Zeit für neue Helden?

Ideale Die Rede vom “postheroischen Zeitalter” bedeutet im Klartext: Für die heute gesellschaftlich dominanten Werte möchte niemand sterben.

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Das Klischee ist inzwischen so oft wiederholt worden, dass es nicht mehr hinterfragt wird: Die “freie westliche Welt” befinde sich nunmehr in einem sogenannten “postheroischen” Zeitalter; es gäbe in unseren Breiten keine Bereitschaft und keine Anerkennung mehr dafür, sich selbst oder Andere für ein höheres Ziel zu “opfern”. Zur Erklärung dieses Phänomens wird einerseits auf die Säkularisierung der Gesellschaft verwiesen, andererseits auf die heute übliche geringe Familiengröße: Wer nur ein Kind hat, wolle dieses unter keinen Umständen als “MärtyrerIn” verlieren. An der Frage, ob diese Entwicklung gut oder schlecht sei, scheiden sich die Geister - an der Gültigkeit der These gibt es hingegen so gut wie keine Zweifel. Warum eigentlich nicht?

Der Held und seine Werte

Als Ausgangspunkt der Überlegung bietet sich eine simple Frage an: Was ist ein ‘Held’? Laut Wikipedia definiert Otmar Behr ihn so: “Helden sind Männer (seltener Frauen), die für andere oder im Namen einer Idee große Taten vollbringen und dabei ihr Leben wagen.” Es geht beim Heldentum also um dreierlei: Eine außergewöhnliche, im Extremfall “übermenschliche” Leistung, das Eingehen eines extremen persönlichen Risikos und die Uneigennützigkeit der Tat.

Welcher dieser Aspekte könnte dafür verantwortlich sein, dass es derartige “heldenhafte” Opferbereitschaft heute nicht mehr geben sollte? Die Menschen haben sich nicht verändert, sie sind weiterhin genauso zu außergewöhnlichen Handlungen fähig. Ob jemand sein Leben riskiert, mag zu einem geringen Grad davon abhängen, ob er oder sie Geschwister hat, die die “Familientradition” fortführen könnten - letztlich ist es aber eine individuelle Entscheidung, die solche äußeren Faktoren kaum beeinflussen dürften. Bleibt nur die Frage der Uneigennützigkeit.

Wer altruistisch handelnd ein hohes persönliches Risiko eingeht, muss von dem, was er oder sie tut, tief im Inneren überzeugt sein. Entweder aus “unsterblicher” Liebe - oder aus tiefem Glauben an eine Ideologie mit bestimmten Werten. Liebe gibt es wie eh und jeh, doch lässt sie sich naturgemäß schwer ergründen und analytisch erfassen und soll damit hier den schönen Künsten überlassen werden. So fokussiert sich die Frage auf die “höheren” Werte, für die ein Mensch sich heute opfern könnte und dafür von der Gesellschaft verehrt würde: Welche Ideale, welcher Glauben bestimmen unsere heutige, weitgehend säkulare Zeit? Mitmenschlichkeit und Toleranz sind uns wichtig, sicher. Aber die dominierenden Werte in unserer Welt sind vermutlich Individualismus, Konkurrenz und Gewinnstreben. Wenn das stimmt, könnte hier tatsächlich ein Schlüssel zur Beantwortung der Ausgangsfrage liegen: Ein Heldentum aus Individualismus oder egoistischem Streben kann es offensichtlich nicht geben, und es gibt wohl auch nicht Viele, die dafür ihr Leben aufs Spiel setzen würden. Zugespitzt formuliert: Für Geld will niemand sterben.

Mafiosi und andere moderne Helden

Ja, es gibt natürlich Ausnahmen von dieser Regel: Es gibt selfmade-Unternehmer, die ein großes Risiko eingehen, um schnell zu Macht und Reichtum zu kommen - umso mehr wenn sie sich, vorsichtig ausgedrückt, mit ihren Geschäften in “rechtlichen Grauzonen” bewegen. Diese können durchaus die Rolle “moderner Helden” einnehmen, wobei es von ihnen dann auch nur noch ein kleiner Schritt ist bis zum organisierten Verbrechen. Tatsächlich werden dessen führende Köpfe nicht selten mehr oder minder heimlich verehrt, gerade wenn sie sich auch “karitativ” betätigen und damit zumindest in den Augen ihres Umfelds der Definition eines klassischen ‘Helden’ äußerst nahe kommen. Die ultimativen Helden des säkularen, kapitalistischen Zeitalters wären damit wohl Al Capone und Pablo Escobar.

Trotz ihrer teils beeindruckenden Popularität werden diese Gangster aus naheliegenden Gründen nicht öffentlich als Vorbilder gehandelt. Wer aber dann? Sicherlich gibt es andere Personen in jüngerer Zeit, die mit Fug und Recht als ‘Helden’ bezeichnet werden können, ja müssen: Es sei hier erinnert an ÄrztInnen, Seelsorger und KatastrophenhelferInnen, die freiwillig in Seuchen- oder Konfliktregionen den Menschen versuchen zu helfen. An UmweltschützerInnen, die mit teils gefährlichen Aktionen auf die Zerstörung des Planeten aufmerksam machen. Und nicht zuletzt an die zahllosen FreiheitskämpferInnen gegen koloniale Unterdrückung oder Faschismus, von denen so viele ihren Einsatz mit dem Leben bezahlt haben: Gab es im Europa des 20. Jahrhunderts größere HeldInnen als die InterbrigadistInnen des Spanischen Bürgerkriegs?

Versteckt und mit den “falschen” Zielen

Alle diese modernen ‘Helden’ haben jedoch ein “Problem”: Sie kämpfen unter hohem Einsatz für ihre persönlichen Überzeugungen - doch sind dies eben nicht die gesellschaftlich dominanten Werte der heutigen Zeit, weshalb ihre Opferbereitschaft auch oft wenig gesellschaftliche Anerkennung findet. Nicht wenige positionieren sich mit ihren “Heldentaten” sogar explizit gegen die sie umgebende Gesellschaftsordnung; statt sie zu gefeierten Vorbildern zu erklären, ignoriert die Öffentlichkeit sie daraufhin, viele müssen gar Diffamierungen oder Schlimmeres über sich ergehen lassen. Das bekannteste aktuelle Beispiel dürfte Edward Snowden sein: Der wohl unbestritten größte ‘Held’ des Internetzeitalters lebt seit Jahren im Exil, da ihm in seiner Heimat eine lebenslange Haftstrafe droht.

Das Problem des angeblichen “Postheroismus” stellt sich damit plötzlich ganz anders dar: Zwar gibt es durchaus genug ‘HeldInnen’ in besten Sinne der klassischen Heldenidee, doch werden die meisten nicht gesellschaftlich als solche gewürdigt, da sie bestenfalls untergeordnete, schlimmstenfalls gar “subversive” Ideale vertreten - und nicht die Werte des “Systems”. Nicht wenige von ihnen werden gerade dadurch zu ‘HeldInnen’, dass sie aus dem Verborgenen gegen ebenjenes “System” agieren - und damit eher zu offiziellen Feind- als Vorbildern werden.

Heute Schurke, morgen Held - “Postheroismus” als Ideologie

Diese Überlegungen lassen letztlich nur einen Schluss zu: Es gibt immer ‘HeldInnen’ in einer Gesellschaft - allerdings hängt es von den jeweils vorherrschenden Werten ab, ob sie von dieser auch als solche anerkannt und gefeiert werden. Wer heute ignoriert oder verfolgt wird, kann morgen in einer veränderten Moralordnung als ‘HeldIn’ verehrt werden - oder umgekehrt. Die ältere wie jüngere Geschichte ist voller solcher Menschen, seien es mittelalterliche Astronomen oder WiderstandskämpferInnen gegen das Naziregime.

Und Geschichte bleibt niemals stehen: Welche heute lebenden Persönlichkeiten werden wohl in Zukunft ganz anders betrachtet werden? Als ‘HeldInnen’, ‘VerbrecherInnen’ - oder auch ganz normale Durchschnittspersonen? Gesellschaftsordnungen ändern sich, doch Menschen bleiben gleich. Die derzeitige Postmoderne nennt sich gerne “postideologisch” und “postheroisch”. Beides ist untrennbar miteinander verknüpft, weil Heldentum ohne Glauben undenkbar ist - und damit ist beides letztlich nichts als blanke Ideologie, mit der das gegenwärtige System als “alternativlos” dargestellt und so perpetuiert werden soll. Ein tatsächlich “postheroisches” Zeitalter gibt es nicht und wird es nicht geben. Es wird immer Einige geben, die für ihre tiefsten Überzeugungen bereit sind zu kämpfen und auch zu sterben - und es wird ihnen gleichgültig sein, als was ihre ZeitgenossInnen sie bezeichnen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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