Aller Anfang ist leicht, oder: Von der Kunst, einen Krieg zu beenden

Ukraine Kein Krieg dauert ewig. Wenn die wesentlichen Akteure eine Chance sehen, Kernziele auf dem Verhandlungsweg zu erreichen, wird ein Ende der Kämpfe zumindest vorstellbar. Es wäre den Ukrainer:innen zu wünschen.

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“Es ist leichter, sich das Ende der Ukraine vorzustellen als ein Ende des Krieges.” - diese Abwandlung eines bekanntes Satzes beschreibt den Stand der Debatte recht treffend. Bisher ging es fast ausschließlich darum, wie Kiev mit Geld und immer neuen Waffenlieferungen unterstützt, Moskau dagegen mit immer neuen Sanktionen bestraft werden könne. Zumindest was die Diskussion in den westlichen Ländern angeht. Das öffentlich ausgegebene Ziel dabei: Die Ukraine solle in die Lage versetzt werden, den Krieg zu gewinnen.

Dass diese Strategie von vornherein zum Scheitern verurteilt war, wollte in den ersten Kriegsmonaten kaum jemand hören. Doch seit Anfang Juni scheint sich die Erkenntnis zunehmend durchzusetzen, und selbst die hartnäckigsten pro-ukrainischen Medien und Regierungen sprechen immer leiser vom erwarteten “Sieg über Russland”. Neben dem fehlenden militärischen Erfolg tragen dazu die hohen Kosten bei - und die Einsicht in die Endlichkeit der eigenen Arsenale.

Erreicht wurde mit den Waffenlieferungen lediglich eine Eskalationsspirale, die in der Ukraine für zig-tausende Tote und immer mehr zerstörte Städte gesorgt hat. Weltweit explodieren derweil die Energie- und Lebensmittelpreise; die sozialen und politischen Folgen sind noch gar nicht abzusehen. Ein militärischer Zusammenbruch der russischen Armee oder gar des “Systems Putin” ist dagegen nicht in Sicht. Ratlos stehen die Verantwortlichen in den NATO-Staaten vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik, der sich immer schwerer verbergen lässt.

Zeit für eine ehrliche Debatte - und für Verhandlungen?

Wer ein totes Pferd reitet, sollte ihm weder Hafer noch die Sporen geben, sondern absteigen. Vielleicht ist es an der Zeit, eine eigentlich selbstverständliche Frage zu stellen, die jedoch in der öffentlichen Diskussion bisher durch Abwesenheit glänzte: Wie kann der Krieg in der Ukraine beendet werden - welche Bedingungen müssen dafür erfüllt sein?

Kriege können aus drei Gründen enden: Weil eine Seite nicht mehr kämpfen kann und kapituliert, weil beide kriegsmüde sind und sich auf einen Kompromiss einlassen, oder weil von außen starker Druck auf die Kriegsparteien ausgeübt wird. Letzteres muss im Fall von Russland jedoch als aussichtslos angesehen werden. Als Optionen bleiben also ein langer Zermürbungskrieg, bis Kiev (oder Moskau - aber das ist unwahrscheinlicher) die Soldaten ausgehen - oder eben doch der “verhasste” Verhandlungsweg.

Dazu müssen die Gegner sich soweit respektieren, dass sie bereit sind, über Interessen und Ziele des Anderen indirekt, aber ernsthaft zu sprechen. Da beide noch in der Lage sind zu kämpfen, müssen sie einen Anreiz sehen, ein “vorzeitiges” Ende des Krieges auszuhandeln. Und um tatsächlich zu einer Einigung zu kommen, muss sichergestellt sein, dass die wesentlichen Akteure zumindest Kern- bzw. Minimalziele erreichen.

Wer sind die Hauptakteure - und was sind ihre Ziele?

Die Antwort auf diese Frage ist weniger offensichtlich, als es zunächst den Anschein haben mag. Die Ukraine ist zwar das Schlachtfeld und liefert “Menschenmaterial” für den Krieg, kann aber aufgrund ihrer völligen Abhängigkeit vom Westen nicht als maßgeblicher Akteur gelten. Tatsächlich ‘agieren’ hier zwei Kontrahenten: Russland und die NATO - und innerhalb letzterer zuvorderst Großbritannien.

Moskau will die Kontrolle über die Donbass-Region sowie eine Landbrücke zur Krim erlangen - mindestens. Ob darüber hinaus ein größeres Gebiet, gar die gesamte Ukraine erobert werden soll, ist umstritten, wird aber mit zunehmender Kriegsdauer wahrscheinlicher. Außerdem verlangt es, dass die (Rest-)Ukraine dauerhaft neutral bleibt und keine NATO-Waffen dort stationiert werden - allerdings ist unklar, wie glaubwürdige (aus russischer Sicht) Garantien dafür aussehen könnten.

Londons Strategie zielt darauf ab, Russland möglichst nachhaltig außenpolitisch zu “beschäftigen” und zu schwächen. Vor allem aber will es eine dauerhafte Spaltung zwischen der EU und Russland erreichen, um die eigene geostrategische Position nach dem Brexit zu stärken. Außerdem streben die Briten einen möglichst ungehinderten Zugangs zum EU-Binnenmarkt an, wobei offen bleibt, ob dies Druckmittel, Ablenkung oder “eigentliches Kernziel” ist.

Wer den Verhandlungsweg beschreiten will, muss sich mit diesen Zielen auseinandersetzen - völlig unabhängig davon, ob sie als ‘richtig’ oder ‘legitim’ angesehen werden. Noch sind die Minimalziele nicht erreicht, doch bis zum Herbst könnte sich das ändern, sowohl was russische Geländegewinne angeht als auch hinsichtlich der (Gas-)Handelsbeziehungen zur EU. Bis dahin bleiben ein paar kurze Monate - und es steht zu hoffen, dass diese Zeit genutzt wird, um Vermittler zu finden, Gesprächskanäle zu etablieren und so spätere Verhandlungen vorzubereiten. Die jüngste Einigung auf Getreideexporte auf dem Seeweg könnte ein Testlauf gewesen sein.

Die Öffentlichkeit wendet sich anderen Konflikten zu - und das ist gut so

Der Weg zu einer Verhandlungslösung ist lang und steinig, benötigt meist mehrere Anläufe - und vor allem Ruhe abseits des medialen Scheinwerferlichts. Insofern ist es vielleicht gut, dass der Ukrainekrieg zunehmend von den (westlichen) Titelseiten verdrängt wird. Kosovo, Taiwan, Iran, Aserbaidschan - es mag zynisch klingen, aber die Ukrainer:innen sollten hoffen, dass irgendein anderer globaler Konfliktherd eskaliert und ihnen “die Schau stiehlt”.

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Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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