„Es ist nicht Aufgabe eines Kunstfestivals, ein Pflaster auf soziale Probleme zu kleben“
Interview Tania El Khoury und Bochra Triki kuratieren das feministische Kunstfestival „Tashweesh“ in drei Städten und auf zwei Kontinenten. Hier sprechen sie über die Herausforderungen und das Gefälle zwischen Tunis, Brüssel und Wien
In Wien läuft derzeit das feministische Kunstfestival Tashweesh, das zuvor bereits Station in Tunis und Brüssel gemacht hat. Das arabische Wort „Tashweesh“ bedeutet so viel wie „Störgeräusch“ oder auch „Gemurmel“ und dient hier als Chiffre für eine Hinterfragung von Zuschreibungen. Tania El Khoury und Bochra Triki haben Künstlerinnen, Literatinnen, Performerinnen, Filmemacherinnen und Theoretikerinnen eingeladen, um mit ihnen einen globalen Feminismus jenseits von Grenzen und Stereotypisierungen zu erproben.
der Freitag: Frau El Khoury, Frau Triki, Sie verstehen sich selbst nicht als Kuratorinnen. Das finde ich in Zeiten, in denen beinahe jede kulturelle Organisationsform als „Kuration“ gelabelt wird, durchaus ers
als „Kuration“ gelabelt wird, durchaus erstaunlich.El Khoury: Wer will denn bitte Kurator*in sein? Vielleicht Leute, die sonst nichts haben? Nein, im Ernst, ich sehe mich in erster Linie als Künstlerin. Und das bringt es mit sich, dass ich eingeladen werde, andere Künstler*innen zu kuratieren, was immer aufregend ist. Ich bin trotzdem nicht an einer Karriere als Kuratorin interessiert.Triki: Ich habe früher als Französischdozentin an der Universität in Tunesien gearbeitet, jetzt bin ich in erster Linie Aktivistin. Wir kommen beide nicht aus der „Kuratier-Industrie“, und wir haben diese Praxis auch nicht als akademisches Fach studiert. Es ist einfach etwas, das wir mitunter tun.Das Festival findet über einen Zeitraum von drei Wochen in drei Städten in drei Ländern und auf zwei Kontinenten statt. Wie ist so etwas zu bewältigen?Triki: Das war tatsächlich herausfordernd. Wir konnten uns mit den vielen Personen, mit denen wir arbeiten, nur in Online-Meetings austauschen. Auch Tania und ich haben uns wegen Covid überhaupt zum ersten Mal im Mai getroffen! Zudem kannte ich natürlich die künstlerische und feministische Szene in Tunis gut, die in Brüssel und Wien waren jedoch völlig neu für mich. Besonders spannend war es für mich, dort Leute aus der arabischen Diaspora kennenzulernen, die versuchen, die Dinge in Europa aus einer intersektionalen Perspektive ins Rollen zu bringen. Politisch verwirrend fanden wir, dass bei einem Festival, das den Dialog zwischen Nord und Süd zum Thema hat, genau diese Disparität wieder sichtbar wird: Wir hätten uns gewünscht, dass bei einem Programm, das auf den arabischen Raum fokussiert ist, nicht das Line-up in der einzigen teilnehmenden arabischen Stadt so viel kleiner ist als in den beiden europäischen Städten.El Khoury: Es war nicht wirklich verwirrend. Wir hatten einfach gedacht, dass die europäischen Institutionen der nordafrikanischen etwas von ihrem Budget abgeben würden, aber das ist nicht passiert. So wurde das Programm in Tunis sehr klein und in Brüssel und Wien sehr umfangreich.Inwieweit adressieren Sie im Festivalprogramm diese Art von Machtstrukturen, die in einem globalen Feminismus typisch sind?Triki: Es war eher im Planungsprozess, dass wir diese Ungleichheit immer wieder angesprochen haben. Als Co-Kuratorinnen sind wir nicht Teil der Institutionen und dadurch nicht für die Finanzen zuständig. Daher sehen wir es als unsere Rolle an, genau hier auch Kritik zu üben. Es ist ja nicht so, dass wir, nur weil wir selbst von Förderungen abhängig sind, unseren Mund zu diesem Thema nicht mehr aufmachen.Auch innerhalb feministischer Communitys gibt es große Ungleichheiten in Bezug nicht nur auf Herkunft, sondern Klasse, Bildungsstand etc. War das für Sie ein Thema?El Khoury: Definitiv. Von Anfang an haben wir versucht, unser Programm intersektional zu denken. Was ergibt sich aus den Überschneidungen von queerer Theorie und Aktivismen mit Feminismus, Klasse und Race und was bedeutet das für uns? Als wir beide unser feministisches Bewusstsein entwickelt haben, waren wir und unsere ganze Generation von etwas umgeben, das wir heute als kolonialen Feminismus identifizieren würden. Das ist für uns immer noch sehr präsent und wir haben in einem mehrtägigen Online-Retreat versucht, diese Perspektive mit verschiedensten Akteur*innen aus diversen Altersgruppen, Klassen und Regionen zu reflektieren.Frau Triki, Sie haben früher in Tunesien das Festival Chouftouhonna organisiert, das sich aus Angst vor Repressionen nicht als queer gelabelt hat. Was hat sich seit damals geändert?Triki: Das war 2015. Als wir angefangen haben, wollten wir, dass das Publikum die Queerness des Programms wahrnimmt, ohne dass wir es als queer etikettieren müssen. Wir wollten die Leute nicht mit Vorurteilen oder mit gewaltvollen Reaktionen konfrontieren. Das wäre auch einfach gefährlich gewesen. Mittlerweile gibt es in Tunis das Mawjoudin Queer Film Festival, das großartig ist. Seit 2013 wurden feministische und queere Aktivist*innen immer sichtbarer und haben so auch die Begriffe präsenter gemacht.Wie war es dagegen jetzt, mit Feminist*innen in drei verschiedenen Städten zu arbeiten? Gab es hier jeweils unterschiedliche Kontexte zu beachten, zum Beispiel auch sprachlich? Ich denke daran, dass viele Feminist*innen heute beispielsweise lieber von der Verwendung des Wortes „Frau“ absehen möchten, weil sie es als limitierend empfinden.Triki: Ganz ehrlich, ich habe während der Vorbereitung insgesamt vielleicht zehn Tage in Brüssel und Wien verbringen können, daher kann ich keine fundierte Aussage über spezifische lokale Debatten machen.El Khoury: Wir sollten uns auch hüten, solche Dinge gleichzusetzen. Anti-queere Gesetze in konservativen oder religiösen Ländern sind etwas ganz anderes als Debatten darum, ob der Begriff „Frau“ ausschließend ist oder nicht.In einem Gespräch auf der Tashweesh-Website betonen Sie, dass Sie nicht die Arbeit einer NGO machen.El Khoury: Es geht uns dabei um die Rolle von Kunst innerhalb von sozialen Bewegungen, die Veränderung und Widerstand zum Ziel haben. Während Kunst kommentieren, exponieren oder eine Gegenerzählung aufbauen kann, ist sie nicht dafür da, eine schnelle Lösung für die Probleme des Alltags zu liefern. Diese Art der Abhilfe ist der Arbeitsbereich von NGOs, nicht von Kunst. Aber viele Leute, auch smarte Journalist*innen, kommen zu uns und fragen: „Was tun Sie denn jetzt konkret für die Frauen mit Ihrem Festival? Wie helfen Sie ihnen?“ Es ist nicht die Aufgabe eines Kunstfestivals, ein Pflaster auf soziale Probleme zu kleben. Auch wenn manche Leute das behaupten, weil es gut für sie selbst oder ihre Geldgeber*innen klingt.Inwieweit spielt internationale feministische Solidarität eine Rolle für Sie? Rund um die Proteste in Iran nach dem Tod von Mahsa Jina Amini, die angeblich ihren Hidschab nicht korrekt getragen habe, sind die Reaktionen aus Deutschland, das sich ja „feministische Außenpolitik“ auf die Fahnen geschrieben hat, bisher sehr verhalten. Hat das aus Ihrer Perspektive damit zu tun, dass alle Diskussionen rund um das Kopftuch im Westen als rassistisch vermintes Terrain gelten?Triki: Es geht doch nicht um das Kopftuch, sondern darum, eine Wahl zu haben. Niemand sollte sich auf das Kopftuch konzentrieren, sondern viel eher auf die Frage, warum nicht alle Menschen auf der Welt frei entscheiden können, was sie tragen oder nicht tragen wollen.El Khoury: Die Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan wird bei uns über internationale feministische Solidarität sprechen – und das gesamte Festival wird in Solidarität mit den Protesten in Iran abgehalten. Das ist eine Protestbewegung, die von Frauen angeführt wird, bei der es aber um noch viel mehr als Gendergewalt geht. Ja, es geht um deren Selbstbestimmungsrecht, aber auch um Unterdrückung generell, um das Recht, selbst über die eigene Zukunft zu bestimmen, ob in wirtschaftlicher oder geschlechtlicher Hinsicht. Wir denken, dass in Iran eine Gender-Apartheid herrscht. Daher ist es jetzt unsere Aufgabe, mit den Menschen dort, die ihr Leben riskieren, solidarisch zu sein, ihnen zuzuhören und ihre Informationen weiterzuverteilen. Es geht den Protestierenden nicht darum, das Tragen oder Nicht-Tragen eines Kopftuchs zu propagieren, und auch nicht darum, Religiosität oder Nicht-Religiosität zu verdammen. Es geht um ihre Entscheidungsgewalt über ihren eigenen Körper und ihre Zukunft – und darin müssen wir sie unterstützen.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1