Das Volk und seine Gesetze

Recht Nach Artikel 20 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz geht alle Staatsgewalt vom Volk aus. Dieser Beitrag geht der Frage nach, was das in der Praxis bedeuten kann

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Wir leben in einer Demokratie. Und deswegen sind das alles wir, die Gesetzgebung, die Vollziehung der Gesetze, die Rechtsprechung. Daran ändert auch der repräsentative Charakter unserer Demokratie im Grundsatz nichts.

Das ist die Idee. Wie aber das Verhältnis des Bürgers zu „seinen“ Gesetzen tatsächlich beschaffen ist, soll anhand dreier Beispiele beleuchtet werden:

1. Das Grundgesetz

Das Grundgesetz heißt Grundgesetz und nicht Verfassung, weil man bei seiner Erarbeitung im Jahr 1949 seinen vorläufigen Charakter zum Ausdruck bringen wollte. Eine Verfassung sollte es erst nach einer Wiedervereinigung geben, man wollte mit einer Verfassung Westdeutschland als abgegrenzten Staat in keiner Weise zementieren.

Dass es nach der Wiedervereinigung gut 50 Jahre später beim Grundgesetz blieb, mag mit dem guten Image zusammenhängen, welches das Grundgesetz – und mit ihm sein Gericht, das Bundesverfassungsgericht – genießt.

Dieses gute Image des Grundgesetzes besteht, obwohl die Deutschen darüber niemals unmittelbar abgestimmt haben. Das vom sogenannten Parlamentarischen Rat erarbeitete Grundgesetz wurde von den drei westlichen Militärgouverneuren genehmigt und von den Landtagen (abgesehen vom Bayerischen Landtag, der die erforderliche Zweidrittelmehrheit aber nicht verhindern konnte) angenommen.

Diese Entstehungsgeschichte wird hin und wieder – gerne von zwielichtigen, braunen Gestalten – zum Anlass genommen, die Wirksamkeit des Grundgesetzes – und damit auch von den aufgrund des Grundgesetzes erlassenen Gesetzen - in Zweifel zu ziehen.

Zwar legt es der Grundgedanke der Demokratie sehr wohl nahe, dass das Volk sein Grundgesetz oder seine Verfassung unmittelbar selbst bestimmt, als zwingendes Wirksamkeitserfordernis wird man dies aber nicht ansehen können.

Dies folgt daraus, dass es kein Gesetz geben kann, welches regelt, unter welchen Voraussetzungen ein Grundgesetz wirksam ist. Vor dem Grundgesetz gibt es gar kein Gesetz, sonst wäre dieses das Grundgesetz. Es kommt bei einem Grundgesetz oder einer Verfassung deswegen immer darauf an, dass dieses eine gewisse Akzeptanz in der Bevölkerung hat, wie auch immer es zustande gekommen ist. Auf die hohe Akzeptanz unseres Grundgesetzes wurde oben schon verwiesen.

2. Das Strafrecht

Man mag dies als selbstverständlich ansehen, doch der fragmentarische Charakter des Strafgesetzbuches und der übrigen Strafgesetze ist durchaus einer Erwähnung wert. Nur was ausdrücklich in den Strafgesetzen als strafbare Handlung beschrieben ist, ist strafbar. Alles andere nicht. Zumindest theoretisch soll der Bürger in die Strafgesetze schauen und prüfen können, was er alles tun kann (oder unterlassen, im Fall der Unterlassungsdelikte) und wobei ihm eine Strafe droht. Interessant und von rechtshistorischer Bedeutung ist das folgende Beispiel:

Ein Stromdieb wurde rechtskräftig freigesprochen, weil Strom keine Sache ist und weil Diebstahl nach § 242 StGB ausdrücklich auf Sachen begrenzt ist. In anderen Rechtsgebieten wäre das erkennende Gericht sicher schnell mit einer Analogie zur Stelle gewesen (es lag eine offensichtliche Regelungslücke vor und der Unwertgehalt der Tat war mit einem Diebstahl von Sachen vergleichbar), doch nicht so im Strafrecht. Dort ist eine Analogie zu Lasten des Täters verboten. Allerdings hat der Gesetzgeber diesen Fall zum Anlass genommen, einen neuen § 248c ins StGB aufzunehmen, der die Entziehung elektrischer Energie unter Strafe stellt.

3. Der Zivilprozess vor den Amtsgerichten

Die Amtsgerichte urteilen wie die anderen Gerichte auch Im Namen des Volkes und aufgrund in der Regel öffentlicher Verhandlung.

Angesichts tatsächlich bestehender oder zumindest angenommener Gefahr, sind in Berlin an den Amtsgerichten Eingangskontrollen mit Metalldetektoren aufgebaut, strenge Justizwachtmeister fragen mit skeptischem Blick die Besucher nach ihrem Anliegen. Kaum jemand, der nicht als Partei oder jedenfalls als Angehöriger oder Vertreter einer Partei am Prozess beteiligt ist, verirrt sich in die Gerichte und in die Verhandlungssäle. Von einer nur theoretischen Öffentlichkeit zu sprechen, von einem Urteilen im Namen des Volkes unter faktischem Ausschluss des Volkes auszugehen, erscheint nicht fernliegend.

Die vermeintliche Volksnähe der Amtsgerichte wird noch dadurch erhöht, dass hier kein Anwaltszwang besteht. Der Bürger kann selbsttätig Klage erheben, er kann sich selbst gegen eine Klage verteidigen. Dies kann auch Erfolg haben, jedoch wegen des streng formalisierten Prozessrechts oft nur mit engagierter Hilfe des Richters. Und wenn der Richter dazu nicht bereit ist, dann kann ein Prozess durchaus nur deswegen verloren gehen, weil ein Beklagter ohne Rechtsanwalt zu spät den Tatsachenvortrag des Gegners bestritten hat, auch wenn dieser nicht zutrifft.

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