Prostitution: Ein deutscher Skandal?

Sexarbeit Das neue Buch von Schwarzer und Co. funktioniert vor allem über Gefühle. Valide Fakten gibt es kaum. Das ist in der Tat ein deutscher Skandal

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Prostitution: Ein deutscher Skandal?

Foto: Sascha Baumann/Getty Images

Wenn Sie das Buch von Alice Schwarzer über Prostitution lesen, empfehle ich Ihnen ganz bewusst den Wandel ihrer Emotionen und Gefühle zu beobachten, während sie lesen. Machen Sie hin und wieder stopp, fühlen Sie in sich hinein und beobachten Sie, was das Buch gerade mit ihnen macht. Wenn Sie das Buch nicht haben, kaufen Sie es nicht! Es ist Geld- und Energieverschwendung.

Die Gefühle

Jeder einzelne Satz hat ein einziges Ziel: Moralische Entrüstung in der Form eines „oh-gott-das-kann-doch-nicht-wahr-sein“, „oh-gott-die-armen-betrogenen-ehefrauen“, „oh-gott-warum-kann-die-rumänin-nicht-in-rumänien-bleiben“,“oh-gott-warum-kann-die-arme-polizei-nichts-tun“, „oh-gott-diese-scheiß-hurenvereinigungen-die-politik-für-zuhälter-machen“, „oh-gott-alice-danke-dass-du-mich-erleuchtest“, „oh-gott-prostitution-ist-nicht-nur-eklig-sondern-die-sind-auch-alle-aus-osteuropa“. Es gibt noch viel mehr „oh-gotts“, wenn Sie darauf achten. So viele „oh-gotts“, dass sie am Ende vergessen zu fragen: „Aber stimmt das denn überhaupt alles? Woher wissen Frau Schwarzer und ihre Kolleginnen das denn? Reicht es wirklich, sich einmal in ein Bordell zu schleichen um Prostitution zu verstehen?“

Diese Buch vermittelt kein Wissen, zumindest nicht nachprüfbares Wissen. Und nein, auch nicht die Webseite von Frau Schwarzer oder Emma kann das bieten. Stattdessen funktioniert das Buch über die Manipulation von Emotionen. Die vielen Geschichten werden so erzählt, dass es Leser*in möglichst weh tut, dass Leser*in sich möglichst persönlich betroffen fühlt. Leser*in soll Angst spüren und in Aufruhr geraten. Sachliche Fragen z.B. nach empirischen Daten und Statistiken soll Leser*in lieber nicht stellen.

Leser*in hat Angst (und das ist die Absicht), dass ihr Freund, Ehemann oder Sexualpartner für Sex bezahlt (nein, dass auch Frauen für Sex bezahlen, wird nicht erwähnt). Deshalb soll sie nun Prostitution abschaffen wollen. Und das will Leser*in am Ende der Lektüre vermutlich auch. Leser*in denkt aber auch: „Ich darf nicht so egoistisch sein – ich will doch sicherlich die armen Frauen aus Osteuropa schützen (wo auch immer Osteuropa vermutlich ist und egal wie es denen dort geht) – schützen vor den bösen triebgesteuerten, absolut dreckigen und ekligen Freiern. Ja, ja, das will ich unbedingt auch. Ich hab mich noch nie mit Prostitution befasst? Egal! Die armen Frauen müssen vor sich selbst und den bösen, eklig........Freiern gerettet werden!“ Also vor dem eigenen Freund, Ehemann oder Sexualpartner, mit dem man vermutlich noch nie ein Gespräch über Prostution geführt hat.

Die Zahlen

Die Zahlen sind falsch - zu wenig oder gar nicht recherchiert. Die wenigen Zahlen, sind auch widersprüchlich: Während an der einen Stelle von 150.000 Prostituierten die Rede ist, sind es Seiten später 300.000, während im Appell gegen Prostitution nun von 700.000 die Rede ist. Wir reden hier von einem Unterschied in der Größenordnung von mehreren Hunderttausend! Und dennoch lassen sich unwissende Leser*innen weiter hinreißen, ihr zu glauben und ihren absurden Appell zu unterzeichnen.

Es ist nicht nur manipuliertes Wissen, es sind bewusst manipulierte Emotionen, die Ihr rationales, kritisches Denkvermögen ausschalten sollten. Bei den ca. 3000 Unterzeichner*innen des Appells gegen Prostitution dürfte es geklappt haben. Wie sonst kann man erklären, dass sich bisher kaum jemand wegen dem Widerspruch dieser bislang nicht belegten Zahlen aufregt?

Die Religion

Das Buch ist voller Widersprüche, Wiederholungen, Anfeindungen. Die Widersprüche sind so zahlreich, dass man sie irgendwann nicht mehr bemerkt. Die zahlreichen, teilweise wörtlichen Wiederholungen sind zwar eine erprobte Strategie der Manipulation. Die Fakten werden dadurch aber nicht wahrer. Die Anfeindungen treffen Prostituiertenprojekte, Organisationen und Politiker*innen, die das Prostitutionsgesetz befürworten: Sie alle sollen wohl unter einer Decke mit den nicht genauer definierten "Frauenhändlern" stecken.

Am Ende ist Leser*in so verwirrt, dass die zentrale Message – Prostitution ist scheiße und muss abgeschafft werden – gekauft und geschluckt wurde. Was Leser*in gerade gelesen hat, warum das so widersprüchlich ist und warum es am Ende doch so wirr und voller Emotionalität im Kopf und im Gemüt umherzieht, kann Leser*in vermutlich selber nicht erklären. Dafür ist sie jetzt gegen Prostitution, einer neuen radikalfeministischen Religion, deren Credo in der absoluten Ablehnung der Menschlichkeit und Handlungsfähigkeit von Prostituierten liegt. Warum sonst weigern sich die Autor*innen, die Ansichten und Forderungen von selbstbestimmt arbeitenden Prostituierten wahrzunehmen?

Ist Alice Schwarzer die neue allwissende Göttin der Prostitution, der man nicht widerspricht, weil sie nun Mal alles über die Welt der Prostitution weiß, ohne je selber als Hure gelebt, gearbeitet und durch sich selbst unterdrückt worden zu sein?

Der echte „deutsche Skandal“

Nicht Prostitution ist ein „deutscher Skandal“ sondern dieses Buch. Weniger skandalös ist, dass sich zum Glück inzwischen viele Menschen dem Appell für Prostitution der Sexarbeiter*innen angeschlossen haben. Auch jene Menschen, die dafür qualifiziert sind, haben unterzeichnet: Allen voran Sexarbeiter*innen selbst, Beratungsstellen für Prostituierte und Betroffenen von Menschenhandel, die Deutsche Aids-Hilfe, Forscher*innen, die zu diesen Themen auch tatsächlich, wirklich geforscht haben und viele mehr.

Sie haben damit gezeigt, dass sie denken können und nicht alles schlucken, was ihnen Göttin Alice in der neuen Anti-Huren-Bibel erzählt.

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Anmerkung 1: Die Sternchen * wurden hier bewusst gewählt, weil Alice Schwarzer & Co. sie nicht mögen. ;)

Anmerkung 2: Da Frau Schwarzer und ihre Kolleg*n ihre Zahlen nicht belegen, muss ich meine Kritik auch nicht belegen. In der Hinsicht sind wir zum Glück gleichberechtigt.

Anmerkung 3: Nach der emotionalen Kritik wird in den nächsten Tagen auch eine sachliche Kritik auf menschenhandelheute.net erscheinen.

Anmerkung 4: Falls irgendjemand der Ansicht sein sollte, ich würde Menschenhandel (nach §232 und §233 StGB) verharmlosen: Nein, das tue ich nicht. Ich verharmose auch nicht die Rechtlosigkeit, in der sich Sexarbeiter*innen häufig befinden. Aber Schwarzer befasst sich nicht mit Menschenhandel sondern mit Prostitution.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sonja Dolinsek

Sonja schreibt über Menschenrechte, Migration, Gender, insb. über Sexarbeit und Menschenhandel. Twitter: @sonjdol

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