Arte für alle

Gauck-Rede Um eine europäische Öffentlichkeit zu erzeugen, schlägt Bundespräsident Joachim Gauck "Arte für alle" vor. Dies ist ein weiteres Beispiel politischer Bevormundung

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Arte für alle

Foto: BARBARA SAX/AFP/Getty Images

Die gestrige Rede von Bundespräsident Joachim Gauck zum Thema Europa ähnelte in großen Teilen den Wahlprogrammen unserer politischen Parteien: allgemeingehaltene, wohlklingende Worte, gegen die keiner wirklich etwas haben kann.

Eine Ausnahme davon war die Stelle, als Joachim Gauck einen europaweiten Fernsehsender vorschlug, „etwas wie Arte für alle“, mit „Reportagen über Firmengründer in Polen, junge Arbeitslose in Spanien oder Familienförderung in Dänemark“.

Dieser Vorschlag ist einerseits erfreulich konkret, er ist andererseits aber auch erstaunlich naiv.

Abgesehen davon, dass derlei Reportagen im Deutschen Fernsehen gegenwärtig schon zu sehen sind, stellt sich die Frage, ob Joachim Gauck wirklich glaubt, durch die Einrichtung eines Fernsehsenders ein gegenseitiges Interesse erzeugen zu können, welches dann irgendwann in eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit mündet, auf deren Nichtvorhandensein Joachim Gauck zu Recht hinweist.

Der Vorschlag „Arte für alle“ steht exemplarisch für ein grundlegendes Problem, welches die Politik der europäischen Integration ständig begleitet: Das vereinte Europa steht immer wieder da als Idee einer politischen Elite. Diese politische Elite hat es sich, so scheint es, zur Aufgabe gemacht, die Bevölkerungen in der Weise zu erziehen, dass sie zu einem europäischen Volk werden, dass sie das nachvollziehen, was auf politischer und wirtschaftlicher Ebene bereits vorweggenommen wurde.

Die Politik geht voran, das Volk soll versuchen zu folgen; und wenn es das nicht tut, dann kann man ja einen Fernsehsender gründen.

Um es klar zu sagen: In einer Demokratie ist das die falsche Reihenfolge. Demokratisch wäre es, wenn die Bevölkerungen vorangehen, wenn in den Bevölkerungen der Wunsch nach einem Zusammenwachsen entsteht und wenn die Politik diesen Wunsch lediglich unterstützend begleitet.

Im Grunde hat Joachim Gauck dieses grundlegende Problem in seiner Rede benannt: Einige Minuten vor seinem Vorschlag „Arte-für-alle“ zitiert er den Italienischen Schriftsteller und Politiker Massimo D'Azeglio mit den Worten: "Italien haben wir geschaffen, nun müssen wir die Italiener schaffen". Dies hat D'Azeglio im Jahr 1861 gesagt, im Jahr der italienischen Vereinigung.

Die politische Elite erweckt immer wieder den Eindruck, sie wolle, frei nach D'Azeglio, nachdem sie Europa geschaffen habe, auch die Europäer schaffen, sei es auch mit „Arte für alle“.

Joachim Gauck lässt den Vergleich mit Italien 1861 aber nicht einfach so stehen. Dies wäre auch zu viel der offensichtlichen Bevormundung. Gauck sagt:

„Doch anders als im 19. Jahrhundert, als auch das Deutsche Reich aus einem Flickenteppich von Königreichen und Fürstentümern hervorging, können und wollen wir eine europäische Vereinigung nicht von oben dekretieren. Wir haben inzwischen starke Zivilgesellschaften. Ohne die Zustimmung der Bürger könnte keine europäische Nation, kann kein europäischer Staat wachsen. Takt und Tiefe der europäischen Integration werden letztlich von den Bürgerinnen und Bürgern bestimmt.“

Wie wahr! Mögliche Konsequenzen aus dieser Feststellung erwähnt Gauck dann leider nicht. Aber eigentlich müsste man ihn nur beim Wort nehmen: Gauck spricht von der „Zustimmung der Bürger“. Eine tatsächliche Zustimmung, eine Zustimmung, die auch die Möglichkeit einer Ablehnung enthält, eine Zustimmung, die wirklich ernst genommen wird, kann nur in einer verbindlichen Volksabstimmung erfolgen (auch wenn Joachim Gauck das so vielleicht nicht im Sinn hatte).

Und wer gegen eine Volksabstimmung einwendet, eine Bevölkerung, die sich etwa gegen den Euro entscheidet, wisse nicht, was sie tue, argumentiert undemokratisch. Das Argument, das Volk sei zu dumm, gilt nicht in der Demokratie.

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