Es geht um die Sache

Piraten Angeblich befinden sich die Piraten in der Krise. Erstens stimmt das nicht und zweitens wäre das auch egal. Es geht nämlich nicht um die Partei, es geht um die Sache.

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Mich hatte schon lange vieles im Politikbetrieb gestört:

  • Das Auftreten von Politikern in der Öffentlichkeit zum Beispiel, wenn sie so tun, als wüssten sie auf jede Frage die richtige Antwort, als würden sie keine Fehler machen.
  • Oder das Machtstreben, der auch und vor allem von den Medien akzeptierte Umstand, dass Politiker ihre sachpolitischen Entscheidungen aus machttaktischen Gründen treffen.
  • Schließlich auch die Hinterzimmer-Politik, die, obwohl doch eigentlich das Parlament für die Gesetzgebung zuständig ist, in den meisten Fällen den Ausschlag zu geben scheint.

Dann kamen die Piraten. Bis zur Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011 nahm ich von dieser Partei eigentlich nur diese orange-gehaltenen Wahlplakate wahr, die mit flotten, oft dem Internet entlehnten Sprüchen daherkamen. Wie durchdacht, ja geradezu revolutionär etwa der Spruch: „WIR SIND DIE MIT DEN FRAGEN, IHR SEIT DIE MIT DEN ANTWORTEN“ war, war mir damals nicht in Ansätzen klar.

Einige Zeit später viel mit dann in der Auslage eines Buchladens ein orangenes Buch in die Hand. Es handelte sich um einen Sammelband über die Piraten, mit Beiträgen von Piraten-Politikern wie Julia Schramm oder Andreas Baum oder von Externen wie Juli Zeh oder Frank Schirrmacher (Die Piraten Partei, alles klar zum Entern? Herausgeberin Friederike Schilbach, Bloomsbury 2011). Ich las und war begeistert.

Ich war begeistert, nicht nur, weil sich mit der Piratenpartei scheinbar Menschen zusammengetan hatten, die das störte, was mich auch störte, sondern auch, weil ich das Gefühl hatte, dass mein Unbehagen mit dem Politikbetrieb eine gewissermaßen historische Dimension hatte, das Politik so, wie sie gemacht wurde, nicht mehr zeitgemäß war.

Ich war schnell davon überzeugt, dass die Veränderungen in der Gesellschaft, die auch in der Politik Veränderungen erzwingen würden, mit der Digitalisierung, mit der Vernetzung der Welt zusammen hingen, mit dem Internet. Wer sich im Internet jederzeit über alles informieren kann, jederzeit über alles austauschen kann, der lässt sich von Politikern nicht mehr abspeisen, die sagen: „schau mal, ich bin allwissend, ich bin perfekt, vertrau mir, ich mach das schon“.

Hier liegt meines Erachtens das erste große Verdienst der Piraten Partei. Sie haben nicht nur andere auf die Generation Internet aufmerksam gemacht, sie haben die Generation Internet auch auf sich selbst aufmerksam gemacht.

Angenommen, die Piratenpartei würde bei der Bundestagswahl 2013 scheitern und sich dann, nach einem letzten, großen shit-hurricane selbst auflösen, würde dieses Verdienst bleiben und seine Wirkung würde nicht verpuffen. Eine Generation, die sich ihrer selbst gewahr geworden ist, die gelernt hat, ihre Bedürfnisse kollektiv zu formulieren, verändert die Gesellschaft, auch über die Politik. Sollte nicht eine andere, neue Partei an die Stelle der Piraten treten (das wäre wohl das Wahrscheinlichste), würden die etablierten Parteien mit Sicherheit fortfahren, die Anregungen, die die Piraten geliefert haben, aufzunehmen.

Wenn eine Generation sich ihrer selbst und ihren Bedürfnissen und Interessen gewahr wird, muss sie sich die Frage stellen, wie sie diese politisch einbringen kann. Dabei liegt es auf der Hand, dass eine aus dieser Generation heraus entstehende Partei eine Partei sein muss, die sich wesentlich von den etablierten Parteien unterscheidet. Das folgt daraus, dass das Unbehagen der Generation Internet mit dem gegenwärtigen Politikbetrieb ja ganz wesentlich mit dem Gebaren der etablierten Parteien zusammenhängt. Es geht eben nicht nur um Inhalte, es geht um den Stil, die Form. Insofern stellt die Piraten Partei einen Feldversuch dar, sie probiert unter realen Bedingungen, wie man im Politik-Betrieb den Bedürfnissen der Generation Internet gerecht werden könnte.

Darin liegt meines Erachtens das zweite große Verdienst der Piraten Partei. Sie steigen in den Ring um nach einem neuen Politikstil zu suchen, der den Interessen und Bedürfnissen der Generation Internet gerecht wird.

Angeblich befinden sich die Piraten gegenwärtig in der Krise. Bei genauerer Betrachtung scheint es sich jedoch weniger um eine Krise, sondern mehr um gewisse Reibungsverluste zu handeln, die zwingend auftreten müssen, wenn man neue Wege sucht, wenn man sich nicht einfach dem anpasst, was schon da ist. Ist es nicht zwingend, dass einer Partei fehlende Inhalte vorgeworfen werden, die Antworten auf Sachfragen immer wieder neu durch die Basis über das Liquid-Feedback ermitteln will? Ich erinnere nur an das Wahlplakat: „WIR SIND DIE MIT DEN FRAGEN, IHR SEIT DIE MIT DEN ANTWORTEN“. Und ist es nicht wenigstens vorhersehbar, dass eine Partei interne Personalquerelen erleiden muss, wenn sie die Bedeutung der einzelnen Person verringern will, wenn sie an die Stelle des großen starken Mannes oder der großen starken Frau den Schwarm stellen will?

Die Piraten sind der politische Arm der Generation Internet. Diese Generation ist die Speerspitze einer digitalen Revolution, die schon dabei ist, die Gesellschaft grundlegend zu verändern. Darum geht es. Mit der Gesellschaft wird sich auch die Politik ändern. Das ist zwingend. Ob dies auch in zehn Jahren noch mit den Piraten passiert ist eigentlich egal. Es geht um die Sache. Wie sagte einst Marina Weisband: „Selbstauflösung ist das Ziel meiner Partei.“

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