Die maßgeblichen Ereignisse des Jahres 2015 waren die Internationalisierung des Syrien-Krieges, der mit der russischen Intervention eine neue Qualität angenommen hat, die sich verfestigende Krise der Europäischen Union, in der der ökonomische Nord-Süd-Konflikt und der Streit zwischen liberalem West- und nationalkonservativen Osteuropa in Puncto Gesellschafts- und Migrationspolitik ein Auseinanderbrechen der EU zu einer realistischen Möglichkeit machen, das Wiederaufflammen des islamistischen Terrors, das Erstarken des Rechtspopulismus und der fortgesetzte Niedergang der USA und ihres Bündnisses, der NATO.
Der syrische Knoten
Der Krieg in Syrien geht nunmehr in sein fünftes Jahr. Handelte es sich dabei anfangs noch um einen Volksaufstand gegen ein despotisches Regime, hat der Krieg inzwischen grundlegend seinen Charakter verändert. Die aus dem Volksaufstand hervorgegangene und von den USA und Großbritannien unterstützte Freie Syrische Armee ist weitgehend marginalisiert und hat keine Aussichten mehr, die Regierung von Baschar al-Assad zu stürzen. Demgegenüber gelang es dem Islamischen Staat, ein zusammenhängendes Gebiet in Syrien und im Irak unter seine Kontrolle zu bringen. Auch die nächstgrößere Oppositionsgruppierung, die al-Nusra Front, hat eine islamistische Ausrichtung. Die Kurden kämpfen für ihre eigene Sache, die Turkmenen für die türkische.
Der Islamische Staat und andere islamistische Gruppierungen werden von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei, über die viele ausländische Kämpfer in den IS einreisen, protegiert. Hintergrund hierfür ist ein geplantes Pipeline-Projekt, das Erdgas von Katar und Saudi-Arabien über Jordanien, Syrien und die Türkei nach Europa transportieren sollte, gegen dessen Verwirklichung sich allerdings der syrische Präsident al-Assad entschieden hatte. Er favorisierte ein Pipeline-Projekt mit den schiitisch dominierten Ländern Iran und Irak. Gelänge es, die Assad-Regierung zu stürzen und die angedachte Pipeline aus Katar doch noch zu verwirklichen, könnte die Europäische Union über kurz oder lang auf das russische Erdgas verzichten, was dem strategischen Interesse der USA, die EU von Russland zu trennen und letzteres massiv zu schwächen, entspräche.
Die russische Intervention in Syrien, die, da sie auf Einladung der legitimen syrischen Regierung erfolgt, völkerrechtskonform ist, hat diese Pläne zunichte gemacht. Über den Verlauf der russischen Operationen wird in den westlichen Medien wenig berichtet. Das russische Staatsfernsehen, so der Pervyj Kanal, berichtet dagegen regelmäßig darüber, dass Kommandozentralen, Stellungen, Lager oder Öltransporte des Islamischen Staates ausgeschaltet wurden. Aber sicherlich ist es richtig, dass die russischen Luftschläge auch anderen Gegnern der Assad-Regierung gelten. Mit den Kurden allerdings hat die russische Regierung Kontakt aufgenommen. Waffenlieferungen sind im Gespräch. Eine kurdisch-russische Zusammenarbeit ist als strategischer Gegenschlag gegen die Türkei anzusehen, nachdem diese einen russischen Bomber im Luftraum zwischen Syrien und der Türkei abgeschossen hatte. Auch die ökonomischen Sanktionen der russischen Seite haben es in sich. So wurde nicht nur die Zusammenarbeit in Tourismus und Bausektor beendet, was die türkische Seite empfindlich trifft, sondern es wurde auch die Planung für die Turkish-Stream genannte Pipeline, die die Transitstrecke über die Ukraine überflüssig machen sollte, eingestellt. Zwar ist es richtig, dass der Vorfall des Abschusses des Suchoj-Jets ein außerordentlich schwerer Vorfall war, der noch weit schwerwiegendere Konsequenzen bis hin zu offenen Kampfhandlungen zwischen NATO-Einheiten und russischen Streitkräften nach sich ziehen kann, da sich bei einem erneuten Zusammentreffen von Flugzeugen beider Parteien für die jeweiligen Piloten die Lage so darstellen wird, dass sie nicht mehr davon ausgehen können, dass die andere Seite nicht schießen wird, weil sie nicht so wahnsinnig sein wird, einen Krieg zu provozieren, sondern die Piloten vielmehr in Rechnung stellen müssen, dass, wer zuerst schießt, überlebt. Mit den beschlossenen Sanktionen hat Russland aber sein Drohpotential weitgehend ausgeschöpft. Falls die türkische Regierung, die es ja abgelehnt hat, sich für den Vorfall auch nur zu entschuldigen, nun eine erneute militärische Provokation gegen Russland unternehmen sollte, so kann die russische Regierung das nicht mehr mit zivilen Mitteln kontern. Griffe sie aber zu militärischen, gäbe das der Türkei den Vorwand, die Dardanellen für den russischen Schiffsverkehr zu sperren und auf diese Weise den Nachschub des russischen Syrienkorps massiv zu erschweren.
Ein solches Szenario freilich brächte akute Kriegsgefahr mit sich. Allerdings muss man beim türkischen Präsidenten Erdogan wohl auf alles gefasst sein. Nicht nur, dass er sich unlängst positiv auf das Regierungssystem des dritten Reiches bezogen hat, er entfesselt auch im Südosten der Türkei einen gnadenlosen Krieg gegen das kurdische Volk, bei dem Todesschwadronen zum Einsatz kommen. Die Opferzahlen gehen schon jetzt in die Hunderte. Die türkische Intervention im Nordirak dagegen wurde auf Geheiß Barack Obamas abgebrochen. Die deutsche Regierung stellt sich dabei offen auf die Seite der Türkei, schweigt zu allen dortigen Menschenrechtsverletzungen, ist im Syrien-Krieg ebenfalls auf die Linie der Türkei eingeschwenkt und schließt jede Zusammenarbeit mit der Assad-Regierung gegen den Islamischen Staat aus. Diese Linie ist noch härter als die gegenwärtige amerikanische, die zumindest eine temporäre Kooperation für einen Übergangszeitraum vorsieht, und widerspricht vollends der französischen Politik, die nach den Terrorangriffen von Paris auf eine aktive Zusammenarbeit mit Russland und im Gefolge dessen mit Syrien gegen den IS setzt. Frau Merkel hatte diese Position in Interviews mit mehreren Regionalzeitungen bekannt gegeben – nachdem zuvor der Bundestag dem Syrien-Einsatz der Bundeswehr zugestimmt hatte. Noch im September hatte sie dagegen eine Zusammenarbeit mit der syrischen Regierung nicht ausgeschlossen. Der nach der Abstimmung im Bundestag bekannt gegebene Kurswechsel muss also als grobe Täuschung des Parlaments und der Öffentlichkeit gewertet werden. Allerdings dürfte es wenig wahrscheinlich sein, dass Frau Merkel die deutschen Tornados jetzt gemeinsam mit den USA und der Türkei für einen regime change in Damaskus in Marsch setzt, auch wenn die USA unlängst Stellungen der syrischen Armee bombardiert haben sollen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass ihr Einschwenken auf die türkische Linie Teil ihres Deals mit Erdogan ist, der im Gegenzug die Grenzen für Flüchtlinge zumachen soll. Vom strategischen Standpunkt her wird man Frau Merkels Linie also als klug bezeichnen müssen, da ein ungebremster Flüchtlingszustrom auf Dauer das gesellschaftliche Gleichgewicht in Deutschland und der EU als Ganzes zerstören würde. Vom humanistischen Standpunkt her ist dabei positiv zu vermerken, dass Frau Merkel bezüglich der Kurden wenigstens an die türkische Regierung appelliert, „Maß zu halten und den Friedensprozess nicht zu gefährden“, auch wenn das angesichts der tatsächlichen Ereignisse eigentlich blanker Hohn ist.
Die hybride deutsch-amerikanische Freundschaft
Frankreich betreibt, wie bereits erwähnt, eine dezidiert andere Politik, die auf eine Zusammenarbeit mit Russland setzt und damit trotz aller gegenteiligen Lippenbekenntnisse auch auf eine mit der syrischen Regierung hinausläuft, zu der sie vor Ausbruch des Krieges freundschaftliche Beziehungen unterhalten hatte. Das ist höchst bemerkenswert, da es ein grelles Schlaglicht auf den Zustand der NATO wirft. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es nicht eine NATO, sondern mindestens zwei. Obwohl eine Isolation Russlands für die USA eine hohe strategische Priorität hat, schert Frankreich einfach aus, kooperiert mit der Russischen Föderation und unterstützt damit konträre strategische Interessen. Und die USA nehmen das – bisher – einfach so hin. Ein ziemlicher Autoritätsverlust. Auch im deutsch-amerikanischen Verhältnis, das man wohl am ehesten als hybride Freundschaft charakterisieren könnte, also als eine Beziehung sicherheitspolitischer, wirtschaftlicher und kultureller Verbundenheit, in der gleichzeitig mit harten Bandagen gegeneinander gekämpft wird, ist der US-amerikanische Autoritätsverlust nicht mehr zu übersehen. So wird Mister Obama, wie unlängst bekannt gegeben wurde, im April zur Industriemesse Hannover reisen, deren diesjähriges Partnerland die USA zwar sind, was nach dem von US-Seite hochgespielten VW-Abgasskandal aber von hoher symbolischer Relevanz ist, da er damit der deutschen Industrie seine Referenz erweist.
Das ändert freilich nichts daran, dass die Bundesregierung den USA ansonsten weiterhin treu ergeben ist und aktiv an der Schaffung eines gemeinsamen, transatlantischen Wirtschaftsraums mitarbeitet – TTIP. Für die deutschen Eliten ist die hybride Freundschaft zu den USA trotz allem zu profitabel, gewährt sie doch der BRD im Austausch gegen die Subordination unter den US-Imperialismus die Hegemonie über die EU, wovon sie, wie im Falle Griechenlands, auch rücksichtslos Gebrauch macht. Auch die dauerhafte Stationierung amerikanischer Truppen auf bundesdeutschem Territorium, in der manche einseitig eine Besetzung sehen, ist ein wichtiges Element der hybriden deutsch-amerikanischen Freundschaft, das eines kurzen Exkurses würdig ist. Natürlich stimmt es, dass die Regierung der BRD so gut wie keinen Einfluss auf die hiesige US-Militärpräsenz hat und ihr auch die Möglichkeit genommen ist, als eigenständiger geopolitischer Akteur mit entsprechendem militärischen Potential aufzutreten. Auf der anderen Seite bringt der Verzicht darauf der Elite der BRD aber nur Vorteile, da die Militärmacht der USA in gewisser Weise erst jenen Weltwirtschaftsraum konstituiert (freie Seefahrt und internationale Wirtschaftsorganisationen), in dem die Elite der BRD ihren Exportfetischismus hemmungslos ausleben kann, sodass das deutsche Schwein fett und fetter wird, während es sich gleichzeitig in der Glorie vordergründiger militärischer Zurückhaltung, bei der gnädig über die aktive Unterstützung für alle möglichen amerikanischen Kriege hinweggesehen wird, und humanitären Engagements für westliche Werte etc. suhlen kann. Die USA erledigen die Drecksarbeit, machen sich weltweit unbeliebt und die BRD streicht die finanzielle und moralische Rendite ein. Und das Schlimmste daran: Die USA können nicht mehr mal wie im Irak einen Regime-change Krieg gegen die BRD anzetteln und das Land unterwerfen und besetzen, weil ihre Truppen ja schon da sind. Stattdessen müssen sie sich damit begnügen, das deutsche Ansehen in der Welt dadurch zu untergraben, dass sie nachweisen, dass deutsche Autos ein paar Mikrogramm Schadstoffe mehr ausstoßen als angegeben. Als ob das irgendwen ernsthaft interessieren würde. Welch hilfloser Versuch, die Pole-Position im Ranking der Sehnsuchtsorte der Weltbevölkerung zurückzugewinnen! Nein, solange die USA imperial auftreten und die BRD als Friedensmacht, wird sich nichts daran ändern, dass die Soft-Power des Westens zu großen Teilen auf Deutschland übergegangen ist.
Die Post-Globalisierung
TTIP ist, auch wenn es für uns Normalbürger wie ein übermächtiges Lobbyistenmonstrum daherkommt, ein Zeichen der Schwäche. Es soll die USA und die EU in einen Westblock verwandeln, um gemeinsam gegenüber China, Russland und anderen BRICS-Ländern nicht ins Hintertreffen zu geraten. Es steht damit für die Ära der Post-Globalisierung, die mit dem Ukraine-Konflikt eingeläutet wurde und bei der sich der Westen von der Idee des weltweiten Freihandels verabschiedet, weil er in freier Konkurrenz den Kürzeren zieht. Kennzeichen der Globalisierung war demgegenüber die ökonomische Integration des ehemaligen sozialistischen Lagers und anderer Schwellenländer in die Weltwirtschaft, wobei davon ausgegangen wurde, dass der ökonomischen auch eine politisch-ideologische Annäherung folgen würde – wie es bei den neuen osteuropäischen EU-Mitgliedern auch zunächst geschah -, die infolge der Integration in westliche Institutionen wie IWF, Weltbank, WTO, EU und andere auch zu einer politischen Subordination führen würde. Doch diese Erwartung bestätigte sich nicht. Vielmehr setzten insbesondere China und Russland auf eine strategische Planung ihrer Wirtschaft, die ihren Status als souveräne Großmächte, die im Bedarfsfall autark agieren können, festigte. In dem Maße aber, in dem sich auf der Basis des mehr oder weniger vereinheitlichten, kapitalistischen, globalisierten Wirtschaftsraums unabhängige Kraftzentren herausgebildet haben, begann die althergebrachte Konkurrenz um auf wirtschaftlichen Großprojekten gründenden Einflusszonen von Neuem. Diese Konkurrenz aber, bei der der Westen wie im Falle der Ukraine auch nicht vor staatsstreichartigen Beseitigungen demokratisch gewählter Regierungen wie der von Viktor Janukowitsch zurückschreckt, was zwangsläufig das gesamte Vertrauen der anderen Player in die Gültigkeit der vom Westen propagierten Prinzipien zerstören musste, wird von Dauer sein. Insofern ist es angebracht, mit dem Begriff Globalisierung nur die kurze Zeitspanne zwischen 1990 und 2014 zu bezeichnen und für die Gegenwart den Begriff Post-Globalisierung zu verwenden. (Die Alternative, von einem neuen kalten Krieg zu sprechen, ist irreführend, da die ideologischen und wirtschaftlichen Unterschiede marginal sind und das Ringen um ökonomische Einflusssphären eher an die Zeit der imperialistischen Rivalitäten vor dem Ersten Weltkrieg erinnert). Auf jeden Fall ist der Riss, der durch die Welt geht, nicht mehr zu übersehen: Er führt von der Arktis, in der um Rohstoffclaims gerungen wird, die ganze russische Grenze von Finnland über die Ukraine bis hinab in den Kaukasus mit seinen wechselseitig verfeindeten Republiken und schlängelt sich an den Grenzen der Türkei und der Frontlinien innerhalb Syriens und des Iraks bis hinunter zum Persischen Golf, als dessen Anrainer sich Saudi-Arabien und der Iran gegenüberliegen. Und danach kommt nur noch die Antarktis. Die aber ist so weit ab vom Schuss wie die Vorstellung, das westliche Modell könne kurz vor einem globalen Triumphzug stehen.
Die Abkehr vom Prinzip des Freihandels (die Russland-Sanktionen dürften beispielsweise gegen die Regeln der WTO verstoßen) hat bisher allerdings nur zu einer Beschleunigung des US-amerikanischen Bedeutungsverlustes geführt. So wickeln China und Russland ihre Erdölgeschäfte jetzt in Yuan ab und wenden sich allmählich vom Dollar ab. China hat mit der Gründung der Asian Infrastructure Investment Bank eine regionale Gegenorganisation zur Weltbank gegründet, an der sich auch viele europäische Staaten beteiligen, Russland und Indien vereinbaren Erdöllieferungen, Russland produziert mittlerweile eigene Smartphones und Prozessoren und ist, das vor allem, den USA waffentechnisch überlegen, wie ein Vorfall im Schwarzen Meer eindrucksvoll illustrierte, bei der ein russisches Jagdflugzeug, ausgestattet mit einer bisher unbekannten elektronischen Waffe, die komplette Elektronik eines der modernsten amerikanischen Aegis-Kreuzers einfach ausknipste. Die Konkurrenz schläft also nicht. Vielmehr entwickelt sie Kapazitäten, den von den USA angerichteten globalen Scherbenhaufen gegen deren Widerstand wieder in Stand zu setzen.
Sollten TTIP und Westblock dereinst Wirklichkeit werden, während sich die nicht westlich dominierte Welt zu eigenen Verbünden zusammenschließt – was eine Perspektive für die nächsten zehn Jahre wäre –, dürfte die Stimmung im Westblock recht bedrückt sein, da unter den Bedingungen einer selbst herbeigeführten Konfrontation und Isolation die große Erzählung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten nicht mehr glaubwürdig aufrechterhalten werden kann und die ideologische Existenzgrundlage entfiele. Freiheit wäre nurmehr das Recht, sich von den Geheimdiensten überwachen zu lassen. Kaum einer würde daran glauben. Besser als TTIP wären auf jeden Fall eine ehrliche Bestandsaufnahme der westlichen Politik mindestens seit dem Mauerfall, um so die verlorene Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, und eine tiefgreifende Reform der westlichen Gesellschaften im Sinne eines sozialistischen Liberalismus, der alle Menschen am gesellschaftlichen Wohlstand teilhaben lässt und die Wirtschaft in den Dienst des Gemeinwohls stellt.
Die Gegenwart allerdings sieht düster aus. Die Post-Globalisierung nimmt mit dem Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und der Türkei und jetzt Saudi-Arabien und dem Iran weiter Fahrt auf. In China bricht die Börse ein. In der EU handelt die neue polnische Regierung sogar schon so, als würde sie sich auf den Tag X des Zusammenbruchs der Union vorbereiten, indem sie mit der Gleichschaltung des Staats- und Medienapparates die Voraussetzung für einen starken, autoritären Staat schafft und dabei keinerlei Rücksicht mehr auf den Protest der EU nimmt. Doch noch ist nicht aller Tage Abend. Die deutsche Bundesregierung sollte, ob sie ihr Prestige jetzt zu Recht genießt oder nicht, alle Beteiligten des kurz vor einem Flächenbrand stehenden Nahen und Mittleren Ostens zu einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten nach Potsdam einladen, wo ein friedlicher Interessenausgleich zwischen allen Parteien, wohl inklusive neuer Grenzziehungen, in langwieriger Arbeit ausgehandelt werden kann, bevor noch die Welt im Fegefeuer eines neuen globalen Krieges verglüht. Beim Klimagipfel von Paris haben sie ja schon mal geübt, wie man zusammen die grüne Friedenspfeife raucht.
(Was die anderen Baustellen der Welt anbelangt, so habe ich dazu an anderem Ort Vorschläge gemacht).
Kommentare 16
Interessant, aber ganz so konfrontativ wie im Artikel beschrieben geht es m.E. nicht zu. Wir sehen zwar viele Konflikte, aber wir sehen gleichzeitig auch Ansätze neuer bzw. neualter Kooperation, so gab es im letzten Jahr eine Reihe wirklich entscheidender UNSC-Resolutionen und das Klimaabkommen von Paris. Insofern mag es zwar noch labil sein, aber es scheint auf ein multipolares Modell hinauszulaufen, bei dem die NATO bzw. die USA ihre "exzeptionelle" Stellung verlieren. Dass sie diese nicht freiwillig abgeben ist klar, aber Russland und China lassen ihnen keine Wahl: Insbesondere die Fed ist derzeit mehr Getriebene als treibende Kraft und vom Wohlwollen anderer ZB abhängig; auch diplomatisch sind Beijing und Moskau dem Westen momentan deutlich überlegen, weil sie mehr Optionen haben. Europa (und Japan) kommt dabei die Schlüsselrolle zu, den Amerikanern bei diesem Übergang zur Seite zu stehen und sie langsam an die neue Realität zu gewöhnen.
Nebenbei: Die AIIB ist keine Gegenorganisation zur Weltbank, sondern eine Alternative/ Gegenmodell zur ADB. Und soweit ich es einschätzen kann, ist Russland den USA nur in bestimmten wichtigen Bereichen der Rüstung überlegen (Raketen, vermutlich Kampfflugzeuge), nicht insgesamt.
Welche UNSC-Resolutionen?
Ja, ist vielleicht ein wenig zugespitzt, aber das macht die Lektüre doch nur interessanter und die These griffiger.
Die russischen Waffen ... ein weites Feld! Auch die russische Panzerwaffe (Armata) ist ja die modernste der Welt und von den U-Booten hört man auch so einiges. Das russische Militärpotential ist auf jeden Fall annähernd paritätisch, wenn nicht überlegen. Allein das ist schon eine Überraschung, weil im Westen ja noch lange das Bild von der maroden Roten Armee vorherrschend war.
Die modernste der Welt nach welcher Quelle? Und auf welche Aspekte bezieht sich 'modern' hier? Ich bezweifle eigentlich nicht, dass US-Flugzeuge die modernste Elektronik haben...aber das ist ev. nicht das Entscheidende. Aus "annähernd paritätisch" kann ich mich einigen, insbes. mit China zusammen.
Der UNSC hat die Abkommen bzgl Ukraine, Iran und Syrien bestätigt - erst dadurch erhielten sie wirkliches politisches Gewicht, auch wenn die Aushandlung anderswo erfolgte.
Keine Seite ist derzeit so stark, dass sie es sich leisten könnte, die andere zu übergehen und einfach unilateral Fakten zu schaffen. Damit werden die UN (oder andere Formen globaler Diplomatie) wieder wichtiger.
...bei der sich der Westen von der Idee des weltweiten Freihandels verabschiedet, weil er in freier Konkurrenz den Kürzeren zieht.
War das nicht schon beim 2. Irakkrieg (oder gar Afghanistan) der Fall, bzw. seit dem Scheitern der Doha-Runde der WTO, ungefähr zur gleichen Zeit?
"Post-Globalisierung", bipolare Welt, neuer Kalter Krieg, "Drachenbär"...ja, es gibt so Manches, was danach aussieht, besonders im Finanzsystem, aber auch bei der Pipelinepolitik (sowohl USA als auch China versuchen, weniger abhängig von Importen über See zu werden). Dennoch glaube ich daran nicht recht, weil die Interdependenzen so hoch sind und es in diesem Konflikt folglich nur Verlierer gäbe. Vielmehr gehe ich davon aus, dass China sich Alternativoptionen zurechtlegt, um so eine Reform des internationalen Systems zu erreichen (inkl. SDR als neue Leitwährung). Am 18.12. hat der US-Senat endlich der IWF-Reform zugestimmt, wenn auch das Veto noch intakt ist.
Eine einzelne Quelle für meine Einschätzung der russischen militärtechnischen Überlegenheit habe ich nicht. Das ist ein Gesamteindruck, der sich daraus ergibt, dass ich die (russische, aber nicht nur) Berichterstattung über die Modernisierung und Leistungsfähigkeit ihrer Waffensysteme aufmerksam verfolge. Sie erläutern das praktisch auch in ihren Hauptnachrichten. Manchmal, wenn die Russen ihre neuen Systeme austesten und Schein-Angriffe führen, wie bei dem Vorfall mit dem US-Aegis-Kreuzer oder ein andermal mit einem russischen U-Boot gegen eiunen US-Flugzeugträger, ist das tatsächliche Ereignis natürlich weder nachprüfbar noch bewertbar. Doch wenn man die russische mit der amerikanischen Mentalität vergleicht, wird schnell klar, dass die russische überlegen ist. Die Amerikaner hängen der Ideologie des "American Exceptionalism" an, dass sie also allen anderen überlegen und dazu berufen seien, amerikanische Werte zu verbreiten. Die Russen sind da viel nüchterner. Sie sind bereit, Anregungen von anderen zu übernehmen. Sie glauben aber nicht alles. Vielmehr analysieren sie in Ruhe, checken Stärken und Schwächen ab und finden dann eine Antwort, die so weit weg ist von allem, was im Westen vorher nur denkbar war, dass der Westen wahrscheinlich einige Jahre brauchen wird, um mit Russland nach deren Modernisierungsschub wieder konkurrenzfähig zu sein. Von der inneren Stärke und der physischen Abgebrühtheit gar nicht erst zu reden (hab letztens ein Video gesehen, bei der amerikanische und russische Matrosen ganz klassisch im Tauziehen gegeneinander angetreten sind. Die Amis hatten keine Chance).
Unlängst kam zum Beispiel auch die Meldung, die Russen verfügten über eine elektro magnetische Waffe, die eineArt Nebel erzeugen würde, der die Bordelektronik von Kampfflugzeugen ausschaltet. Wenn das stimmen sollte ...
Das ambitionierteste Projekt der Amerikaner dagegen war deren Raketenabwehr. Das aber ist ein Projekt aus den Achtzigerjahren, das zudem durch U-Boote auf einfache Weise unterlaufen werden kann.
Ich weiß nicht, ich weiß nicht...aber ich würde da etwas vorsichtiger sein mit der Einschätzung. Mit Militärtechnik beschäftige ich mich nicht viel, sie interessiert mich nur insofern, als sich daraus strategische (Un-)Möglichkeiten ergeben, also Planspiele und Optionen, und daraus wieder politischer Spielraum. Die realen technischen Fähigkeiten zu beurteilen halte ich für ziemlich unmöglich für unsereinen, der doch letztlich auf sehr oberflächliche, öffentlich zugängliche Informationen angewiesen ist. Und das wenige, was veröffentlicht wird, ist doch mit großer Vorsicht zu genießen, weil sich damit immer politisch-propagandistische Absichten verbinden: Mal wird zur Abschreckung die eigene Stärke überbetont, mal zur Rechtfertigung von Aufrüstung die des Gegners.
Elektromagnetische Waffen (EMP) haben nicht nur die Russen, und die Vorfälle sind, wie Sie sagen, nicht nachprüfbar. Auch Amerikaner können nüchtern nachdenken und glauben im Planungshinterzimmer nicht alles, was sie öffentlich behaupten. Zwar gelten die Flugeigenschaften der Su35 als unübertroffen, aber die USA haben als Einzige Stealthbomber und -jäger...und wissen wir überhaupt, welches heute die wirklich modernsten Rüstungsprojekte sind?
Die westliche Sichtweise mag eine sehr eingeschränkte sein, aber auch Sputnik ist m.E. mit viel Vorsicht zu genießen...;-)
Zum Thema, sehenswert:
https://www.youtube.com/watch?v=J13O8-ksxtk
mfg
Hier ein interessanter Artikel, der einen Einblick in die russische Denke ermöglicht und warum ihre Luftwaffe der westlichen überlegen ist:
http://vineyardsaker.de/analyse/technologie-sitrep-wie-russische-ingenieurskunst-den-jetzigen-einsatz-in-syrien-moeglich-machte/
Danke für den Link. Kann mich noch vage an die Scobel-Sendung erinnern.
MfG
Danke für die Zusammenfassung der Geschehnisse 2015. Die brauch ich dringend und werde sie ausdrucken und weiterverbreiten, denn ich habe weite Teile des letzten Jahres im übertragenen Sinn "verpennt". Nein, nicht wortwörtlich, ich musste mich anderen Dingen widmen, habe natürlich mitbekommen, was global und politisch so passiert, aber konnte es bisher verstandesmäßig nicht besonders gut verarbeiten. Es rumort noch unverdaut in Hirn und Kaldaune.
Dieser Artikel ist also für mich eine Art "Verdauungshilfe" der mentalen Art, ich hoffe, das klingt nicht respektlos. Denn ich finde diesen Beitrag wirklich richtig profund und gut.
Wünsche dir, wenn auch verspätet, ein gutes Neues Jahr! Wie ich sehe, bist du in Berlin angekommen. :-)
Hi Lee Berthine,
schön, wieder von dir zu hören - and a happy new year! Hatte mich auch schon gefragt, wo du wohl abgeblieben bist. Ja, ich bin dabei, in Berlin anzukommen. Ein langer Weg! (falls du mal die älteren Beiträge liest, die meinen melodramatischen Zusammenbruch dokumentieren :)
Hmm, auch der Saker ist zwar interessant, aber nichts, das mensch als "face value" nehmen könnte.
Was Anderes: Bei der Auflistung der wichtigsten Ereignisse 2015 am Anfang fehlt das Abkommen mit dem Iran. Ohne dessen Bedeutung zu verstehen ergibt (fast) nichts, was im letzten Jahr passiert ist, irgendeinen Sinn. Auch die Gründung von AIIB und NDB fehlt in der Liste.
Ja, das Abkommen mit dem Iran war/ist natürlich ein großer Lichtblick. Angesichts der allgemeinen Tendenz meines Artikels, die Dinge leicht zu dramatisieren, überrascht es mich nicht, dass ich das Abkommen mit dem Iran vergessen habe.
Ach, wer ist schon frei von gelegentlichen Ausblendungen!
Na ja, wenigstens macht sich der Saker die Mühe, über die russische Waffentechnik zu recherchieren und zu berichten. Die für die Nato schwärmende Presse macht das ja eher nicht.
Das ist richtig, das tut er - aber eben auch voreingenommen und einseitig. Jedenfalls ist das mein Eindruck, bin wie gesagt(?) kein Fachmensch für Rüstung.
2015 fand ich gar nicht so negativ: Im Februar wurde die Ukrainekrise gelöst (im Juli endgültig), im November die in Syrien. Am 18. Dezember bestätigte der Sicherheitsrat den Fahrplan, gleichzeitig stimmte der US-Senat der IWF-Reform zu. Insofern sehe ich nicht, dass sich etwas zuspitzt - das Problem ist halt nur, die Amerikaner zu überzeugen mitzumachen; das versuchen Alle (EU, Russland, China) auf unterschiedliche Art.
Eigentlich finde ich schon, dass die Bezeichnung "Neuer Kalter Krieg" passt für den Zeitraum 2007 (Putinrede) bis 2015, seit Ende 2010 würde ich es sogar als "Stillen Weltkrieg" bezeichnen. Wenn das Iranabkommen durchkommt, bedeutet das das Ende dieser Phase - hoffen wir also das Beste.
Hi soloto, seit September letzten Jahres habe ich nicht mehr beim Freitag hereingeschaut und daher auch deine Beiträge verpasst. Melodramatischer Zusammenbruch? Das muss ich lesen!! ;-) Um ehrlich zu sein, bin ich selber in innere Abgründe hinabgestiegen - mehr oder weniger freiwillig - um Unerledigtes (= bisher unerkannte Zusammenhänge, verleugnetes emotionales vermintes Gelände etc.) aufzuräumen. Mehr als provisorisches Ordnen geht erstmal nicht. Lohnt sich aber unerhört, ich werde bei Gelegenheit vielleicht mal drüber bloggen.
Deinem Smiley am Ende des Kommentars meine ich entnehmen zu können, dass es dir gut geht und du dabei bist, die Sonnenseite des Lebens zu erorbern?! Weiter gutes Ankommen in Berlin! Bei mir zieht sich dieser Prozess seit über 10 Jahren hin ;-)
Klingt turbulent. Hab solche Zeiten auch schon durchlebt. Würd´s gerne lesen, aber ist natürlich immer die Frage, wie weit man sich bei solchen Texten öffnen will.
Ja, das stimmt. Ich nehme mich da auch selber gerne in Schutz und bin ziemlich vorsichtig mit dem Mich-Öffnen in Texten.