Die Lust am Verschwörungsvorwurf

Debattenkultur Zum aktuellen Strukturwandel von Öffentlichkeit

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Im Zuge der Corona-Pandemie ist „Verschwörung“ einmal mehr ein gern strapaziertes Wort. Wird bei den einen ein „Verschwörungsglauben“ diagnostiziert, so spotten andere über „Verschwörungsleugner“. In diesem Sport der Labelisierungen und Zuschreibungen wird um Deutungshoheit gerungen, werden Diskurslinien markiert und Grenzen gezogen. Dabei bleibt außen vor, dass sehr wohl Ungeheuerliches geschehen kann. Also Dinge und Ereignisse, die die gewöhnlichen Maßstäbe des Menschlichen überschreiten. Die Geschichte des 20. Jh. bietet reichlich Beispiele dafür, wenigstens nachträglich solches anzuerkennen. Zugleich müssen sich jene fragen, die gern alles Übel der Welt im Wirken weniger Personen vermuten, ob damit die Ausübung von Macht im 21. Jahrhundert hinreichend charakterisiert ist. Ganz sicher gibt es keinen Generalsouverän, gewählt oder nicht gewählt, bei dem/der alle Fäden zusammenlaufen. Ganz sicher gibt es allerdings Netzwerke, Einflussnahmen ohne demokratisches Mandat, systematische Intransparenz und Manipulation. Macht ist abstrakt und konkret zugleich, komplex, verborgen, für viele nicht durchschaubar und doch nicht selten dem eigenen Verständnis von Gerechtigkeit zuwiderlaufend. Das ist der gesellschaftliche Nährboden für allerlei Interpretationen, die Orientierung bieten, denn mit Unkenntnis lässt es sich schlecht leben, erscheint das Bild von der Welt zu wackelig. Verschwörungsvorwürfe sind daher wohlfeil, wenn sie sich allein darin erschöpfen und die inhaltliche Auseinandersetzung vermieden wird. Sie sind dem Diskurs wenig dienlich, wenn dadurch Kritik lediglich denunziert wird; sie fördern Polarisierung statt Meinungsvielfalt. Meinungsfreiheit hat unter solchen Umständen keine guten Karten. Auch die solchermaßen diskursiv hergestellte, gefühlte soziale Zugehörigkeit, die aufkommen mag, wenn man/frau sich den einen oder anderen allgemein gehaltenen Vorwürfen anschließt, dürfte eher auf Sand gebaut, mithin fragil sein. Denn diese Klassifizierungen fördern kaum die eigene Urteilskraft, das Vermögen, zu differenzieren und zu sachbezogenen, begründeten Auffassungen zu gelangen. Das aber braucht es gerade angesichts vielfältiger Problemlagen, gesellschaftlicher Spaltungen und den Belastungsproben, die damit für die Demokratie einhergehen.

Hinzu kommt ein weiteres Moment, dessen Einfluss oft nicht bedacht wird: die Veränderungen in der Art, wie Öffentlichkeit verfasst ist und ihr Einfluss auf die diskutierten Inhalte. Das Internet bietet Möglichkeiten, dass sich Bürger:innen ohne Mittlerinstanzen informieren und austauschen können. Die etablierten Medien sehen sich einer neuen Konkurrenz gegenüber. Darauf wird in dem Artikel „Filter. Fake. Fidelity. Der aktuelle Strukturwandel von Öffentlichkeit eingegangen. Er ist im Rahmen einer zweijährigen europäischen Kooperation zur Digitalen Allgemeinbildung entstanden, in dessen Ergebnis ein Wiki zu Aspekten der Digitalisierung erstellt wurde. Ansatz des Projektes ist es, Digitalisierung sowohl in ihren technologischen als auch gesellschaftlichen und politischen Dimensionen zu thematisieren. Die Beiträge sind in einfachem Englisch gehalten. Jener zu Big Data liegt auch in deutscher Sprache vor.

Das Projekt wird über das Erasmus+-Programm für Erwachsenenbildung gefördert. Die Autor:innen der Wiki-Beiträge haben ihre Kompetenzen als Ingenieure, Psychologen, Pädagogen, IT-Lehrer und Sozialwissenschaftler von Organisationen in Paris, Málaga, Focsani/Rumänien und Berlin eingebracht und ihre Kenntnisse sowie Methoden der Erwachsenenbildung geteilt. Neben den bereits erwähnten Artikeln informieren sie zur Geschichte der Digitalisierung und des Wandels von Arbeit, zu Künstlicher Intelligenz, Cybermobbing, der Datenschutzverordnung der EU und Mitteln der Online-Zusammenarbeit. Zusätzlich zu den thematischen Darstellungen sind außerdem Beschreibungen formaler und non-formaler Methoden verfügbar. Sie wurden in gemeinsamen Workshops getestet und können von Dozent:innen/Trainer:innen der Erwachsenenbildung angewandt werden. Ein Hinweis auf das Wiki wurde auch auf der EPALE-Plattform für Erwachsenenbildung in Europa veröffentlicht.

Die Projektbeteiligten freuen sich über Kommentare. Gern können andere auf das Wiki hingewiesen werden – ganz 'unverschwörerisch'.



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Geschrieben von

Sophia Bickhardt

Diplom-Sozialwissenschaftlerin; Leiterin weltgewandt. Institut für interkulturelle politische Bildung e.V.

Sophia Bickhardt

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