Gegen die Spaßgesellschaft

Roofing Roofer setzen täglich ihr Leben aufs Spiel und positionieren sich damit gegen die Spaßgesellschaft.

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Welches Verhältnis zum eigenen Leben haben eigentlich diejenigen Menschen, die der vor allem in Russland populären Trendsportart „Roofing“ nachgehen?

Auf Videos, welche die „Roofer“ von sich aufnehmen und ins Netz stellen, sieht man Jugendliche, die auf so grotesk hohen Bauwerken herumklettern - ohne Sicherung freilich - dass man seinen Augen nicht traut.

Sind diese meist jungen Menschen schon in diesem Alter lebensmüde? Treibt die materialistische Welt, in der der Mensch Menschenmaterial ist, sie zur derlei Aktionen? Treiben diese Menschen nur das auf die Spitze, was auch Costa Cordalis ins Dschungelcamp getrieben hat: Aufmerksamkeit um jeden Preis?

Die Roofer selbst sprechen, wie in einer Reportage bei Spiegel-TV, etwa von einer „überwältigenden Freude, gemischt mit großer Angst“, von einer „Gefühlsexplosion“.

Das nimmt man den Roofern wohl leicht ab. In schwindelerregender Höhe über ein schmales Metallgerüst zu balancieren, dass ist sicher ein Gefühl, wie es die meisten Menschen nicht kennen und auch nicht kennenlernen werden. Das muss man mit Neid anerkennen.

Nun stehe ich trotzdem nicht kurz davor, auch ein Roofer zu werden, schon allein, weil ich meinen Tod vielen lieben Menschen um mich herum nicht zumuten will und weil man ja auch sagen kann, dass ein früher Tod viele schöne Gefühle, die da noch kommen können, abschneiden würde, dennoch halte ich die Intention der „Roofer“ für mehr als nachvollziehbar.

Wenn ich manchmal denke, ich könnte in meinem Leben etwas verpassen, dann sind das bestimmte, ganz außergewöhnliche Gefühle:
Ich werde wohl nie bei Olympia auf dem Treppchen ganz oben stehen, mit der Goldmedaille um den Hals, und mit Tränen in den Augen die deutsche Nationalhymne hören. Ich werde wohl auch nie im Londoner Hyde Park vor 150.000 Menschen einen Song wie „everybody hurts“ von R.E.M. singen, und zwar als derjenige, der diesen Song geschrieben hat und mit dessen Stimme dieser Song untrennbar verbunden ist.

Die „Roofer“ wachsen in einer Spaßgesellschaft auf. Wenn Menschen auf die Frage nach dem, was sie in ihrem Leben erreichen wollen, „Spaß“ antworten, dann könnte ich gewalttätig werden. „Spaß“ ist so ein oberflächliches Gefühl.
Diese Menschen, die „Spass“ haben wollen in ihrem Leben, diese Menschen wollen auch immer zu „feiern gehen“. Feiern, feiern, feiern, das ganze Leben lang feiern, ganz egal, ob es einen Anlass gibt oder nicht.
Diese Menschen wollen auch immerzu lachen, immerzu irgendetwas zu lachen haben, und dann schauen sie eben auch Mario Barth, Paul Panzer, Michael Mittermeier, Mirja Boes und wie sie noch so alle heißen zu und lachen sich die Seele aus dem Leib - im Wortsinn geradezu - und dann hatten sie wieder was zu lachen und dann haben sie das Gefühl, sie können zufrieden sein mit ihrem Leben, weil sie so viel Spaß haben.

Im Gegensatz dazu sind mir die „Roofer“ sehr sympathisch. Im Gegensatz zu diesen Spaß-Gesellen scheinen sie das Leben ziemlich ernst zu nehmen, obwohl sie es jeden Tag aufs Spiel setzen.

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