Beleidigungstatbestand abschaffen

Recht Wirklich ernsthafte Fälle der Ehrverletzung werden vom Beleidigungstatbestand nicht erfasst. Deswegen sollte man diesen Tatbestand abschaffen

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In § 185 sieht das Strafgesetzbuch für die Beleidigung eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Beleidigung

„der rechtswidrige Angriff auf die Ehre eines anderen durch vorsätzliche Kundgebung der Missachtung oder Nichtachtung“.

Kurioses und Verstörendes

Aufgrund des Umstandes, dass es sich bei der Ehre um einen immateriellen Wert handelt, ist die Feststellung einer Verletzung der Ehre weitaus schwieriger, als etwa die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit. Darüber hinaus ist der Begriff der Ehre erheblich von gesellschaftlichen Entwicklungen und kulturellen Unterschieden abhängig. Diese Feststellungen führen dazu, dass ein Blick in die Kasuistik bezogen auf das Nachkriegsdeutschland Kurioses und Verstörendes zu Tage fördert.

Nicht nur die Bezeichnung eines Autofahrers als „Schwein“ konnte als Beleidigung gelten, auch das bloße Tippen auf die Stirn des Gegenübers wurde als Beleidigung angesehen. Die kritische Rede von „sogenannten Rechtsanwälten“ (ich erinnere nur an Kurt Becks ewige „sogenannte Linke“) ließen die Juristenkollegen hinter dem Richtertisch nicht durchgehen, ebenso wenig wie die Bezeichnung eines Streifenpolizisten als "Wegelagerer". Ein Highlight in der Justizgeschichte war sicherlich die Feststellung, dass die lautstarke, namentliche Begrüßung eines Lehrers durch einen Schüler, während sich der Lehrer gerade am Pissoir erleichtert, als Beleidigung anzusehen wäre, ebenso wie das Urteil, dass das Beobachten eines Liebespaares, das öffentlich Zärtlichkeiten austauscht, keine Beleidigung sei; des Liebespaares wohlgemerkt (1962).

In die Kategorie verstörend fällt sicher der Umstand, dass der Bundesgerichtshof in einer frühen Entscheidung die Bezeichnung als „Jude“ als beleidigend aufgefasst hat, ebenso wie das Berliner Kammergericht die Bezeichnung als „Schwuler“. Beides würde heute wohl so nicht mehr entschieden werden. So hat das Landgericht Tübingen in einer Entscheidung vom Juli 2012 festgestellt:

“Entscheidend ist aber, dass sich das Strafrecht in einen Widerspruch zu dem verfassungsrechtlich begründeten Antidiskriminierungsansatz begeben würde, wenn die Bezeichnung als „homosexuell“ als ehrmindernd und herabsetzend bewertet würde. Darin käme gerade die Diskriminierung zum Ausdruck, die von Rechts wegen nicht mehr sein soll. Insoweit verhält es sich nicht anders wie mit sonstigen Bezeichnungen einer sexuellen Präferenz wie „bisexuell“ oder „heterosexuell“ oder mit Bezeichnungen einer religiösen Zugehörigkeit wie Katholik oder Jude – und zwar völlig unabhängig davon, ob der Erklärungsempfänger der betreffenden Personengruppe angehört.”

Wesentliche Fälle nicht erfasst

Problematisch an dem Straftatbestand der Beleidigung ist jedoch vor allem, dass er die wesentlichen Fälle der Ehrverletzung nicht erfasst.

Wenn man, gerne im Straßenverkehr, zum Beispiel als „Arschloch“ bezeichnet wird, so mag dies einen vielleicht jucken, eine ernsthafte Ehrverletzung kann darin aber beim besten Willen nicht gesehen werden (obgleich, das ist das Problem, eine Bestrafung wegen Beleidigung wohl unvermeidlich wäre). Der Hintergrund ist der, dass in diesen Fällen ein Fremder einen Fremden „beleidigt“, was erstens bedeutet, dass die „Beleidigung“ ohne Kenntnis der zu beleidigenden Person ohne jede Grundlage ist, und was zweitens bedeutet, dass aufgrund der fehlenden Verbindung zwischen Täter und Opfer ohnehin eine relativ geringe Verletzlichkeit besteht (nach dem Motto: Was schert es mich, was dieser Mann mit Hut und Mercedes von mir hält).

Etwas anders mag es zu beurteilen sein, wenn der „Beleidigende“ mit seiner „Beleidigung“ an ein offenkundiges Merkmal des zu Beleidigenden anknüpft, etwa an einer Behinderung oder an Fettleibigkeit. Aber auch diese Fälle gehören, aufgrund der mangelnden Verbindung zwischen Täter und Opfer, nicht zu den zentralen Fällen der Ehrverletzungen.

Die Erfahrung zeigt, dass wirkliche Ehrverletzungen nur dann möglich sind (bzw. dann jedenfalls besonders gut möglich sind), wenn zwischen Täter und Opfer eine persönliche Bindung besteht, wenn sich das Opfer dem Täter in gewisser Weise geöffnet hat, wenn es sich auf diese Weise verletzlich gemacht hat. Ich behaupte, der ganz überwiegende Teil der wirklichen Ehrverletzungen findet innerhalb von Familie, Ehe und Freundschaft statt - und, das kommt hinzu, in diesen Fällen kommt der Beleidigende ganz selbstverständlich ohne die klassischen Beleidigungen wie „Arschloch“, „Dumme Nuss“ oder „Nazi“ aus.

Der Beispiele sind viele: Der Mann, der seine Frau mit der Begründung betrügt, er stehe eben eher auf Dünnere, die vermeintlich beste Freundin, die hinter dem Rücken ihrer besten Freundin lästert, der Vater, der durchblicken lässt, dass er den einen Sohn wohl doch etwas lieber hat als den anderen.

Das sind wirklich ehrverletzende Handlung, die aufgrund ihrer subtilen Art nur schwer justiziabel sind.

Beleidigungstatbestand abschaffen

Wenn ein Straftatbestand aber die wirklich ernsten Fälle kaum erfasst, dann steht sein Existenzrecht in Frage. Artikel 3 Grundgesetz enthält den sogenannten Gleichheitssatz der verlangt, dass gleiche Fälle auch gleich behandelt werden. Gegen dieses Prinzip verstößt der Beleidigungstatbestand, wenn er triviale Fälle erfasst, wirklich ernste Fälle jedoch nicht. Statt ernsthafte Verletzungen unter Strafe zu stellen, scheint der Beleidigungstatbestand ein Mittel zu sein, um die Justiz in den kleinkarierten Kampf von Kleingeistern hineinzuziehen. Wer die Polizei ruft, wenn er im Straßenverkehr (oder auf Freitag.de) als Arschloch bezeichnet wird, ist nicht schützenswert.

Ausnahme

Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung gibt es im Strafgesetzbuch keine gesonderte Regelung der Beamtenbeleidigung. Die Beleidigung von Beamten fällt statt dessen, wie jede andere Beleidigung auch, unter § 185 StGB. Es wäre jedoch bedenkenswert, im Fall einer Abschaffung des allgemeinen Beleidigungstatbestandes eine Beamtenbeleidigung einzuführen. Dabei würde es dann aber nicht primär um den Schutz der Ehre gehen (die der Beleidigungstatbestand ohnehin nicht wirksam zu schützen vermag), sondern eher um den Schutz einer bestimmten Autorität. Wenn Lehrer von ihren Schülern und Polizisten von Passanten ungestraft als „Arschloch“ bezeichnet werden dürften, dann würde dies die Gefahr heraufbeschwören, dass die Autorität leidet, auf die diese Berufsgruppen angewiesen sind. Auch dann sollte man jedoch einen Lehrer ungestraft begrüßen dürfen, auch wenn er gerade am Pissoir steht.

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