Russlands neuer Reichtum

Export Sicher, das Land wird nicht ewig von Öl und Gas leben können. Aber mit seinem riesigen Territorium hat es noch etwas Anderes zu bieten - und das ist viel wertvoller.

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Es hat sich zu einem beliebten Spiel entwickelt, Russland mittelfristig den unweigerlichen Niedergang zu prophezeihen: Ökonomisch sei es viel zu sehr vom Öl- und Gasexport abhängig, und sobald deren Weltmarktpreise und schließlich klimabedingt auch die Nachfrage nachließen, werde der scheinbare Aufschwung der letzten Jahre sich in Luft auflösen und endgültig einem Absinken auf den Status eines Entwicklungslandes Platz machen. Zwar bemühe sich Moskau mindestens seit dem Amtsantritt Putins um eine Diversifizierung und Modernisie- rung seiner Wirtschaft, doch seien auch nach 15 Jahren keine Erfolge dieser Strategie feststellbar, die Abhängigkeit von Importen aus Europa und Asien sogar noch gewachsen.

Es kann durchaus angezweifelt werden, dass der anvisierte Umbau der Wirtschaft tatsächlich so erfolglos ist wie behauptet, was sich nicht nur an der Produktion modernster Waffen- systeme, sondern auch an Fortschritten im Bereich der Biotechnologie festmachen lässt, doch darum soll es hier nicht gehen. Denn die Untergangspropheten vergessen eine viel wichtigere Zukunftsressource, dank derer Russlands wirtschaft- liches Überleben langfristig gesichert sein dürfte: Ackerland.

Vom Öl- zum Agrarexporteur

Der Ölpreis ist innerhalb eines Jahres von über 100 auf etwa 40 Dollar gefallen, und es gilt als unwahrscheinlich, dass er in den nächsten Jahren wieder alte Höhen erreichen wird - wenn überhaupt jemals. Das ist für die russische Wirtschaft jedoch weniger dramatisch als es zunächst klingen mag, da der Rubel (wie jede Währung eines Rohstofflandes) parallel zum Ölpreisverfall abwertet und so zwar Importe deutlich teurer werden, der Exporterlös in Rubeln jedoch annähernd konstant bleibt und Staatsausgaben im Inland somit bezahlbar bleiben. Längerfristig wird jedoch der weltweite Verbrauch fossiler Brennstoffe aus Gründen des Klimaschutzes unweigerlich abnehmen, und damit auch die Möglichkeit, den Haushalt mit deren Verkauf zu bestreiten.

Doch gleichzeitig entsteht, ebenfalls aufgrund des Klima- wandels, aber verstärkt durch das anhaltende Wachstum der Weltbevölkerung und die Übernutzung der Böden in vielen Ländern, eine neue Knappheit: Immer mehr Staaten und Weltregionen können nicht mehr genug Lebensmittel produzieren, um ihre Bevölkerungen selbst zu ernähren, und sind somit auf Importe angewiesen. Was etwa China oder dem Mittleren Osten größte Kopfschmerzen verursacht und sie zum “land grabbing” vor allem in Afrika treibt, bedeutet für Russland eine riesige Chance.

Nahrungsmittel als strategischer Rohstoff

Schon heute hat dieses die drittgrößte landwirtschaftlich genutzte Fläche aller Staaten, und den vorherrschenden Modellen zufolge wird sich diese durch den Klimawandel noch deutlich vergrößern. Während steigende Temperaturen anderswo Wüstenbildung oder versalzende und überschwemm- te Küstenregionen bedeuten, dürften sie Russland ebenso wie Kanada eine Verschiebung der Ackerbaugrenze nach Norden bescheren. Die Prognosen dazu sind mit großen Unsicherheiten behaftet, und die drohende Zunahme von Extremwetter- ereignissen wie der Hitzewelle von 2010 aufgrund des Klimawandels darf ebenfalls nicht vergessen werden. Doch wenn sich diese beherrschen lassen und die Anpassung gelingt, ergibt sich daraus nicht nur eine ökonomische Langfristperspektive, sondern auch eine politisch-strategische: Denn Agrarprodukte sind einerseits ein lukratives Exportgut, andererseits aber auch eine unverzichtbare Ressource, die sich bei Bedarf als geostrategisches Machtinstrument einsetzen lässt.

In diesem Kontext interessant ist auch die Entscheidung der russischen Regierung vom letzten September, den Anbau gentechnisch veränderter Nahrungspflanzen zu verbieten: Mittelfristig eröffnet das die Chance, den der Gentechnik gegenüber kritisch eingestellten “anspruchsvollen europäischen Markt” zu beliefern. Längerfristig könnte dabei jedoch auch der Gedanke eine Rolle gespielt haben, sich so als Ausweichprodu- zent zu positionieren für den Fall, dass es in den stark auf genveränderte Nutzpflanzen setzenden Anbauregionen Nord- und Südamerikas sowie Chinas zu schwerwiegenden Problemen damit kommen sollte, also zu einem “Gen-GAU”. Denn trotz aller Labortests gibt es keine Garantie, dass tatsächlich schädliche Wechselwirkungen sowie eventuelle Langfrist-Folgen für Gesundheit und Ökosystem ausgeschlossen werden können, und einmal großflächig in die Natur entlassene Organismen lassen sich kaum wieder aus dieser entfernen.

Kornkammer mit Atomwaffen

Schon in der griechischen Antike galt die nördliche Schwarzmeerküste als fruchtbare “Kornkammer”, und der einträgliche Handel mit ihr war wohl der Hauptgrund für den Reichtum Trojas und damit auch den Trojanischen Krieg. Wer das heutige Russland despektierlich als “Tankstelle mit Atomwaffen” bezeichnet, sollte sich dies in Erinnerung rufen. Denn Öl mag zwar substituierbar sein - doch solange Getreide nicht im 3D-Drucker hergestellt werden kann, wird dieses als strategische Ressource immer wichtiger werden. Und der russischen “Kornkammer mit Atomwaffen” nicht nur Reichtum, sondern auch eine enorme Machtposition im geopolitischen Spiel der Kräfte verleihen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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