Das mit den Vorbildern

Alltag Wenn einem Gichard Gere, Madonna und Brad Pitt als Vorbilder präsentiert werden, ist es Zeit die Frage zu stellen: passen Vorbilder noch in unsere Zeit?

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Bei mir in der Nähe kann man jetzt Pilates machen. Und diese Pilates-Leute versuchen einem das schmackhaft zu machen, indem sie einen mit dem folgenden Werbespruch konfrontieren:
„Richard Gere, Madonna und Brad Pitt tun es, wann tun Sie es?“
Als ich das gelesen habe, war mein erster Gedanke: „Oha, sie mal einer an.“
Mein zweiter Gedanke war dann aber: „Wollt ihr mich eigentlich verarschen? Glaubt ihr wirklich, ich würde das jetzt machen, weil diese Hollywood-Kunstfiguren das auch machen?“

Aber vielleicht tue ich damit diesen Pilates-Leuten Unrecht. Denn auf wen hätten sie sich denn beziehen sollen, ich meine dann, wie sie ein richtiges Vorbild hätten wählen wollen? Habe ich überhaupt ein Vorbild? Gibt es die überhaupt noch?

Eltern

Chronologisch betrachtet sind beim Thema Vorbild ja zunächst die Eltern zu nennen. Bedenkt man, wie viel man von seinen Eltern lernt, wie sehr sie einen prägen, dann könnte man sie getrost in der Kategorie Vorbild verbuchen. Bei einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Stern aus dem Jahr 2003 landete demgemäß dann auch die Antwort „meine Mutter“ auf Platz 1, „mein Vater“ auf Platz 3, gestört bloß von „Mutter (sic) Theresa“ auf Platz 2.

Dennoch habe ich mit den Eltern als Vorbildern Schwierigkeiten. Ein Vorbild setzt für mich eine freiwillige Entscheidung voraus. Ein Vorbild zu haben bedeutet für mich, für sich selbst bestimmte Bedürfnisse, bestimmte Ziele festzustellen und sich dann, auf dieser Grundlage, an einer anderen Person zu orientieren. Wie gesagt: aufgrund einer freiwilligen Entscheidung, nicht aufgrund von Verwandtschaft.

Mezut Özil

In aller Regel werden die Eltern von ihren Kindern dann ja auch ganz erheblich einer kritischen Revision unterzogen. Es gehört zur menschlichen Entwicklung dazu, in der Pubertät sich abzugrenzen, die Voraussetzungen zu schaffen, um eine eigenständige Persönlichkeit zu werden. Und dann sind es eben die Lady Gagas, Justin Biebers oder Mezut Özils einer jeden Generation, mit deren Postern die Kinderzimmer ausstaffiert werden.

Aber auch hier fällt es schwer von Vorbildern zu sprechen. Es handelt sich in der Regel wohl eher um Schwärmereien, man kann froh sein, wenn dem Jugendlichen dann auch irgendwann der Absprung gelingt, wenn er irgendwann merkt, dass gut Fußball-spielen bzw. mittelmäßig oder schlecht singen nicht reicht, um Vorbild zu sein.

Mutter Theresa

Und dann? Wenn man Erwachsen ist? Wer kommt dann noch als Vorbild in Frage?
Meine Antwort ist: kaum jemand. Es ist bezeichnend, dass in der zitierten Umfrage neben Vater und Mutter die üblichen Verdächtigen die Spitzenpositionen eingenommen haben: Mutter Theresa (2.), Nelson Mandela (4.), Mahatma Gandhi (7.), der Dalai Lama (12.). Ich käme mir ehrlich gesagt lächerlich vor, würde ich einen der Genannten als mein Vorbild bezeichnen. Ich meine, wie klingt das denn, wenn, sagen wir mal, der Hans tagsüber seinem Beruf als Optiker nachgeht, abends mit seiner Frau und ein...zwei Bier fernsieht und dann sagt, sein Vorbild sei Mutter Theresa? Die Genannten scheinen mir weniger konkrete Vorbilder zu sein als mehr Projektionsflächen für all jene, für die auf dieser Welt die Moral zu kurz kommt, für all jene die sagen: „Wenn auf dieser Welt nur Mutter Theresas und Mahatma Gandhis leben würden, dann hätten wir es leichter.“
Die Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2003 wird übrigens endgültig ad absurdum geführt dadurch, dass Günther Jauch Platz 11 erreicht hat. Nach Jesus Christus und vor dem Dalai Lama.

Aber was ist das nun mit den Vorbildern? Was ist der Grund dafür, dass den Deutschen offenbar zuvorderst nur ihre Eltern, die ewige Mutter Theresa und Konsorten und Günther Jauch einfallen?

Ich Ich Ich

Es spricht einiges dafür, dass Vorbilder nicht in unsere Zeit passen. Wir leben in einer Zeit, in der die Individualität, die Selbstverwirklichung ins Zentrum gerückt ist. Je wichtiger es uns wird, uns selbst zu verwirklichen, je weniger können wir Maßstäbe akzeptieren, die von außen kommen. Wir können die Kirche als übergeordnete Autorität nicht akzeptieren, wir können uns auch nur bedingt an ein Eheversprechen halten, Kinder sind auch so die Frage, denn sich die ans Bein zu binden bedeutet ganz nachdrücklich nicht mehr im Mittelpunkt stehen zu können. Und bezogen auf Vorbilder bedeutet dass Gesagte: Je mehr ich mich an einem Vorbild orientiere, desto weniger orientiere ich mich an meiner eigenen Individualität. Zugespitzt könnte man zusammenfassen: individuell sein und ein Vorbild haben passt nicht zusammen.

Während der letzte Absatz quasi die Nachfrageseite betrifft, ist auch die Angebotsseite im Niedergang begriffen. Wir leben nämlich nicht nur in einer Welt der Individualisierung, wir leben auch in einer Welt der Spezialisierung. Es gibt sie eben nicht mehr, diese Gelehrten, diese Weisen. Statt Weisheit gibt es Wissen, statt Gelehrte gibt es Experten. Und Personen wie Helmut Schmidt, die mit einer grotesk wirkenden Arroganz meinen, zu allem etwas sagen zu können, werden zu Recht belächelt.

Ich bin ein Kind dieser Zeit, ich habe keine Vorbilder. Und von den Pilates-Leuten erwarte ich, dass sie mir sagen, warum Pilates für mich gut ist. Ich erwarte, dass sie mich überzeugen, es reicht mir nicht, dass sie Richard Gere, Madonna oder Brad Pitt überzeugt haben. Und wenn ihnen das gelungen ist, dann mache ich vielleicht Pilates. Vielleicht!

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