Von Reisenden und Wegelagerern

Landtagswahl Mittlerweile scheint eine ganze Demokratie Glaubwürdigkeitsprobleme zu haben - Eine grüne Analyse.

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Haben (Nicht-) Wähler vielleicht eine grüne Seele? Mittlerweile haben nicht mehr nur Politiker und Parteien ein Glaubwürdigkeitsproblem, sondern die ganze Demokratie. Eine Wahlbeteiligung von unter 50% bei der Landtagswahl in Sachsen könnte man auch als absolute Mehrheit gegen die parlamentarische Demokratie interpretieren.


Sind diese ganzen verweigernden Wahlberechtigten blöd und desinteressiert? Wohl kaum - Es ist ein lauter Fingerzeig auf die Abwesenheit von zukunftsfähigen Lösungskonzepten der Etablierten. Und der Rechtsruck durch die AfD? Das ist kein Rechtsruck, sondern ein Rückruck. Es ist eine Reaktion auf die zunehmende Unübersichtlichkeit der Welt und das dadurch gestörte menschliche Grundbedürfnis nach Sicherheit = Angst. Die Reaktionen von Menschen in verwirrenden Veränderungen funktionieren weitestgehend gleich. Man wird durch Angst nicht etwa weltoffener oder toleranter, sondern grenzt sich ab, wendet sich dem Vergangenen zu, dem was schon früher funktioniert hat: traditionellen Werten. Und in Deutschland sind die heiligen Kühe Wachstum, Wohlstand und Vollbeschäftigung. Sozial ist was Arbeit schafft und die darf uns bekanntlich keiner weg nehmen.


So mimen die großen Volksparteien weiterhin die Bewahrer der guten alten Zeit, während die AfD die gute alte Zeit mit einer diffusen Mor­pho­se aus DMark-finanziertem Anti-Alles-Andere-Schutzwall zurückholen will.


Bewahrer denken immer in Schachteln - Veränderung bedeutet, dass es keine Schachteln mehr gibt.

Albert Einstein soll mal gesagt haben: “Viel mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.” Besser kann man unsere Bestandsdemokratie-Problematik wohl kaum zusammenfassen. Man kann eben nicht die ganze Zeit Zukunft sagen und gleichzeitig Vergangenheit machen. Man kann nicht zwanzig Jahre die Rente verfrühstücken, irgendwann kommt dann mal Mittag- und Abendessen. Und die sind mittlerweile auch schon weg. Das fällt irgendwann wirklich dem Letzten auf, auch wenn tapfer eine veröffentlichte Meinung der nächsten rosigen Statistik folgt.


Das harmonisch-widersprüchliche Gedudel im Hirn führt schon lange bis zum aufgeklärten Bildungsbürger, zu einem gedanklichen Papierstau und offenbart dabei die offensichtliche Konzeptlosigkeit von neuen sowie etablierten Parteien.
Das Land vereint mehr und mehr die unterschiedlichen Nuancen von verwirrten Bewahrern (Wähler) und spaltet sie gleichzeitig von den verwirrten Zweiflern (Nicht-Wähler). In Summe ergibt das wiederum eine konforme ängstliche Gruppe - den natürlichen Feind von Toleranz, Demokratie und Vielfältigkeit. Das führte zum Wahlergebnis in Sachsen, zum Ergebnis der europäischen Abstimmung, und letztes Jahr eben auch schon in die GroKo.


Die allgemeine Angst und Verwirrung der Bevölkerung macht auch vor den Parteien nicht halt. Das ist völlig logisch, da es sich bei Politikern um Menschen handelt, obwohl gerne das Bild der Allwissenden verkauft, und leider auch allzu gerne gekauft wird.
Wenn die Verwirrung immer weiter zunimmt, dann besinnen sich alle irgendwann auf die grundlegenden Werte, und im Gegensatz zu allen anderen sind diese bei Bündnis 90 / Die Grünen wahrlich zukunftstauglich.


Es handelt sich um echte Werte wie Kooperation, Schutz von Menschenrechten und das Wohlergehen des Planeten. Christlich oder sozial nur noch im Namen tragen, fällt irgendwann auf. Und Verzeihung - sozial ist im 21. Jahrhundert eben nicht mehr, was Arbeit schafft. Sozial ist, und war auch immer schon, was human ist. Und wenn man dabei jetzt auch an alte Lieblinge ran muss, die sich als unzeitgemäß oder menschenunwürdig herausgestellt haben, dann ist das so, und auch gut so.


Wenn man seinen Gegner nicht besiegen kann - umarme ihn.

Der Markenkern von Bündnis 90/Die Grünen ist nicht zu knacken und er war schon zu Gründer- und Zusammenschlusszeiten der Weg in die Zukunft. Das ist und war, heute wie damals, demselben Establishment bekannt.
Die grünen Werte wurden über die Jahrzehnte politisch-gesellschaftlich oftmals erfolgreich wegmoderiert, lächerlich gemacht, integriert, stumm vereinahmt, passend gemacht, und im schlimmsten Fall einfach neo-liberal ins Marktwirtschaftliche gepresst. Das Ziel wurde so oder so erreicht: Verwässerung und Aushöhlung der Werte, bei gleichzeitigem Profilverlust der Verfechter.

All das passierte schleichend, so dass es den Bündnisgrünen kaum selbst auffiel. Irgendwo im wie auch immer motivierten Sachzwang, Konsens- und Kompromiss-Strudel, hatte man angefangen zu glauben, dass die einstige Kampfansage an das Establishment, irgendwie magisch establishment-kompatibel geworden sein muss.
Den Satz "Wenn Du deinen Gegner nicht besiegen kannst - umarme ihn.” kennen auch die Bündnisgrünen. Dabei ist ihnen aber, vielleicht auch auf Grund eines intellektuellen blinden Flecks, lange nicht in den Sinn gekommen, dass sie nicht der Umarmende, sondern der dauerhaft Umarmte sein könnten.


Intellektuelle und Naturliebhaber sind nicht immun gegen das Prinzip Anerkennung. Wer über Jahrzehnte nicht weiter als zum Zünglein an der Waage gekommen ist, fängt zwangsläufig an, den eigenen Weg, die eigenen Maßnahmen, zu hinterfragen und wendet sich dem zu, was besser funktioniert.
Die gute alte Tugend: man muss den Fehler in sich selbst finden. Wenn aber die Umgebung an sich der Fehler ist, dann wird die Tugend zum Trugschluss. Man sitzt der eigenen Suggestion auf und wird so zum Teil des Ganzen. Aber ein Teil dessen zu sein, gegen das man antritt, funktioniert eben nicht. Das aus den Augen verloren zu haben, könnte man den Bündnisgrünen vorwerfen - mehr aber auch nicht.


Bis auf wenige Yogamatten-Zyniker, die Waffenlieferungen als friedenssichernde Maßnahmen verstehen, ist der ganze grüne Laden voll mit Leuten, die maßgeblich zu Frieden und nachhaltiger Erneuerung von Mensch, Natur und Wirtschaft beitragen.
Der Faktor Wählbarkeit 2014 liegt bei Bündnis 90 / Die Grünen um einiges höher, als beim Rest der Teilnehmer. Grün denken und handeln ist im 21. Jahrhundert die Massenbewegung der Wahl, und nicht irgendeine luxuriöse ökologische Nische. Und bloß weil andere mit mehr Geld und mehr Redezeit dagegen anbrüllen, haben sie noch lange nicht recht - hatten sie nie!


Es handelt sich niemals um ein Zukunftsinvestment, wenn es gleichzeitig den Planeten zerstört.

Während mehr und mehr Ökonomen führenden Politikern samt der EZB die herrschende Klima-, Geld- und Sparpolitik um die Ohren hauen, Vorschläge machen, die aus der Initiative Bedingungsloses Grundeinkommen stammen könnten, feiern selbst-ernannte Neu-Grüne Windräder, Solarpanels und E-Mobility als Wachstumsmärkte ab und lassen sie dann “inhouse” gleich dauerhaft regulieren.


Wer die NSA als weiterhin abhörenden Kooperationspartner beim Schutz von Sicherheit und Freiheit versteht, den kann man wohl kaum noch ernst nehmen. Wer die monopol-bewahrenden, Brückentechnologie preisenden Energiekonzerne als richtigen Partner für die zukünftige Energieversorgung versteht, sitzt definitiv auf dem Holzdampfer.
Und wer die führenden Brandenburger Parteien, samt verrocktem Flughafen, oder das AfD-Gespenst als Zukunftsarchitekten für das Wohlergehen des Landes versteht, der glaubt auch noch, dass man Geld essen kann.


Die Bestandsrepublik hat eine bröckelnde Erfolgsgeschichte vorzuweisen. Wer in Deutschland wohlhabend oder zufrieden ist kommt wohl immer mehr auf den Betrachter an und ist mit Sicherheit nicht Konsens.
Konsens besteht aber offensichtlich darin, dass alles irgendwie ewig weiter gehen kann wie bisher. Wie viele verschwundene Dörfer, verbrannte Steuergelder, Fukushimas und Ressourcen-Konflikte vertragen Mensch und Planet wohl noch, bis endlich gesellschaftlich die Kausalketten gebildet werden?

Nichts ist so mächtig, wie eine Idee deren Zeit gekommen ist.

Den Grünen kann man die weitere Entfaltung ihres Markenkerns samt grüner Seele locker zutrauen. Aber erst wenn die modernen Wegelagerer von der Straße sind, dann kommen die Reisenden ungestört durch.
Brandenburg ist nicht die Welt, aber es wäre schön wenn man dort schon mal damit anfangen würde sie zu retten. Dafür braucht es höhere Wahlergebnisse als die letzten 20 Jahre. Wer also wählt sollte grün wählen, und wer nicht, der auch. Das wäre eine echte Investition in die Zukunft.

Dieser Beitrag gibt die Meinung der Autorin wieder, nicht notwendigerweise die Meinung von Bündnis 90 / Die Grünen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sonja Karas

Unternehmerin, Kommunikationsberaterin, Transition Politician. Schreibt was, wenn es aus dem Grundrauschen hervorsticht und es die Zeit erlaubt.

Sonja Karas

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