Während wir schlafen (I)

China Der “Wiederaufstieg Chinas zur Weltmacht” ist zwar ein Allgemeinplatz, aber letztlich wissen wir in Europa fast nichts darüber. Einige Gedanken.

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Westliche Ansichten über China sind so vielfältig und widersprüch- lich wie das Land selbst. In vielen politischen Debatten spielt das Land zwar eine Rolle, aber oftmals bleiben es nur vage Ahnungen. Zur Erhellung und Bereicherung der Diskussion soll im Folgenden ohne irgendeinen Anspruch auf Vollständigkeit kurz auf einige aktuelle Aspekte der zentralen Bereiche Wirtschaft, Finanzsystem, Rolle der Partei und Außenpolitik eingegangen werden.

Wirtschaft

Chinas Wirtschaft scheint zu schwächeln, es wird derzeit über eine mögliche “harte Landung” spekuliert. Das Wachstum beträgt (offiziell - aber das ist eine andere Diskussion) nur noch knapp sieben Prozent, nachdem es seit 1980 im Schnitt bei etwa zehn lag. Zur Veranschaulichung: Bei einem zehnprozentigen Wirtschaftswachstum verdoppelt sich das BIP etwa alle sieben Jahre, in 35 Jahren bedeutet das eine Steigerung auf das 28-fache. Nach Kaufkraftparitäten ist das Land laut IWF bereits seit Oktober 2014 größte Volkswirtschaft der Welt. Seit den 80ern wird prophezeit, dass diese Entwicklung nicht durchzuhalten sei und China in Kürze in eine schwere wirtschaftliche und/ oder soziale Krise rutschen werde.

Davon ist bislang nichts zu sehen: Die Partei hat Land und Gesellschaft weiterhin fest im Griff, und die staatliche Lenkung der Ressourcen - erst in den Aufbau von Produktionskapazitäten, dann in die Infrastruktur, dann in Immobilien, jetzt verstärkt in den Konsum - funktioniert erstaunlich gut nach (Fünf-Jahres-) Plan. Dabei hat China nicht nur Hunderte von Millionen vom Land zuziehende Neuankömmlinge in die städtische Wirtschaft integriert, sondern auch fast im Alleingang die von den UN anvisierte Halbierung der weltweiten Armut bis 2015 gemeistert. 2009 reagierte Beijing mit einem riesigen Konjunkturprogramm auf die globale Krise und kam so schnell zurück auf den Wachstumspfad, und auch in der aktuellen Situation stabilisiert die Regierung nach dem Motto “klotzen, nicht kleckern” die Wirtschaft mit einer enormen Ausweitung der Staatsausgaben: Im Jahresvergleich stiegen diese bislang um 18 Prozent, im Oktober gar um 36.

Doch ist Chinas Industrie immer noch stark auf den Export angewiesen, der 2014 22,6 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachte (Deutschland: 45,6, Zahlen laut Weltbank), und mit der drohenden (oder bereits eingetretenen) Rezession in vielen Staaten gehen die Ausfuhren zurück: Seit März 2015 sinken die Exporte im Jahresvergleich, teilweise zweistellig. Besonders anschaulich zeigt sich diese Abkühlung in der Logistikbranche; so gehen die Fracht- und Charterraten für die meisten Schiffstypen rapide zurück - mit Ausnahme von Öltankern, denn diese werden zur Lagerung des scheinbar “einmalig billigen” Schwarzen Goldes genutzt.

Einkommen und Konsumausgaben in China selbst steigen zwar, nicht zuletzt dank zahlreicher Streiks, um jährlich mindestens zehn Prozent, doch für die “Werkbank der Welt” ist dies nicht genug, um die stagnierende Nachfrage aus anderen Staaten sowie schwächeres Wachstum in anderen Sektoren auszuglei- chen. Auch in Beijing macht man sich daher inzwischen mehr Sorgen über De- als über Inflation. Doch auch wenn China nur leicht hüstelt, bekommt die Weltwirtschaft einen Schnupfen: Die absehbar langsamer als erwartet (und eingepreist) steigende Nachfrage aus dem Reich der Mitte gilt als ein Hauptgrund für die Halbierung des Ölpreises im zweiten Halbjahr 2014, und viele Rohstoffpreise, vor allem Metalle, sind auf langjährigen Tiefständen - was wiederum die sie exportierenden Staaten und ihre Währungen enorm unter Druck geraten lässt.

Somit ist sicherlich derzeit eine gewisse Abkühlung der Wirtschaftsentwicklung, nicht jedoch eine “harte Landung” zu erkennen - und es ist ironisch, dass aus dem in einem “verlorenen Jahrzehnt” feststeckenden Europa und den völlig importabhängigen USA derartige Warnungen an das wirtschaftlich vergleichsweise robuste China ertönen. Sollen die Chinesen damit an die eigene Exportabhängigkeit erinnert werden, an die Interdependenz innerhalb des “selben Boots” der globalen Konjunktur, um sie so dauerhaft auf ihre Rolle als “Fabrik der Welt” festzulegen? Welche Pläne die KPCh in dieser Situation verfolgt ist kaum zu sagen, aber es kann mit einiger Sicherheit ausgeschlossen werden, dass diese Aufgabenvertei- lung für China ein akzeptabler Dauerzustand sein könnte. Es mag ja sein, dass ohne starken Außenhandel die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung nicht aufrechterhalten werden kann - aber bedeutet das notwendigerweise die Produktion von Konsumgütern für westliche Märkte? Wäre es aus chinesischer Sicht nicht viel sinnvoller, Energie und Arbeitskraft in die Modernisierung des eigenen Landes zu investieren sowie in die wirtschaftliche Kooperation mit den BRICS und anderen Verbündeten?

Finanzsystem

Auch Chinas Finanzsystem ist derzeit extremen Veränderungen unterworfen. Äußere Zeichen dafür sind ein liberaleres, also marktbasierteres Wechselkursregime, die Umstrukturierung lokaler Schulden, sukzessive Leitzinssenkungen, ein Einlagensicherungsgesetz und weitere neue Regulierungen, Festnahmen zahlreicher Topmanager und weitere Ereignisse in den vergangenen Monaten. Einerseits haben diese mit aktuellen Entwicklungen zu tun, etwa dem Börsencrash im Sommer und dem von der Regierung ausgerufenen “Kampf gegen die Korruption” - der sicherlich zum Teil als Vorwand für innerparteilische Säuberungen genutzt wird, aber auch einen sehr realen Hintergrund hat. Wichtiger als diese kurzfristigen sind allerdings zwei säkulare Trends: Zum Einen die erwähnte Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, was auch ein gänzlich anderes Kreditwesen erfordert - Verlässlichkeit statt riskante Hochzins-Geschäfte mit “heißem” Geld - , und zum Anderen die langfristig geplante Internationalisierung der chinesischen Währung Yuan bzw. RMB.

Die Reformen des Bankwesens scheinen darauf hinauszulaufen, dass bisher auf getrennten Märkten operierende Institute sich einander angleichen und konkurrieren können: Staatliche Banken werden ein Stück weit dereguliert und verlieren ein Stück weit ihren Schutz, die bisher weitgehend unregulierten Schattenbanken werden hingegen unter stärkere Aufsicht gestellt. Sollten dabei Schaateninstitute zusammenbrechen: Kein Problem - sie sind zwar weitverbreitet, aber theoretisch ohnehin illegal, weshalb wohl kein Einleger vor Gericht Ansprüche geltend machen könnte. Diese Form der juristischen Uneindeutigkeit ist, nebenbei bemerkt, typisch für Chinas Wirtschaft: Gesetze werden nicht angewandt, doch niemand kann wissen, ob es dabei bleiben wird - die Partei behält somit immer einen Hebel und damit im Konfliktfall das letzte Wort.

Die Internationalisierung der Währung geht seit Jahren in Trippelschritten vorwärts, verstärkt hat sich dieser Trend erst seit 2013. Der Handel auf Yuanbasis ist zuletzt stark gewachsen, insbesondere haben die westlichen Sanktionen Russland bewogen, ihr Öl und Gas den Chinesen seit diesem Jahr nicht mehr gegen Dollar zu verkaufen. In jüngster Zeit wurden nicht nur verstärkt Banken im Ausland zur Abwicklung von Yuangeschäften eingerichtet, sondern auch neue internationale Finanzinstitutionen gegründet: Die bekannteste ist wohl die Entwicklungsbank AIIB, doch sollten auch die NDB, der BRICS-Währungsfonds CRA, das CIPS-Zahlungssystem und der staatliche “Seidenstraßenfonds” für Investitionen in Zentralasien genannt werden.

Nachdem Anfang August der IWF noch eine Aufnahme des RMB in den Währungskorb der “Sonderziehungsrechte” verschoben hatte, überraschte Chinas Zentralbank nur eine Woche später die Märkte mit einem neuen, liberaleren Wechselkursregime. Am 30. November wird nun eine positive Entscheidung des IWF-Exeku- tivrats erwartet, womit einer verstärkten Nutzung des Yuan RMB als Reserve-, Kredit-, Investitions- und Handelswährung nun nichts mehr im Wege steht. Was das für andere Währungen und das bisherige globale Institutionengefüge bedeutet, bleibt abzuwarten.

Teil II: Rolle der Partei & Außenpolitik folgt!

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Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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