Vorwärts immer!

2018 Ein kleines weltpolitisches Résumé zum Jahreswechsel. Zwar dürfte von 2017 nicht allzuviel in Erinnerung bleiben, aber das heißt auch: Es kann nur spannender werden.

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Der Blick zurück auf 2017…

Trotz periodischer Aufregung über die diversen globalen Krisenherde – geopolitisch war 2017 ein vergleichsweise ereignisarmes Jahr. In Syrien haben sich die Einflusszonen geklärt, eine Spaltung des Landes steht nach der Bauchlandung der irakischen Kurden und angesichts der prekären Lage Afrins nicht mehr auf der Tagesordnung. Auf der koreanischen Halbinsel wurde zwar die US-Raketenabwehr installiert, doch am strategischen Patt änderte sich wenig. Dasselbe lässt sich über den Krieg im Jemen sagen, wo der Tod Salehs und die Raketen in Richtung Riad nichts grundlegend bewegt haben. Um das Südchinesische Meer wurde es zuletzt stiller, was auf eine Akzeptanz der faktischen chinesischen Hegemonie durch die anderen beteiligten Staaten hinweisen könnte.

Nachdem die Vorjahre jeweils von zwei herausragenden, teils geradezu epochalen Ereignissen geprägt waren, herrschte im abgelaufenen eher Kontinuität. An der zuvor eingeschlagenen Richtung des ‚Weltgeschehens‘ änderte sich wenig, Verstetigung im Rahmen des Erwartbaren war angesagt. Für einen mittleren Paukenschlag sorgten dennoch die ‚Säuberungen‘ in Saudi-Arabien im November, und damit zusammenhängend der Besuch von König Salman in Moskau einen Monat zuvor. Der von Kronprinz Mohammed bin Salman initiierte Schwenk und Reformkurs stellt zweifellos die bemerkenswerteste Entwicklung des abgelaufenen Jahres dar.

Der mit Spannung erwartete selbsternannte ‚Erneuerer‘ Donald Trump redet derweil viel, erreicht aber erstaunlich wenig. Seine außenpolitische Ungeschicklichkeit beschleunigt den Ansehens- und Machtverlust Washingtons auf der globalen Bühne, und auch militärisch stehen die Zeichen zunehmend auf Rückzug. Den vorläufigen Höhepunkt setzte er mit seiner Jerusalem-Entscheidung, die weltweit auf einhellige Ablehnung stieß. Doch dieser Alleingang ist bei Lichte betrachtet weniger dramatisch ist als es zunächst scheint, und könnte sich rückblickend sogar als Segen erweisen.

Auf der anderen Seite meldet sich die chinesische Regierung immer selbstbewusster international zu Wort. In bisher nicht gekannter Deutlichkeit vertritt sie eigene Interessen und schreckt dabei nicht vor offener Kritik an anderen Staaten zurück. Die erste (offizielle) Militärbasis im Ausland wurde in Dschibuti eröffnet, die syrische Regierung immer direkter unterstützt – und Japan ‚sollte sich an chinesische Bomber in seinem Umfeld gewöhnen‘. Dazu passt die außergewöhnliche Machtfülle und Ehre, die der Parteikongress Staatschef Xi Jinping zuteilwerden ließ.

Interessant ist, dass sich mit dem neuen Präsidenten Emmanuel Macron die ‚Grande Nation‘ Frankreich weltpolitisch zurückmeldet. Nicht nur gibt er dem Europäischen Integrationsprozess mit seinen weitreichenden, vehement vorgebrachten Reformideen neuen Schwung – auch außerhalb Europas beweist er Gespür für Diplomatie und das richtige Timing. So lud er nach Trumps Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen spontan(?) zu einem weiteren Klimagipfel ein, und als der libanesische Premierminister Hariri in Riad zum Rücktritt gezwungen wurde, ermöglichte er diesem durch sein rasches Eingreifen die Rückkehr nach Beirut. In der EU wie auch darüber hinaus ist künftig (wieder) mit Paris zu rechnen, und es bleibt zu hoffen, dass Macron einen verlässlichen Partner mit Weitblick in der nächsten Bundesregierung finden wird.

Die globalen Finanzmärkte werden derweil immer langweiliger und berechenbarer, geradezu zum Einschlafen – da ist es wohl gut, dass dort fast nur noch Algorithmen ‚aktiv‘ sind. Die Kurse an den wichtigsten Aktienmärkten stiegen langsam und stetig an, ebenso die Preise für Anleihen sowie Öl und weitere Rohstoffe, während der US-Dollar ebenso stetig an Wert verlor. Die Zentralbanken hielten keinerlei Überraschungen bereit, und die große Aufregung um Bitcoin & Co. ist angesichts der überschaubaren Umsätze mit Kryptowährungen letztlich ein Sturm im Wasserglas.

Die wohl interessanteste ‚stille‘ Entwicklung ist der sich immer deutlicher abzeichnende Abschied vom Verbrennungsmotor, der keineswegs nur Autos betrifft. Da dieser auch das Ende des Ölzeitalters bedeutet, hat er über den technologischen und Infrastruktur-Aspekt hinaus auch weitreichende geopolitische Implikationen. Die Weltwirtschaft steht am Anfang des größten Umbruchs seit der Erfindung der Eisenbahn, und auch hier treibt China die anderen Staaten vor sich her.

…und der nach vorn: 2018 kann kommen!

Sicher, Überraschungen und größere Katastrophen können nie wirklich ausgeschlossen werden – aber es spricht Einiges dafür, dass das neue Jahr nahtlos an das alte anschließen und Änderungen langsam und graduell vonstatten gehen werden. Auf politischem wie auf ökonomischem Gebiet koordinieren die maßgeblichen Akteure ihre Handlungen immer enger, so dass sie auf externe Schocks und Störversuche von Kräften, die an Destabilisierung interessiert sind, adäquat reagieren können.

Im Mittleren Osten scheint nach der Zerschlagung des ‚Islamischen Staats‘ endlich die Zeit für ernsthafte Verhandlungen gekommen. Eine Klärung des Verhältnisses zwischen der syrischen Regierung und den Kurden ist möglich, das könnte auch zum (weitgehenden) Abzug des US-Militärs aus Syrien und dem Irak führen. Im Jemen ist ein Waffenstillstand denkbar, wenn, ja wenn er nicht mit einem völligen Gesichtsverlust der Saudis einhergeht. Wer auch immer Riad einen ehrenhaften Rückzug ermöglicht, kann für diese Hilfestellung einen sehr hohen Preis verlangen (z.B. den Libanon). Am Kronprinzen MbS, der sicherlich weitere einschneidende Reformen ankündigen wird, dürfte so ein Deal jedenfalls nicht scheitern.

Pakistan und Ägypten (und ggf. Algerien) sind weiterhin hochgradig gefährdet, was Anschläge, Unruhen und im Extremfall auch Schlimmeres angeht. Im geringeren Maße gilt das auch für das nigerianisch-kamerunische Grenzgebiet, Myanmar (und ev. Thailand) sowie Äthiopien. Allgemein müssen Länder, die von Bedeutung für Chinas Neue Seidenstraßen und die Integration Eurasiens sind, besonders beobachtet werden.

Chinas Außenpolitik dürfte 2018 noch ‚robuster‘ werden. Die Ausrufung einer Luftverteidigungszone (ADIZ) im Südchinesischen Meer ist durchaus realistisch; der Zeitpunkt dafür wäre wohl rund um den Volkskongress im März. Spannend wird sein, ob Beijing auch im Mittleren Osten offensiver auftritt, etwa bei der Vermittlung zwischen Teheran und Riad oder hinsichtlich der Kurdenfrage in Syrien.

In einer Reihe wichtiger Staaten stehen richtungsweisende Wahlen bevor: Brasilien, Italien, Mexiko, Thailand, Libyen und DR Kongo. Sicher stattfinden werden die drei erstgenannten, die darüber entscheiden, ob der rechte Backlash in Lateinamerika weitergeht und ob Macron einen weiteren Reformpartner im Süden findet. In den anderen drei Ländern sind Unruhen im Zusammenhang mit dem Urnengang wahrscheinlich – so denn tatsächlich gewählt wird.

Auch an den Finanzmärkten dürfte sich im Vergleich zu 2017 wenig ändern. Der Ölpreis (in Dollar) sollte leicht steigen, der Dollar weiter an Wert verlieren – wobei die Abkehr von der bisherigen Leitwährung sich weiterhin schleichend vollziehen wird. Der Höhenflug der Aktienmärkte dürfte insbesondere außerhalb der USA weitergehen, die Anleihenzinsen trotz der ‚Straffung‘ der Geldpolitik ungefähr konstant bleiben. Ein Run auf Lithium und Kobalt ist nicht völlig ausgeschlossen, und ob Aramco wirklich an irgendeiner Börse gehandelt werden wird…wer weiß.

Das Possenspiel der Brexit-Verhandlungen wird sich wohl noch eine Weile hinziehen, wenn es nicht zu einem britischen Offenbarungseid und Neuwahlen im Königreich kommt – was keineswegs ausgeschlossen ist. Die EU-Reformdebatte wird unabhängig davon weitergehen, wobei ihr der eine oder andere ‚Krisenmotor‘ sogar helfen könnte. Die Beziehungen zur Türkei und ihrem Präsidenten dürften sich auf bescheidenem, aber pragmatischem Niveau normalisieren.

Wie Donald Trump mit seiner bisherigen Erfolglosigkeit und globalen Isolation umgehen wird, und was er seinen Unterstützern bieten wird anstelle von ‚Jobs, Jobs, Jobs‘, ist derweil offen. Es steht zu hoffen, dass sich seine außenpolitischen Eskapaden auch weiterhin als tollpatschige Schülerstreiche verbuchen lassen, die keinen ernsthaften Schaden anrichten. Interessant dürften dagegen die Halbzeitwahlen im November werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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