Die zwei Opfer von Florenz

Santa Croce Fahrlässige Taten stellen die Frage der Sinnhaftigkeit von Strafe in besonderer Weise

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Vor zwei Tagen hat sich aus der Decke der Basilika Santa Croce in Florenz ein Stein gelöst und einen spanischen Touristen erschlagen. Der 52 Jahre alte Mann war sofort tot. Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung Ermittlungen aufgenommen, gegenwärtig noch gegen unbekannt. Sollte sich herausstellen, dass irgendjemand bei pflichtgemäßem Handeln diesen Unfall hätte vermeiden können, dann kommt es zu einem Strafverfahren, wie es auch zu einem Strafverfahren gekommen wäre, wenn der spanische Tourist vorsätzlich erschossen worden wäre.

Auch Täter vorsätzlicher Straftaten sind oftmals nicht nur Täter, sondern auch Opfer, Opfer einer Kindheit zum Beispiel, die ihnen bei genauerer Betrachtung oftmals kaum eine Chance gegeben hat. Täter vorsätzlicher Taten weisen sich jedoch durch eine Gesinnung aus, die, unabhängig von ihren Ursachen, gesellschaftlich missbilligt wird. Wer sich bewusst entscheidet, andere Menschen zu verletzten oder gar zu töten, der muss auch damit leben, dafür bestraft zu werden; so jedenfalls die landläufige Meinung.

Täter fahrlässiger Taten sind jedoch oftmals in einer Weise ebenfalls Opfer, dass sich die Frage der Sinnhaftigkeit von Strafe besonders drängend stellt.
Die Strafrechtstheorie kennt als Begründung für Strafe das Ziel der Prävention und das Ziel der Vergeltung. Generalpräventiv werden durch Strafe möglicherweise andere von der Begehung einer ähnlichen Tat abgehalten, spezialpräventiv wird etwa durch eine Gefängnisstrafe der Täter selbst davon abgehalten, seine Tat zu wiederholen. Das Ziel der Vergeltung ist zu alltäglich, als dass es hier gesondert erklärt werden müsste.
Abgesehen davon, dass es Studien gibt, die einen Zusammenhang zwischen höheren Strafen und weniger Kriminalität generell verneinen, weckt der präventive Strafzweck jedenfalls bei fahrlässigen Taten erhebliche Zweifel. Verhält man sich im täglichen Leben tatsächlich vorsichtiger, weil man weiß, dass einem im Fall eines Unfalls ein Strafverfahren droht? Und ist es notwendig, jemanden, der mal nicht aufgepasst hat, gleich einzusperren? Würde es nicht etwa reichen, ihn von seiner Tätigkeit zu entbinden, in der er sich fahrlässig verhalten hat? Und ist es nicht geradezu unmenschlich, an einem Menschen Vergeltung zu üben, der künftig damit leben muss, dass durch seine eigene Unachtsamkeit ein Mensch gestorben ist?

Es gibt verschiedene Formen der Fahrlässigkeit und es ist bislang unbekannt, wie es zu dem Unfall in Florenz kommen konnte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Unfall auf einer Nachlässigkeit beruht, die zwar nicht die Voraussetzungen von Vorsatz erfüllt, die aber dennoch von einer fehlenden Wertschätzung der Sicherheit anderen Menschen zeugt. Die Strafjustiz kennt jedoch Fälle fahrlässiger Tötung, bei denen die Unachtsamkeit der Täter sich so darstellt, dass die meisten von uns zugeben müssen, dass ihnen selbst das auch hätte passieren können. Jedenfalls in diesen Fällen sollte der Sinn von Strafe ernsthaft in Frage gestellt werden.



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