Das Facebook-Profil von Lucy Herrera Alamán Valdés war ein gruseliger Fund: Auf dem Profilfoto ist die junge Frau aus Ciudad Juárez mit grauem Klebeband vor dem Mund zu sehen, das Fotoalbum dokumentiert ihren Mord – eine gefesselte, nackte Frau in einer Blutlache, der Mörder mit dem Messer neben ihr. Im Profiltext hinterließen die Killer noch eine Warnung: „Neugierige Schweine“ im von „MM“ kontrollierten Gebiet werde dasselbe Schicksal ereilen wie Lucy Herrera Alamán Valdés.
Die Geschichte von diesem Mord, die blutigen Bilder, die an die Öffentlichkeit gerichtete Drohung, die das Blog del Narco Ende Juni veröffentlichte, reihen sich in die täglich vom mexikanischen Drogenkrieg produzierten Schrecken ein – neu war aber die Personalisierung, das Eindringen in die digitale Intimsphäre des Opfers, das Facebook-Profil. Es gibt zwar Vermutungen, beim Fall Lucy Herrera Alamán Valdés würde es sich um einen Hoax handeln, also ein falsches Profil, das mit Fotos einer Horror-Trash-Produktion garniert wurde, trotzdem gibt diese Geschichte einen Ausblick auf eine durchaus vorstellbare Zukunft, wenn die mexikanischen Kartelle auch noch soziale Netzwerke instrumentalisieren, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Denn das ist schon jetzt die Botschaft: Wer sich gegen die Kartelle wendet, wird fertiggemacht, offline und online.
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Bilder im Informationskrieg: Weil die klassischen Medien längst in den Fängen der Kartelle sind, etabliert sich im Netz eine Gegenöffentlichkeit (alle Fotos: AFP / Getty Images)
Das Internet ist längst ein erweiterter Schauplatz des Drogenkriegs. Social Media-Plattformen wie Blogs, Twitter oder Facebook spielen eine immer wichtigere Rolle – für die Bürger, aber auch für Kartelle. Leonarda Reyes, mexikanische Investigativreporterin und Direktorin der Journalistenvereinigung CEPET, hat bereits 2006 untersucht, wie Kartellmitglieder Blogs und Foren als Plattform nutzen: „Sie tauschen Beleidigungen aus, verspotten und bedrohen sich, prahlen mit Morden, kündigen Attacken an oder rühmen sich zahlreicher Vergeltungsschläge. Ihre Nachrichten enthalten auch erschütternde Geständnisse und chiffrierte Anleitungen für Operationen. Einer hat sogar neue Arbeit bei den Narcos gesucht und auf seine Referenzen als Ex-Soldat verwiesen.“
Als der spanische Journalist Ignacio Escolar 2006 auf seinem Politikblog Escolar.net drei Reportagen über die Kartelle veröffentlichte, zog die Seite mehr als 2.000 Kommentatoren an, die sich in üblem Slang und Orthografie eine verbale Fehde lieferten. Einer kündigte auch einen Mord an Marcelo Garza y Garza, dem Chefermittler des Bundesstaates Nuevo León, an – 18 Tage später wurde Garza y Garza tatsächlich erschossen. „Ich dachte, dass die Kommentare von Jugendlichen stammen, die zu viele Narcocorridos [Lieder, die Kartelle und Drogenhandel glorifizieren, d. Red.] gehört haben“, schrieb Escolar geschockt. „Man glaubt ja nicht daran, dass ein Narco-Killer sein nächstes Opfer in einem Blog ankündigen würde.“
Einschüchterung im Netz
Der Drogenkrieg ist auch ein Informationskrieg: Die Kartelle instrumentalisieren Medien, gerade Lokalzeitungen, für gezielte Öffentlichkeitsarbeit: „Sie nutzen Medien, um ihre Rivalen zu diskreditieren, korrupte Beamte bloßzustellen, die für Konkurrenzkartelle arbeiten, sich selbst gegen Anschuldigungen der Regierung zu verteidigen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen“, fasst die Journalistenvereinigung CEPET zusammen. Auch missliebige Reporter werden zum Schweigen gebracht – durch Bestechung, Bedrohung, Bombenanschläge auf Redaktionen, Entführungen und Ermordungen.
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Während der Amtszeit von Präsident Felipe Calderón von 2006 bis 2012, der Militär und Bundespolizei gegen die Drogenmafia einsetzte, hat sich der Kampf um Einfluss, Macht und Märkte der teils aufgesplitterten Kartelle verschärft – 60.000 Menschen kamen ums Leben. In den Städten an der Grenze zu den USA, die von den Kartellen unter dem Schweigen der lokalen Presse besonders terrorisiert werden, vernetzen sich die Menschen über Facebook, Blogs und Twitter und warnen sich unter hyperlokalen Hashtags wie #reynosafollow oder #matamaros in Echtzeit vor Schießereien oder verdächtigen Personen und geben an, in welchen Straßen die Kartelle Blockaden aufgestellt haben. Oder sie twittern Informationen über Einschüsse oder Morde, lassen ihrer Verzweiflung Raum – Selbsthilfe per Social Media.
Auch ein eigenes Blog-Genre ist entstanden, das ausschließlich die blutigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Kartellen, aber auch zwischen Kartellen, Soldaten und Polizei dokumentiert: Die sogenannten Narcoblogs berichten über zerstückelte Leichen, Massengräber, Schießereien, Bombenanschläge – auch mit expliziten Fotos und Videos, die teils aus klassischen Medien übernommen wurden, oft aber wie bei Wikileaks von anonymen Zulieferern stammen. Die Narcoblogs sind umstritten: Die Autoren, Kollaborateure und Kommentatoren bleiben aus gutem Grund anonym, auch Falschmeldungen könnten zirkulieren, das Bildmaterial ist äußerst brutal – und die Kartelle nutzen bekannte Blogs wie das Blog del Narco für Eigen-PR. In den Kommentarspalten melden sich etwa Bandenmitglieder mit Drohungen oder Verurteilungen von Aktionen zu Wort. Die Tempelritter, die Nachfolger des 2010 zerschlagenen Kartells La Familia Michoacana, versuchten sich in den Kommentaren als Retter der Nation, als gerechtes, soziales und gläubiges Bollwerk gegen die sinnlos mordenden anderen Kartelle darzustellen – wurden aber ausgebuht.
Zur Maximierung des Schreckens veröffentlichen rivalisierende Kartelle regelmäßig Videos von Hinrichtungen – als Botschaften an Gegner. „All eure Leute werden so enden wie ihr“, droht eine Stimme den jungen Mitgliedern des Zetas-Kartells, denen in einem kürzlich veröffentlichten Drei-Minuten-Video virtuell die Köpfe abgesägt werden. In dem Blog finden sich auch Fotos von zerstückelten Leichen und „Narcomensajes“ – Zettel mit Warnungen an Rivalen, untreue Bandenmitglieder, Bürger, Politiker oder Journalisten –, die am Tatort hinterlassen wurden. Gegen den Vorwurf der Gewaltverherrlichung wehren sich die Blogbetreiber des Blog del Narco, die sich als neutral verstehen: „Es handelt sich einfach um Geschichten, die tatsächlich passieren, die wir nicht erfinden und die unsere traurige, aber harte Realität zeigen.“
Katz- und Maus-Spiel
Die Kommentarspalten des Blogs sind zu offenen Debattierclubs avanciert. Hunderttausende klicken hier täglich rein. Neben Pöbeleien finden sich Beiträge von Bürgern, Kartellmitgliedern, Waffen-Experten, auch Polizisten oder Soldaten, die manchmal dazu beitragen, Geschehen zu verifizieren, einzuordnen, Tote zu identifizieren, kurz gesagt: das Chaos in Mexiko ein kleines bisschen verständlicher zu machen, auch wenn die Wahrheit sehr durchlässig ist. Inzwischen beobachten auch mexikanische Behörden und das FBI das Blog del Narco; das Ministerium für Homeland Security hat einem Bericht der Zeitung Excélsior zufolge Narcoblogs wie Blog del Narco, Guerra contra el Narco, Tribuna Regional sowie die englischsprachigen Seiten Borderland Beat und Borderfire Report im Visier.
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Je größer die Bedeutung des Internets als letzter Ort der Informationsfreiheit wird, desto mehr sorgen sich die Kartelle um die Kontrolle: Im vergangenen Jahr begannen sie, Blogger und Social-Media-Nutzer brutal zu ermorden, um die Netzwelt einzuschüchtern.
Am 13. September 2011 hingen die Leichen einer jungen Frau und eines jungen Mannes von einer Brücke in Nuevo Laredo, sie waren vor ihrer Ermordung gefoltert, ihre Ohren und Finger verstümmelt worden, die Zetas hatten eine Warnung an „Online-Verräter“ hinterlassen, die „lustige Sachen im Internet posten“ – etwa in dem Blog del Narco oder im Forum Frontera al Rojo Vivo. Nur wenig später, am 26. September 2011, töteten die Zetas die 39-jährige María Elizabeth Macías Castro, die als „La Nena de Laredo“ oder „Laredo Girl“ regelmäßig in dem Crowdsourcing-Blog Nuevo Laredo en Vivo und in anderen sozialen Netzwerken postete. Die Website hatte Informationen zu Kartellen veröffentlicht, auf anonyme Whistleblower-Seiten von Polizei, Marine und Militär verwiesen und zusammen mit den Usern eine kollektive Karte mit Drogenverkaufspunkten erstellt. Als Warnung köpften die Zetas Castro und legten ihren Kopf auf einer Tastatur ab. Am 9. November wurde an derselben Stelle die nächste Leiche gefunden, diesmal ein Mann, der auf dem Portal berichtet haben soll.
Vier Internet-Morde innerhalb von zwei Monaten – die Droh-Kampagne verfehlte ihre Wirkung nicht: Die Netzgemeinde war geschockt, einige schlossen ihre Twitter-Profile oder hörten auf zu bloggen – Nuevo Laredo en Vivo forderte alle Nutzer auf, Passwörter und Namen zu ändern; das Forum Frontera al Rojo Vivo wurde geschlossen. Andere gaben sich kampfbereit: „Ich bin bereit, mein Leben zu opfern, wenn die Soldaten meine Berichte beachten, wenn das Risiko irgendetwas bringt“, schrieb der Nutzer „Anon5182“. Twitter-Nutzer aus verschiedenen Staaten riefen die mexikanische Regierung öffentlich auf, einzugreifen. Aber was sollte die tun?
Da Sicherheit und Strafverfolgung in Mexiko nicht funktionieren und auch der im Juli neugewählte Präsident Enrique Peña Nieto die Situation in absehbarer Zeit kaum entschärfen wird, ist die Anonymität der einzige Schutz, den die Social-Media-Aktivisten besitzen – doch der ist fragil.
Bei dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Kartellen und Netzaktivisten stellt sich die Frage, wie weit die Macht der Kartelle schon reicht. Landeten die Kartelle Zufallstreffer? Schützten die getöteten Blogger ihre Identät nicht ausreichend? Ließen im Netz veröffentlichte Informationen Rückschlüsse auf die Urheber zu? Oder haben sich die Kartelle inzwischen professionalisiert?
Die Söldner an der Tastatur
Mexikos Drogenbarone sind gut vernetzte Unternehmer, die auch in anderen Bereichen wie Menschenhandel, Prostitution und in legalen Branchen agieren – und sich zunehmend für den lukrativen Wachstumsmarkt Cyberkriminalität rüsten. Geld und Wege, sich mit ausreichender technischer Ausstattung und Expertise auszurüsten, hätten sie – das wiederum ließe sich auch zur Verfolgung missliebiger Blogger und Internetaktivisten nutzen. „Die Zetas scheinen mindestens rudimentäre Fähigkeiten zu besitzen, Online-Aktivitäten zu Menschen in der realen Welt zurückzuverfolgen“, konstatierte der private US-Sicherheitsdienst Stratfor im November 2011. „Sie sollen ein Team von Internetexperten beschäftigen und zudem Quellen in der mexikanischen Regierung haben.“
Wie weit die Anwerbung von Cybersöldnern vorangeschritten ist, die im Auftrag der Kartelle hacken, ist unklar – angeblich sollen Kartelle aber bereits IT-Experten gezwungen haben, für sie zu arbeiten. Ein 24-Jähriger, so berichtete die mexikanische Zeitung Excélsior, sei etwa mit einem guten Jobangebot gelockt und dann festgehalten worden, um einen Auftrag für den inzwischen inhaftierten Drogenbaron Edgar Valdez Villareal, alias „La Barbie“, vom Beltrán-Leyva-Kartell auszuführen.
Mexikanische Studenten empfehlen sich unterdessen gegenseitig, erst einmal simple Sicherheitslücken zu schließen: keine Unbekannten als Facebook-Freunde anzunehmen und die Ortsfunktion zu deaktivieren. „Immerhin wachsen die Blogs und Webseiten schneller, als man sie stoppen kann, und sie sind ziemlich effektiv“, macht einer den anderen Hoffnung. „Sonst würden diese Feiglinge gar nicht versuchen, Leute einzuschüchtern, damit sie damit aufhören.“
Sonja Peteranderl ist freie Journalistin und hat ihre Masterarbeit über die digitale Seite des mexikanischen Drogenkriegs geschrieben
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