Räuber und Gendarm

Werbung Das Verhältnis von Werbeindustrie und potentiellen Kunden ist zerrüttet. Es ist an der Zeit, aufeinander zuzugehen.

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In der realen wie in der virtuellen Welt hat die Werbung uns fest im Griff. Es gibt kein Entkommen. Wenn man aber denkt: „das ist es jetzt gewesen, mehr geht nicht...“ dann liegt man falsch.

Neue Ufer

Schon längst ist die Werbeindustrie zu neuen Ufern aufgebrochen, bloße Omnipräsenz reicht ihr nicht mehr. Jetzt geht es darum, die Werbebotschaft an den potentiellen Kunden möglichst genau anzupassen, jetzt geht es darum, möglichst schon vor dem Kunden zu wissen, wonach ihm als nächstes der Sinn steht, auf welche Werbung er am ehesten anspringen wird. Die dafür relevanten Informationen ergeben sich ganz überwiegend aus der Nutzung des Internets durch den Kunden, sei es von zu hause aus oder mobil.

Der Wert von Internetportalen wie zum Beispiel Facebook ergibt sich daraus, dass die Kunden dort unzählige persönliche Daten hinterlassen - nicht nur durch Profilangaben oder Fotos, sondern zum Beispiel auch durch das sogenannte liken – welche dabei helfen, die Werbung möglichst genau anzupassen. Wichtig ist darüber hinaus natürlich auch, dass die Kunden lange Zeit auf diesem Portal verweilen, lange Zeit, in der sie dann mit der personalisierten Werbung konfrontiert werden können.

Räuber und Gendarm

Während Werbung früher, jedenfalls aus heutiger Sicht, noch Charme gehabt zu haben schien (man denke nur an dieses tolle HB-Männchen), ist sie heute vor allem eines: nervig. Darüber hinaus zerstört sie Kultur (das Westfalenstadion sollen wir jetzt Signal Iduna Park nennen) und wirkt vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Daten-Sammel-Wut sogar bedrohlich. In gewisser Weise spielen Werbeindustrie und potentielle Kunden Räuber (Kunde) und Gendarm (Werbeindustrie), bei dem der Räuber gnadenlos unterlegen ist, weil der Gendarm überall immer schon ist, überall! Immer!

Es ist nicht alles schlecht

Die ablehnende Haltung gegenüber der Werbung verkennt aber, was die Werbung uns alles ermöglicht, was die Werbung alles bezahlt. Das beste Beispiel ist hier sicher immer noch das Privatfernsehen, Stefan Raab ist in der Lage, in einer Show 500.000 € rauszuhauen, wir dürfen uns das ansehen und müssen nichts bezahlen. Der Spitzenfußball, der in unseren Stadien (zum Beispiel im Westfalenstadion!) geboten wird, ist ohne Werbung ebenfalls undenkbar. Und schließlich eben das Internet: Facebook, Google, alles umsonst!

Es stellt sich die Frage, ob es uns das nicht wert sein sollte. Sind wir nicht trotzdem in der Lage, unsere Kaufentscheidungen eigenständig zu treffen? Können wir nicht der Werbeindustrie geradezu ein Schnippchen schlagen, indem wir bei der Fernsehwerbung einfach den Ton abschalten, indem wir einfach weggucken?

Wir leben heute in einer Gratis-Kultur, zahlreiche Internetplattformen haben die Erfahrung gemacht, das Gebühren nicht funktionieren, dass die Nutzer nicht mehr bereit sind, für Leistungen zu bezahlen, dass ihnen Werbung lieber ist. Vor diesem Hintergrund ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen ein staatlich verordnetes Relikt aus einer anderen Zeit. Auch Pay-TV scheint jedenfalls in Deutschland nicht zu funktionieren, man könnte sagen: „zum Glück“, denn was die Pay-TV Nutzer bezahlen können, kann sich die Werbeindustrie schon lange leisten (Champions League, Wimbledon, Blockbuster usw.)

Gegenseitige Annäherung

Vielleicht muss es eine gegenseitige Annäherung geben zwischen der Werbeindustrie und den Kunden. Die Kunden müssen vielleicht, mehr als zuvor, erkennen, wie sehr sie von der Werbeindustrie profitieren. Die Werbeindustrie müsste vielleicht akzeptieren, dass es gewisse Grenzen gibt (Westfalenstadion!) und sie müsste vor allem offenlegen, wie sie schon heute unendlich viele Daten der Kunden speichert, auswertet und benutzt. Man kommt nur miteinander aus, wenn man sich gegenseitig versteht. Das ist in jeder Beziehung so, auch in der zwischen Werbung und Kunde.

Empfehlenswert: Die Datenfresser, von Constanze Kurz/ Franz Rieger, S. Fischer 2011

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