischen Truppen schrittweise aus Syrien abzuziehen. Im Gegenzug erwarten diese, dass die US-Armee ebenfalls schrittweise abzieht, beginnend mit Manbij und al-Tanf. Mit ihrer Luftunterstützung und der geplanten Lieferung von S-300-Abwehrraketen verfügen die Russen über ausreichende Druckmittel, um etwaige syrische Bedenken ‘auszuräumen’ und den Israelis in dieser Angelegenheit entgegenzukommen. Damit kämen sie ihrem Ziel, die USA als regionale Ordnungsmacht abzulösen, einen großen Schritt näher.

Eine neue Realität, ein neuer Mittlerer Osten

Benjamin Netanjahu und seine Regierung werden sich daran gewöhnen müssen, dass die Zeit risikoloser Vergeltung bzw. Luftangriffe auf Nachbarstaaten vorbei ist. Dafür kann er den Abzug der iranischen Truppen aus dem Nachbarland als politischen Erfolg verbuchen, den die israelische Öffentlichkeit mit Sicherheit honorieren wird. Mittelfristig wird eine Friedenslösung mit den Nachbarstaaten auf der Grundlage eines neuen strategischen Gleichgewichts möglich. Es gibt in Tel Aviv genug weitsichtige und kompromissfähige Köpfe - und wer weiß, vielleicht ist der Hardliner Netanjahu ja genau der Mann, der die Israelis mit dieser neuen Realität versöhnen kann?

Für die Amerikaner kaschiert der ‘Erfolg’ des unilateralen Umzugs der Botschaft den zunehmenden Bedeutungsverlust in der Region. Die Europäer werden sich mit diesem Regelverstoß abfinden und könnten Washington auch öffentlich entgegenkommen, was dessen neuerliche Konfrontation mit Teheran angeht - vorausgesetzt der US-Rückzug aus Syrien leistet einen Beitrag zur Entspannung. Die einzige ausländische Macht, die das Land nicht verlassen muss, ist Russland. Über kurz oder lang führen alle Wege der Mittelost-Diplomatie nach Moskau.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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