Professionalisiertes Flirten

Liebe Über Online-Dating-Seiten und Pick-up-artists

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wie wichtig die Liebe ist wussten schon die Beatles und weil die Liebe so wichtig ist, weil die Menschen, die wir lieben, in unserem Leben so eine große Rolle spielen, neigen wir dazu, in der Liebe etwas Schicksalhaftes, etwas Mystisches zu sehen. „Wir sind für einander bestimmt“, „wir können nur miteinander“, „wir sind seelenverwandt“, zu derartigen Sätzen sind angesichts der Liebe selbst Menschen in der Lage, die sonst nur an wissenschaftliche Beweise glauben.

Aber Menschen sind auch Geschäftemacher und daher muss es so sein, dass angesichts der Liebe, angesichts des Bedürfnisses der Menschen nach Liebe, so mancher sein Geschäft macht. Partnervermittlungsportale im Internet stehen hoch im Kurs und Flirtcoaches bieten gegen Geld ihre Dienste an.

Wenn etwa das Portal elitepartner.de anhand von Fragebögen und geheimen Algorithmen aus einer großen Menge von Liebe-Suchenden scheinbar geeignete Partner auswählt und vorschlägt, dann fehlt alles Schicksalhafte und Mystische, dann nimmt der Mensch die Liebe in die Hand, überlässt sie nicht dem Zufall. Anstatt darauf zu warten, dass das Schicksal mich schon der Mutter meiner zukünftigen Kinder über den Weg laufen lässt, melden wir uns beide eben bei elitepartner.de an und weil wir natürlich exakt dieselben Interessen haben, finden wir dann auch zusammen.

Der Flirtcoach Steven Bethke gibt Flirtseminare und betreibt einen eigenen Youtube-Kanal unter dem Spitznamen „Devil“. Er siehst sich selbst als Pick-up-artist, kurz Pua, und greift auf der Straße so viele Telefonnummern ab, das einem schwindelig werden kann.

Bei Youtube hat Devil über 40.000 Abonnenten und seine Videos erreichen mehrere Zehntausend Klicks. Fast 400.000 Klicks hat bisher ein Video, in dem Devil in gut 20 Minuten „die 100 dümmsten Anmachsprüche“ testet, ganz real, mit echten Mädchen und Frauen, mit versteckter Kamera aufgezeichnet. Einige Telefonnummern kamen auch dabei rum.

Dabei sieht Devil gar nicht besonders gut aus und wer seinen Auftritt bei „Neo Paradise“ gesehen hat, findet: „Der Typ kocht nur mit Wasser!“ Sprüche wie „weißt du wo die Post ist?“ oder „kennst du nen guten Club?“ sind doch eigentlich ziemliche Rohrkrepierer.

Aber das gehört zum Programm. Wer würde sich von einem Flirt-Coach coachen lassen, dessen Erfolg ersichtlich auf einem herausragenden Aussehen oder auf einer herausragenden Redegewandtheit beruht. Wer würde da nicht sogleich resignieren und sagen: „ja klar hat der Erfolg“.

Hinter Devil steht das Versprechen, auch aus einem Loser einen Flirt-King zu machen, er gibt Tipps zum Outfit, zur richtigen Körperhaltung, zur inneren Einstellung und zu den richtigen „openers,“ also zu den Sprüchen, mit denen man auf eine Frau zugehen kann, auf der Straße, im Supermarkt oder in der Disko (also zum Beispiel: „Wo ist die Post?“).

Wenn man Videos wie das mit den 100 dümmsten Anmachsprüchen (oder alternativ das Video mit den 60 frechsten Anmachsprüchen) sieht, hat man aber das Gefühl, dass es vor allem die Masse ist, die zum Erfolg führt. Wenn man sich ein schönes Sakko anzieht, sich die Zähne putzt, die Haare ordentlich kämmt, dann wird von 100 Frauen eine schon „ja“ sagen. Und wenn man pro Tag 20 anspricht, dann sagen im Monat 6 „Ja“ und im Jahr 72.

Durch diesen Aspekt der Masse ähnelt die „Devil-Method“ der „Elitepartner.de-Method“. Auch dort sagt man sich: „Wenn wir nur genug Liebe-Suchende in unserem Pool haben, dann findet sich schon für jeden Topf der passende Deckel“. Dann muss man nicht mehr darauf hoffen, dass die neue Arbeitskollegin oder die neue beste Freundin der Freundin des Freundes zufällig die Richtige ist. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Devil, dessen „Spielfeld“ Berlin ist, laufen jeden Tag neue Frauen über den Weg und bei Elitepartner und den anderen Internetseiten melden sich sicher jeden Tag neue Singles an.

Angesichts dieser professionalisierten Partnersuche bin ich froh, dass ich meiner Freundin „zufällig“ über den Weg gelaufen bin. Denn hätte ich sie auf einer Online-Single-Börse kennengelernt oder als professioneller Flirter auf der Straße, da wäre unsere Beziehung mir zu austauschbar. Bei jedem Streit hätte ich Angst, dass sie ihren Account bei Elitepartner wieder aktiviert oder auf der Straße von einem anderen Pua angesprochen wird. Diese Entwicklung passt zu unserer individualisierten Gesellschaft, gefallen muss sie einem nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden