Wohin geht die Reise?

Jerusalem Trumps Entscheidung kam nicht überraschend, die Reaktionen genausowenig. Trotz aller Aufregung – eine Eskalation ist unwahrscheinlich

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Könnte sich das „kurzsichtige, verantwortungslose“ Vorpreschen Trumps sogar als Durchschlagung des Gordischen Knotens erweisen?
Könnte sich das „kurzsichtige, verantwortungslose“ Vorpreschen Trumps sogar als Durchschlagung des Gordischen Knotens erweisen?

Foto: Ahmad Gharabli/AFP/Getty Images

Eigentlich ist alles gesagt über die Ankündigung von US-Präsident Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und die US-Botschaft dorthin zu verlegen. Es kommt selten vor, dass ein einziger gesprochener Satz, noch dazu ein kurzer und schlichter, politisch derart aufgeladen ist und das Potential hat, eine ganze Weltregion auf Jahre in Atem halten. Die einhellige Verurteilung durch die ‚Weltgemeinschaft‘ ist nachvollziehbar, könnte sich aber als voreilig erweisen, zumal die Auswirkungen wohl erst in einigen Jahren in ihrer ganzen Tragweite erkennbar werden.

Interessant ist der Zeitpunkt: Vor wenigen Tagen hat erst Moskau, dann Washington den ‚Sieg über den Islamischen Staat‘ verkündet. Russlands Präsident Putin hat daraufhin den Teilabzug seiner Truppen aus Syrien angeordnet, während der US-Verteidigungsminister bereits zuvor verkündet hatte, man werde ‚jetzt nicht einfach abziehen‘, bevor der Genfer Friedensprozess Ergebnisse zeige. Wird also angesichts des absehbaren Endes eines Großkonflikts sofort die Saat für den nächsten ausgebracht? Eine mögliche Deutung, aber keineswegs die einzig denkbare.

Fünf Anmerkungen aus aktuellem Anlass.

1. Dass Trumps Kurswechsel international Anlass für massive, nicht immer friedliche Proteste, Gewalt und Gegengewalt sein würde, war so sicher wie das Amen, Shalom oder Allahu Akbar im Gotteshaus. Diese Phasen der Konfrontation folgen einem lange bekannten, ritualisierten Muster und gehen auch wieder vorbei, wenn nicht beständig neues Öl ins Feuer gegossen wird. Eine ernsthafte Eskalation ist sehr unwahrscheinlich, da die Entscheidung seit über einem Jahr im Raum stand. Alle an den Machtspielen der Region beteiligten Regierungen konnten sich auf den ‚Tag X‘ vorbereiten und ihre Reaktionen koordinieren.

2. Die US-Regierung macht mit der Verlautbarung deutlich, dass sie weiterhin ein relevanter Player im mittelöstlichen Machtkampf ist, dessen Interessen berücksichtigt werden müssen. Angesichts ihres tendenziellen Rückzugs und der immer wichtigeren Rolle Russlands und Chinas als externe Schutzmächte macht dieser zwar ‚nur‘ symbolische, aber nichtsdestotrotz wirkmächtige Schritt deutlich, dass Washington noch lange nicht ‚abgeschrieben‘ werden kann beim Ringen um die strategische Neuordnung der Region.

3. Obwohl es nicht überraschend kam, stellt sich die Situation von einem Tag auf den anderen deutlich verändert dar – fast ließe sich von einem völlig neuen Nahost-(Krisen-)Narrativ sprechen. Im öffentlichen Diskurs werden nun der Kampf gegen den IS (und um die Nachkriegsordnung in Syrien und Irak), der Katar-Konflikt sowie die saudische Palastrevolution deutlich in den Hintergrund gedrängt. Diese gezielte Verschiebung lenkt von den eigenen Niederlagen ab und erneuert das regionale gut-böse-Schema, zumindest für die internationale (westliche) Öffentlichkeit.

4. Trumps Alleingang könnte Bewegung in eine völlig festgefahrene Situation bringen und das langjährige Patt im Nahostkonflikt aufbrechen. Zwar haben alle Beteiligten dieses liebgewonnen und in Stockholm-Syndrom-Manier vor jeder Veränderung des Bewährten(?) Angst, doch eröffnet dieses Aufbrechen perspektivisch auch die Möglichkeit, neue Ansätze zur Bearbeitung des Konflikts zu erkunden. Die Feststellung, dass Jerusalem israelisch und die zwei-Staaten-Lösung eine Illusion ist, mag ebenso schmerzhaft wie völkerrechtswidrig sein – falsch ist sie nicht. Rückblickend könnte sich das ‚kurzsichtige, verantwortungslose‘ Vorpreschen Trumps dereinst sogar als Durchschlagung des Gordischen Knotens erweisen.

5. Das Schlüsselereignis der letzten Monate (Jahre?) im Mittleren Osten ist die Palastrevolution/ Gegenputsch/ ‚Säuberung‘ im saudischen Königshaus durch den Kronprinzen und seine Verbündeten. Alle weiteren regionalen Geschehnisse müssen (auch) in Relation dazu betrachtet werden. Damit stellt sich die Frage, welche Seite im innersaudischen Machtkampf von der Anerkennung Jerusalems und der Verlegung der US-Botschaft profitiert: Wird Mohammed bin Salman geschwächt, weil sich das Augenmerk (wieder) auf die Außenpolitik richtet statt auf seine interne Reformagenda – oder gestärkt, weil er sich als Verteidiger der Palästinenser profilieren kann, im Schulterschluss mit vielen anderen muslimischen Staaten?

Viele Fragen sind offen – der Vorhang ebenfalls, und daran wird sich auch so bald nichts ändern.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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