NEOLIBERALISM KILLS

NEOLIBERALISMUS: WAS HABEN DIE WALDBRÄNDE IN KALIFORNIEN MIT DER HERRSCHENDEN MARKTIDEOLOGIE ZU TUN? UND WO LIEGT DIE LÖSUNG?

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Wie die Süddeutsche meldete, gehen die Waldbrände in Kalifornien vom letzten November auf einen Kurzschluss zurück: Eine mardode Stromkabel-Halterung war gebrochen – Kurzschluss – ein Funke – der Wald ringsum strohtrocken – ein Feuer-Inferno, das mit 80 km/h (!) pro Sekunde Flächen groß wie Fußballfelder frisst – und am Ende waren 86 Menschen tot, 9600 Häuser zu Asche verbrannt, das gesamte Hab und Gut dieser Menschen.

Wie immer twitterte der US-Präsident reflexartig mit der herzlosen Niedertracht, an die man sich nie gewöhnen wird: Selber schuld! Hättet ihr die Wälder richtig abgeholzt! Dabei steht

"das Gebiet, in dem das Feuer ausbrach, […] unter Bundesverwaltung, also unter der Verantwortung einer Behörde, der Trump gerade das Budget zusammengestrichen hat. Und mit Wald und dessen Pflege und Bewirtschaftung hat das ganze ohnehin nichts zu tun: Das Feuer fraß sich über verdorrte Steppen, die seit Monaten keinen Tropfen Regen abbekommen hatten. 'Der Klimawandel war zweifellos ein Grund dafür, dass die Feuer mehr Verwüstung und Zerstörung angerichtet haben als in den vergangenen Jahren', klärte die Feuerwehr den Präsidenten auf." (SZ)

Der Netzbetreiber Pacific Gas and Electric ließ zuerst bekanntgeben, ein eigenes Expertenteam habe Einschusslöcher an einem Hochspannungsmast gefunden. Urheber unbekannt, Schuldfrage nicht zu klären. Doch die fadenscheinige Ausrede wurde nun als Ablenkungsmanöver entlarvt. Es wird als erwiesen angesehen, dass die Ursache eine altersschwache Kabelhalterung war. Wegen mehrerer ähnlicher tödlicher Brände der letzten Jahre, bei denen ebenfalls nicht-isolierte Strom-Oberleitungen als Ursache vermutet werden verfolgte man das Unternehmen schon mit Argusaugen.

Deshalb wird PB&E nun wohl mit Milliardenzahlungen zur Verantwortung gezogen werden. Die bisherige CEO von PB&E hat vor einigen Wochen schon mal vorsorglich das sinkende Schiff verlassen. Der Interims-Chef, der die Schadenersatzforderungen aus den Bränden 2017 und 2018 auf 30 Milliarden Dollar schätzt hat noch am Tag seiner Geschäftsübernahme um Insolvenz angesucht. Wenn sie akzeptiert wird, werden die Gläubiger durch die Finger schauen, einschließlich der Opfer des Brandes mit ihren Schadenersatzforderungen. Das muss man erst einmal verdauen: Wenn sich ein Gast bei uns einen Stromschlag wegen einer mangelhaft befestigten Steckdose einfängt, werden wir als Kleinunternehmer dafür gnadenlos zur Verantwortung gezogen. Bei PB&E gibt es niemanden, der persönlich dafür haften würde, jahrzehntelang im Interesse der Anleger die Strominfrastruktur des Unternehmens verkommen haben zu lassen. Das waren Jahrzehnte hindurch bewusste Entscheidungen der Konzernleitung! Das damit verbundene Risiko war ihnen bewusst, und trotzdem haben sie ihre Einrichtungen verrotten lassen, um höhere Renditen zu generieren. Und abgesehen davon, dass kein Mensch persönlich für seine Schuld zur Rechenschaft gezogen werden kann haftet der Konzern nicht einmal finanziell, wenn das Insolvenzverfahren durchgeht. PB&E könnte seine Geschäfte munter fortführen wie bisher.

Diese düsteren Aussichten haben Erin Brockovich wieder auf den Plan gerufen. Ja, die gibt es wirklich, nicht nur im Film. Sie war es, die 1996 als Rechtsanwaltsgehilfin PB&E (!) schon einmal kleingekriegt und von dem Konzern 333 Millionen Dollar wegen Trinkwasserverseuchung erstritten hatte.

Sie verweist auf offene Briefe eines der größten Anteilseigners von PB&E, BlueMountain Capital, in denen es heißt: "Es gibt überwältigende Beweise dafür, dass PG&E solvent ist […] Wir können uns einfach nicht an eine Situation erinnern, in der ein so wertvolles Unternehmen mit so schamlosen Fragen bezüglich der Notwendigkeit des Konkurses Insolvenz angemeldet hat." – Wie auch immer die Geschichte weitergeht, ist sie Anlass genug, sich über das Muster Gedanken zu machen, das in diesen Ereignissen deutlich wird und das ich in FGB vielfach analysiert habe.

WENN DAS SYSTEM DAS PROBLEM IST, KANN AUCH DIE LÖSUNG NUR IN EINER SYSTEMÄNDERUNG LIEGEN

Um das System darin zu erkennen, braucht man nur rückwärts zu fragen:

• Warum waren die Stromleitungen marode? Weil der PB&E sie nicht gewartet und die hohen Kosten einer unterirdischen Kabelverlegung vermieden hatte.

• Warum hält PB&E sie nicht instand? Weil das viel Geld kostet.

• Doch die Aufgabe von Konzernen ist nicht, Geld auszugeben, sondern möglichst viel einzunehmen, damit sie möglichst viel Rendite an die Investoren ausschütten können.

• Warum ist PB&B wie viele andere Privatunternehmen überhaupt Eigentümerin der Strom-Infrastruktur? Weil die Energieversorgung wie der größte Teil der einst staatlichen Infrastruktur privatisiert wurde.

• Aber warum gibt es keine strengeren gesetzlichen Regelungen? Weil solche laufend verhindert werden, denn strikte Regulierung widerspräche dem Credo der Deregulierung der Märkte.

• Warum wird überhaupt so hemmungslos privatisiert und dereguliert? Weil das die tragenden Säulen des Neoliberalismus sind, jener Markt-Ideologie, die seit den 80er Jahren das Wirtschaftsleben beherrscht, vorangetrieben von Margaret "there is no such thing as society" Thatcher, Ronald Reagan und all ihren Nacheiferern.

Es führt eine lückenlose Kausalkette für die Schuld an den Todesopfern und den Verwüstungen des verheerenden Waldbrands zu ihrer eigentlichen Ursache: dem Neoliberalismus. Neoliberalism kills.

DER ÜBERFÄLLIGE WIRTSCHAFTLICHE PARADIGMENWECHSEL: INKLUSIVE MÄRKTE

Auch PB&E ist in diesem System "nur" ein Rädchen, das sich entweder mitdreht oder zerrieben wird. Darum freut euch nicht zu früh, sollte den Opfern der Brände von PB&E Gerechtigkeit widerfahren: "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch" (Brecht). So lange nicht das neoliberale System vom Kopf auf die Füße gestellt wird, wird sich nichts grundlegend ändern. Man muss dafür die Märkte nicht strenger staatlich regulieren, wie das nun Alt- und Neulinke, die frischen Aufwind spüren fordern. Strengere gesetzliche Regelungen für Unternehmen: ja, aber die Märkte können sich selbst regulieren, wenn alle Marktteilnehmer daran mitwirken können. Das Problem sind nicht die Märkte an sich; das Problem ist, dass die Big Player alle weniger mächtigen Marktteilnehmer daran hindern, die Märkte zu beeinflussen. Sie dominieren die Märkte exklusiv, also unter Ausschluss der Schwächeren. Echter Marktradikalismus bedeutet, alle Stakeholder an den Marktprozessen zu beteiligen. Ich überlasse es eurer Phantasie, euch auszumalen, wie solche Märkte dann aussehen werden, in denen auch die bislang Ausgebeuteten und Benachteiligten ihre Stimme haben. Die Alternative zum Turbokapitalismus heißt nicht Sozialismus, der überfällige wirtschaftliche Paradigmenwechsel heißt nicht “weniger Markt, mehr Staat“, sondern inklusive Märkte.

[Erstmals in meinem Blog am 28.1.2019 publiziert]

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Geschrieben von

socialkairos

26 Jahre Waldorflehrer, incl. Schulleitung, OE, PE, QE. MA (OE an Schulen). Dann Autor (kairos.social) und Blogger (socialkairos.wordpress.com).

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