Merkel und die Umfragen

Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel orientiert ihre Politik im Wesentlichen an Meinungsumfragen

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Dass Angela Merkel gerne immer erst mal abwartet, kann man schon länger beobachten. Einem Bericht des Spiegel (Ausgabe Nr. 37/8.9.2014) zufolge wartet Merkel – wenn sie abwartet – aber nicht darauf, dass die öffentliche Diskussion einen gewissen Meinungsstand herausgebildet hat, dass sich gezeigt hat, wo die Fronten im Meinungsstreit verlaufen. Der Grund, warum Merkel abwartet, ist noch pragmatischer, als man es selbst der Kanzlerin vielleicht zugetraut hätte. Merkel wartet auf die Ergebnisse der Meinungsumfragen zu dem grade aktuellen Thema und Meinungsumfragen dauern ihre Zeit.

Merkel regiert, so der Spiegel, im Wesentlichen nach Meinungsumfragen und dieser Befund kann durchaus Entrüstung hervorrufen: Hat diese Frau keine eigenen Überzeugungen? Hat sie keine großen Linien einer eigenen Politik, die sie auch gegen den Widerstand einer Mehrheit durchzusetzen vermag?

Mit ihrer an Meinungsumfragen orientierten Politik pflegt Angela Merkel eine Form der direkten Demokratie, die an die Piraten und ihre Idee der „Liquid Democracy“ erinnert; wenn auch nur inoffiziell. Tatsächlich tritt dabei die Regierungschefin mit einer – möglicherweise bestehenden – eigenen politischen Überzeugung in den Hintergrund, entschieden wird, wie es dem Mehrheitswillen entspricht.

Ob dieser Form der direkten Demokratie die Zukunft gehört, ist eine Grundsatzfrage. Leider – und erst hier wird es wirklich problematisch – stellt Merkel diese Grundsatzfrage – anders, als vor allem die Piraten – nicht zur Diskussion. Aufgrund der Tatsache, dass Merkel ihre Form der „Liquid Democracy“ inoffiziell, fast klammheimlich, durchführt, ergeben sich eine Reihe von erheblichen Missständen:

  • Angela Merkel ist eben nicht mit einer Idee der direkten Demokratie im Wahlkampf angetreten, sondern mit konkreten politischen Inhalten, für die sie ihre Wähler gewählt haben. Es verletzt Vertrauen und fördert Politikverdrossenheit, wenn Merkel aufgrund veränderter Merheitsverhältnisse von ihrem Wahlprogramm nichts mehr wissen will.
  • Die unzähligen Umfragen, die Merkel – wohlgemerkt mit staatlichen Mitteln – erstellen lässt, sind nicht allgemein zugänglich. Weder für den politischen Gegner, noch für die Bevölkerung. Merkels umfangreiches Wissen über die Stimmung in der Bevölkerung gibt ihr einen unfairen, demokratiewidrigen Vorsprung im Wahlkampf.
  • In der Merkel’schen Form der „liquid democracy“ entscheidet das Volk, ohne zu wissen, dass es entscheidet. Damit entscheidet das Volk aber auch ohne Verantwortung. Denn verantwortlich handeln kann nur derjenige, der sich den Folgen seines Handelns bewusst ist. Es ist ein entscheidender Unterschied, ob ein Bürger – wie etwa von den Piraten vorgesehen – ganz bewusst bei einer Mehrheitsentscheidung seine Stimme abgibt, oder ob ein Bürger, zufällig von einem Meinungsforschungsinstitut angerufen, aus dem Bauch heraus etwas von sich gibt.

Indem Merkel ihre Form der direkten Demokratie im Verborgenen durchführt, erscheint sie nicht als Visionärin, sondern eben doch als Machtpolitikerin, die Umfragen nutzt, um als Mutti der Nation die Mehrheit hinter sich zu wissen. Sie ist und bleibt dabei auch deswegen die „Mutti“, weil sie sich zwar nach der Mehrheitsmeinung richtet, weil sie dies aber eben nur inoffiziell tut und damit der Bevölkerung das Gefühl erspart, Verantwortung zu tragen. Letztlich hält Merkel doch über alles ihre Hand und wenn das Volk, wie etwa in der Euro-Politik, doch zu arg unvernünftig ist, dann weicht Merkel auch mal von der Mehrheitsmeinung ab. Diese Möglichkeit hätte sie nicht, wenn sie – wie die Piraten – die „liquid democracy“ offiziell zu ihrer Politik machen würde.

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