Flat-Rate-Politik statt Flat-Rate-Bordelle

Sexarbeit Die Große Koalition schießt bei der Reform des Prostitutionsgesetz am Ziel vorbei

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Laut Medienberichten haben sich gestern die CDU und SPD auf einige Neuerungen im Prostitutionsgesetz geeinigt. Seit 2013 sind Prostitution und Menschenhandel immer öfter Thema medialer Berichte. Das Prostitutionsgesetz sei gescheitert und Menschenhandel habe zugenommen, so lauten inzwischen verbreitete Floskeln. Auch die sogenannte "Armutsprostitution" von Frauen aus Osteuropa wird immer wieder als Problem angeführt und vor allem von der CDU und Prostitutionsgegner*innen genutzt, um Druck auf die Politik zu machen.

Dieser Druck hat sich nun als sinnlos erwiesen. Die bisher durch die große Koalition beschlossenen Maßnahmen zielen nämlich auf keines der genannten Probleme ab. Flat-Rate-Bordelle sollen verboten werden, sowie Gang-Bang-Parties. Auch soll eine "Anmeldepflicht" für Sexarbeiter*innen gelten sowie eine Genehmigungspflicht für Bordellbetreiber*innen. Damit werden jedoch nur Sexarbeiter*innen bekämpft und nicht die Armut oder der Menschenhandel. Das zeigt, dass die Frauen letzendlich egal sind.

Inflationäre Verwendung von Menschenwürde in der Sexualpolitik

Flat-Rate-Bordelle sollen verboten werden, sowie Gang-Bang-Parties. Beides seien menschenunwürdige Praktiken, erklärte Ministerin Schwesig, die vermutlich noch nie mit Frauen, die diese Praktiken verkaufen, gesprochen hat. Unklar ist, ob denn auch kostenlose Gang-Bang-Parties als menschenunwürdig gelten oder ob hier nur das Recht von Frauen eingeschränkt werden soll, sich damit auch Geld zu verdienen: Nach dem Motto "kostenlos kannst du das gerne machen, aber bereichere dich bitte nicht daran!"

Zum Schutz der Frauen soll das verboten werden. Aber was ist, wenn es nun eine gibt, die das machen will, aber auch unbedingt ein paar Hundert Euro damit verdienen will? Frau Schwesig, wollen Sie diese Frau jetzt bestrafen, weil sie sich geweigert hat, kostenlos mit vielen Männern Sex zu haben? Das ist doch völlig unlogisch!

Gang-Bang oder Gruppensex zu verbieten wäre wohl verfassungswidrig, da damit sexuelle Vorlieben von Menschen kriminalisiert würden. Die Frage ist also: Was ändert die Bezahlung an den Folgen einer Sexualpraktik für die Menschenwürde? Haben einvernehmliche Sexualpraktiken überhaupt eine Auswirkung auf die Menschenwürde?

Sexualpraktiken und sexuelle Vorlieben verstoßen zwar oft gegen das tief verinnerlichten Schamgefühl vieler Menschen. - und ich vermute, dass die meisten Menschen eigentlich "Schamgefühl" meinen, wenn sie sagen, dass die "Menschenwürde" verletzt wird. Vor allem dort wo das Monogamiegebot gebrochen wird, argumentieren viele gerne mal mit "Menschenwürde", obwohl es sich eigentlich um Sexualmoral handelt. Einvernehmlicher Sex verletzt niemandes Menschenwürde und dass gerade Frau Schwesig mit so einer Floskel ein repressives Gesetz rechtfertigt, zeigt, wie gefährdet die Sexualrechte von Frauen in Deutschland sind. Promiskuität - vor allem von Frauen - wird verurteilt. Gerade bei Prostituierten möchte der Staat nun unterbinden, dass Frauen mit angeblich menschenunwürdigen Praktiken Geld verdienen.

Abgesehen davon ist vom Verbot dieser Praktiken nichts zu erwarten. Es gibt keine empirischen Daten, die belegen, dass gerade Frauen, die in Flat-Rate-Bordellen arbeiten oder Gang-Bang anbieten, besonders von Menschenhandel oder Armutsprostitution betroffen sind. Dieses Verbot lässt Zwang und Armut völlig unangetastet. Hier geht es offensichtlich nicht darum, echte Probleme zu lösen, sondern der Gesellschaft eine bestimmte Sexualmoral durch das Strafrecht aufzuzwingen. Und damit würde die Bundesrepublik einen Schritt zurück in die 1950er Jahre machen. Moralstrafrecht reloaded.

Zwangsregistrierung für Sexarbeiter*innen

Sinnlos, dumm und völlig an der Realität der Sexarbeiter*innen vorbei geht auch die "Anmeldepflicht", wie sie euphemistisch genannt wurde. Realistischer wäre der Begriff "Zwangsregistrierung" - eine Maßnahme, die Frauenorganisationen und Abolitionist*innen eigentlich immer abgelehnt haben (im Gegensatz zum aktuellen Pseudo-Abolitionismus des EMMA-Magazins), weil sie Frauen stigmatisiert und die Doppelmoral des Staates zementiert: Die Hure wird registriert, überwacht und stigmatisiert, der Freier wird in Ruhe gelassen.

Angeblich soll die Anmeldepflicht Sexarbeiter*innen schützen. Die Frage ist nur wie das geschehen soll, wovor sie geschützt werden sollen und was passiert, wenn Frauen sich aus guten Gründen nicht anmelden wollen.

Mit der Meldepflicht werden Sexarbeiter*innen zum Outing gezwungen, in Datenbanken eingepflegt, von denen man nicht genau weiß, wer Zugriff darauf hat und ob diese Daten je wieder gelöscht werden. Gut vorstellbar ist der Beamte, der sich diese Listen heimlich ausdruckt und zu Hause hordet und in zehn, zwanzig, dreißig Jahren mal heimlich an die Presse sendet, um Frauen, die in der Öffentlichkeit auftreten, fertig zu machen. Oder sie zu erpressen. Dass das illegal ist, wird den Betroffenen dann auch nicht mehr helfen.

Viele Sexarbeiter*innen werden sich deshalb gegen eine Anmeldung entscheiden, weil sie ihre Anonymität schützen wollen, weil sie von der Meldepflicht nichts wissen, oder weil sie einfach keinen Bock darauf haben, in einem staatlichen Hurenregister erfasst zu sein. Wer sich gegen die Anmeldung entscheidet, wird damit aber zwangsweise zur "illegalen Prostituierten", denn wer der Pflicht nicht nachkommt, verstößt gegen das Gesetz und wird wohl auch bestraft werden. Damit wird die Polizei mit der Verfolgung von Prostituierten zu tun haben, die sich nicht anmelden. Damit wird wertvolle Energie verschwendet, während Betroffene von echter Gewalt und Menschenhandel ignoriert werden. Schließlich wird ja beides als "illegale Prostitution" in die Statistik einfließen. Herzlichen Glückwunsch, Frau Schwesig!

Die Frage ist nun: Wie werden Sexarbeiter*innen, die sich nicht anmelden bestraft? Ist es nur eine Geldstrafe? Oder wird es, wie bei Sperrbezirken, auch irgendwann eine Straftat sein, die zu einer Haftstrafe führt? Nun gut, in beiden Fällen dient das nicht dem Schutz der Prostituierten, egal wie oft das die PR-Kampagne der Großen Koalition wiederholen wird. Die Anmeldepflicht wird letztendlich zur Marginalisierung und Kriminalisierung von Sexarbeiter*innen führen.

Nicht-angemeldete Sexarbeiter*innen werden viel eher Gewalt ausgesetzt sein, die sie auch nicht mehr anzeigen werden. Sie können um ihren Lohn geprellt werden oder Opfer irgendeiner anderen Straftat werden. Sie werden es nicht anzeigen, denn sonst würde ja auffliegen, dass sie sich nicht angemeldet haben. Jede Anzeige einer Straftat käme immer auch der eigenen Selbstanzeige gleich. Das geht ganz schön nach hinten los.

Das einzige, was die Meldepflicht bringt, ist dass man endlich Huren zählen kann. Allerdings auch nur diejenigen, die sich anmelden. Die Dunkelziffer der praktizierenden Sexarbeiter*innen wird explodieren und wir werden weiterhin sagen können "Wir wissen nicht, wie viele Prostituierte es gibt, weil die Dunkelziffer ja so hoch ist". Auch das Zahlenproblem lösen wir damit also mitnichten.

Kein Schutz, kein Geld für Betroffene von Menschenhandel

Und was ist mit Menschenhandel? Eine Anmeldepflicht gibt es schon in Baden-Bürtemberg und in Bayern. Dort gibt es aber auch weiterhin Menschenhandel und Armutsprostitution. Nicht mehr und nicht weniger als in den anderen Bundesländern. Eine Meldepflicht liefert der Polizei ja nur eine Liste von Prostituierten, die weiterhin ihre Aussage verweigern und die weiterhin sagen werden "Ich mache das freiwillig".

Anstatt Geld für Maßnahmen in die Stärkung von Opferrechten und Opferschutzmaßnahmen zu investieren, steckt die Bundesregierung lieber Geld in eine unsinnige Bürokratiemaßnahme, die eigentlich nur eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für gelangweilte Beamte ist.

Mit der Anmeldepflicht tut die Bundesregierung gar nichts zur Verbesserung der Situation von Betroffenen von Menschenhandel. Und es wäre naiv zu glauben, dass sie das je vorhatte. Es ging doch noch nie darum, die Ursachen des Menschenhandels abzuschaffen: psycho-soziale Unterstützung für Betroffene sicherstellen, eine unbefristete und bedingungslose Aufenthaltserlaubnis, der auch den Zuzug der Familie beinhaltet (die leider oft wirklich in Gefahr ist).

Es ist heuchlerisch, dass sich alle in den Medien ständig darüber beschweren, dass "die Frauen" nicht aussagen. Mit einer Anmeldepflicht und der Drohung einer Kriminalisierung wird sich daran nichts ändern. Ganz im Gegenteil. Die Betroffenen werden weiterhin nichts von einer Aussage haben und sich daher aus guten Gründen dagegen entscheiden. Und anstatt daran etwas zu ändern betreibt die Große Koalition Flate-Rate-Politik auf dem Rücken einer der marginalisiertesten Menschen in unserer Gesellschaft.

Hätten Sexarbeiter*innen wirklichen Einfluss gehabt, wäre ein viel sinnvolleres Gesetz zustande gekommen. Aber die echten Expert*innen der Sexarbeit werden in dieser Debatte komplett ignoriert.

Anstatt Sexarbeit endlich vollständig zu entkriminalisieren, wie es die globale Prostituiertenbewegung fordert, wird hier alles getan, um sie wieder zu kriminalisieren. Die Freiheit der Sexarbeiter*innen wird abgeschafft!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sonja Dolinsek

Sonja schreibt über Menschenrechte, Migration, Gender, insb. über Sexarbeit und Menschenhandel. Twitter: @sonjdol

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