Beyoncé-Album „Renaissance“: Eine bewusst megalomanische Machtdemonstration
Pop 32 Grammys besitzt Beyoncé jetzt, „Renaissance“ wurde als „Best Electronic/Dance Album“ ausgezeichnet. Was ausgerechnet dieses Album so funkensprühend modern klingen lässt, erklärte unsere Kritikerin Sonja Eismann, als es erschien
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Ausgabe 31/2022
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Aktualisiert am
06.02.2023, 11:40
Beyoncé schreibt sich mit ihrem neuen Album als Renaissance-Woman in den Kanon westlicher Kunstgeschichte ein
Foto: Mason Poole
2022 sollte ein Text über einen weiblichen Popstar nicht mit der Beschreibung dieses Popstar-Körpers anfangen. Definitiv nicht. Doch Beyoncé ist mehr als ein Popstar. Und dafür bekannt, dass sie selbst die Gesetze des Pop definiert. Wenn Beyoncé eine neue Platte veröffentlicht, bleibt die Welt kurz stehen. Und schnappt nach Luft.
Sechs Jahre lang gab es kein neues originäres Album von ihr, nur die Live-Platte Homecoming, den König der Löwen-Soundtrack The Gift und das von der Kritik eher lauwarm empfangene Pärchen-Versöhnungswerk der Carters (so heißt das Duo bestehend aus Beyoncé selbst und ihrem Ehemann, Shawn Corey Carter alias Jay-Z), All Is Love.
Nachdem die Musikerin sich und ihren künstlerisch-politischen Kosmos in
ch und ihren künstlerisch-politischen Kosmos in den letzten beiden Solowerken Beyoncé (2013) und Lemonade (2016) bildlastig mit begleitenden Videos erklärte, liefert sie für ihr fulminantes siebtes Album Renaissance im Wesentlichen zunächst nur ein Bild: das Cover. Sie habe sich dafür entschieden, den Fans die Möglichkeit zu geben, grenzenlos in ihrer ausufernden Hör-Reise zu sein. Und das Cover-Foto teilt uns dabei bereits alles mit, was es über diese zelebratorische Tanz-Platte zu wissen gibt: Eine fast nackte Beyoncé posiert auf einem durchsichtigen Fantasy-Pferd, das gleichzeitig wie ein Swarovski-Kitschfigürchen märchenhaft funkelt und wie ein futuristisches Hologramm technoid in die Zukunft blinkt. Ein fragiler Body aus Glitzer und Stacheln rahmt ihren Körper, wie auch ihre endlos langen, welligen Haare, was manche bereits an Lady Godiva oder Bianca Jagger im Studio 54 denken ließ.Postpandemisch discoid und afrofuturistischIn Wirklichkeit zeigt Beyoncé ihren drei Kindern sowie allen anderen Kindern auf der Welt mit dieser Pose, wie Königin Elsa aus Frozen auf ihrem Eiswellen-Pferd sitzen würde, wenn sie nur halb so tough wäre wie „Queen Bey“. Statt sich wie die blass-blonde, schmächtige Elsa von dem widerspenstigen Ross Paroli bieten zu lassen, hat die Musikerin das Tier vollständig unter Kontrolle. Ein strenger Blick von Beyoncé genügt, und sowohl das transparente Biest wie auch ihr Publikum sind ihr zu Willen. Ihr entblößter Körper strahlt dabei Macht und Gelassenheit aus, ist unantastbar und höchst präsent. Mit ihrer machtvollen Körperlichkeit, die sich gerade in ihrer scheinbar übermenschlichen Perfektion einem durchdringenden Male Gaze widersetzt, nimmt sich die Künstlerin einerseits selbstbewusst Raum in einem nach wie vor sexistischen, rassistischen Pop-Business, lässt aber auch den Reichtum spezifisch Schwarzen Körperwissens erahnen.Denn der Albumtitel bezieht sich auf eine Renaissance des öffentlichen Lebens in (beinahe) post-pandemischen Zeiten, der gemeinsamen Freude am Ausgehen und Tanzen, der Leichtigkeit und des Beisammenseins, welche die Künstlerin auf dieser Platte vor allem in Schwarzen Poptraditionen wie Disco, Soul, Ballroom, House, Techno oder Bounce findet. „We dress a certain way, we walk a certain way … we make love a certain way“, sprechsingt sie in Alien Superstar – und nimmt dabei Bezug auf die Schwarze Community als solche, als „supernatural lover in the air“ aber auch auf discoide wie afrofuturistische Tropen einer sich bis ins Weltall in die Zukunft katapultierenden Feier- und Liebesgemeinschaft – ohne dabei den augenzwinkernden Verweis auf ihre eigene Übernatürlichkeit zu vergessen.Denn im Grunde schreibt sich die gebürtige Texanerin unter der Schlagzeile Renaissance, die sich nur vordergründig auf die neu erwachte Joy am Zusammensein beschränkt, bewusst megalomanisch – wie auch bereits mit ihrem Louvre-Video Apeshit – in den Kanon westlicher Kunstgeschichte ein. Als Schwarze Renaissance-Woman, der alles gelingt, was sie möchte, diktiert sie eine neue Perspektive auf Fragen der In- und Exklusion. Welche künstlerischen und musikalischen Traditionen werden überliefert, welche dethematisiert?Eingebetteter MedieninhaltAuch wenn Black-Music-Genres das Popgeschehen weltweit maßgeblich geformt haben und heute sichtbar dominieren, ist dieses Wissen nicht dauerhaft eingeschrieben, wie etwa Historisierungsversuche des Technos zeigen, welche die Schwarzen Wurzeln des Genres unsichtbar machen. Oder auch ein wenig bekanntes Kapitel der Popgeschichte, die sogenannte „Disco Demolition Night“, während der im Juli 1979 unter dem Schlachtruf „Disco Sucks“ Disco-Platten in einem Chicagoer Baseballstadion zerstört wurden. Besonders auf die für ihren Hedonismus bekannten, queeren und damit immer auch fragilen Traditionen beruft sich Beyoncé auf Renaissance – und klingt damit paradoxerweise zum ersten Mal nach Jahren wieder funkensprühend modern.Renaissance des Marxismus?Ihr schwuler, an einer HIV-bezogenen Erkrankung verstorbener Onkel Jonny, mit dem sie auf einem Foto auf ihrer Website posiert, sei es gewesen, der sie als Erster an diese Musiken herangeführt habe („Uncle Jonny made my dress /‚That cheap Spandex / She look a mess‘“, heißt es als Reverenz, die eine ursprüngliche Kritik in ein Lob verwandelt, in Heated), und so ist die Platte auch eine Art Tribut an ihn und alle queeren PoC-Gemeinschaften geworden, die musikalische Grenzen überwunden haben.Selbstverständlich ist Beyoncés aktueller Sound dabei nicht rückwärtsgewandt, sondern erhält in Kooperation mit Produzent*innen wie A.G. Cook von PC Music, Honey Dijon, Skrillex oder den Neptunes zwischen all den schwelgerischen Disco- und House-Retroseligkeiten ein zeitgemäßes, pumpendes Beatgewand. Auch illustre Gast-Vokalist*innen wie Grace Jones oder die junge nigerianische Sängerin Tems dürfen nicht fehlen. Passend zur anhaltenden 90s-Begeisterung referenziert Beyoncé in der ersten Single Break My Soul die markante Synthline des Diva-House-Hits Show Me Love von Robin S. und sampelt gleichzeitig die New Orleans Bounce-Ikone Big Freedia. Der Schluss-Track Summer Renaissance geht noch weiter zurück und ist purer Moroder-Groove mit einer fast exakten Wiedergabe von Donna Summers I feel love-Ekstase-Rufen, und auch Echos von James Brown oder Teena Marie sind zu hören. Doch trotz dieser überbordenden Ehrerbietungen fühlt sich das Album nirgends überladen, sondern an fast allen Stellen luftig und befreit an. Als hätte der Superstar, der für eiserne Disziplin und Perfektionismus bekannt ist, nach dem Überschreiten der – eventuell magischen? – 40 tatsächlich losgelassen und sich endlich puren Spaß und zweckfreie Sinnlichkeit erlaubt.In Cozy besingt Beyoncé all die fabulösen Hauttöne, die gemeinhin unter „Black“ subsumiert werden, und kommentiert diese mit einem autobiografischen „Comfortable in my skin / Cozy with who I am“, um dann noch ein verschmitztes „Paint the world pussy pink“ hinzuzufügen. Insofern stimmt es nicht, dass Renaissance ein apolitisches Party-Album einer Künstlerin geworden sei, die sich in den vergangenen Jahren immer stärker politisch artikuliert hatte, wie mit ihrer Performance auf der Super Bowl, die optisch an ein Black Panther-Gathering denken ließ, oder ihrer Kritik an rassistischer Polizeigewalt.„Boomer-Karen“ als TerroristinDenn weil alle wissen, dass auch heute noch das Private höchst politisch ist, sind auch die feinen Diskursverschiebungen relevant. Wie jene, dass Beyoncé ihrem Partner und fellow Superstar Jay-Z auf ihrer Website für die Unterstützung dankt und ihn dabei liebevoll als „my beautiful husband and muse“ apostrophiert – eine Auszeichnung, die früher der gängige Trostpreis an die daheimgebliebene und vom öffentlichen Ruhm ausgeschlossene Gattin war. Ostentativer wird es, wenn die mittlerweile sprichwörtlichen „Karens“ der Boomer-Generation als „Terrorists“ ihr Fett genauso wegkriegen wie sich Beyoncé selbst als Exponentin eines „Un-American Life“ bezeichnet. Wenn auch das Stück America Has A Problem nicht das liefert, was sein Titel zu versprechen scheint, sondern sich auf einen Drogen-Rap-Track aus Atlanta bezieht, ist allein der musikalische Verweis auf all die marginalisierten queeren Schwarzen Subkulturen auf dem Album ein politischer Fingerzeig.Doch genau dafür muss die Künstlerin auch mit Kritik rechnen, wenn sie als heterosexuelle cis Frau in einer ökonomisch mehr als komfortablen Position diese Stile aneignet und mit ihnen die großen Scheine verdient, die den Schöpfer*innen jener Stile – vor allem denen aus der so glamourösen wie prekären Ballroom Culture – meist verwehrt blieben. So löste die Äußerung „I Just Quit My Job“ aus Break Your Soul im Netz bereits eine Welle von begeisterten Kündigungsgeschichten aus, die durch den Song inspiriert worden seien. Manche hingegen ätzten, sie könnten ihren Job leider nicht aufgeben, da sie sich sonst das teure Yoncé-Merch nicht leisten könnten.Auch ein Superstar wie Beyoncé entkommt der Kritik an der Ausgefeiltheit eines Diversity-Kapitalismus, der alle Identitäten mitdenkt und zelebriert, ohne das grundsätzliche Ausbeutungs- und Ungleichheitsparadigma in Frage zu stellen, nicht mal so eben mit fluffigen Dancefloor-Killern. Doch sie hat bereits angekündigt, dass die jetzt veröffentlichte Platte nur Teil I ihrer Renaissance sei. Part II und III mit noch mehr Musik werden wohl in Kürze folgen. Von einer Country-Platte wird bereits gemunkelt. Aber vielleicht wird es ja auch eine „Renaissance of Marxism“, remixed by Beyoncé.Placeholder infobox-1
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