Ohne Frauen ist keine Revolution zu machen

Umbruch 1989 Wenn in den nächsten Monaten die Erinnerung an «Wende» und «Mauerfall» zelebriert wird, kann gern auch der Blick auf das Engagement von Frauen geweitet werden

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In unserem Land ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört.Mit diesem Satz wird zum «Aufbruch '89» aufgerufen, genauer: der Gründung des Neuen Forum. Dies geschah vor 30 Jahren, am 10. September 1989. Das Neue Forum sollte im Herbst 1989 zu einer Plattform werden, über die Menschen im ganzen Land ins Gespräch kamen und Veränderungen hin zur Demokratisierung ihrer Gesellschaft auf den Weg brachten. Als ein von staatlicher Kontrolle unabhängiger Zusammenschluss wurde das Neue Forum am 19. September von Bärbel Bohley und Jutta Seidel angemeldet. Sie beide, Katja Havemann und Ulrike Poppe sind als Aktive von '89 einigermaßen bekannt. Viele andere jedoch nicht. Dabei waren es einzelne Frauen, die oftmals den Anstoß zum Aufbruch gaben. Daneben gründeten sich im Herbst 1989 Gruppen wie die "Lila Offensive" oder der Unabhängige Frauenverband. Deren politisch-feministisches Profil bietet auch heute zahlreiche Anregungen.

weltgewandt. Institut für interkulturelle politische Bildung e.V. hat dazu die Publikation «Ohne Frauen ist keine Revolution zu machen. HERstory und Dynamiken des demokratischen Umbruchs von 1989 in der DDR» herausgebracht. Die Bildungsmaterialien sind im Ergebnis einer Kooperation zwischen Organisationen in Helsinki / FIN, Marseille / FR, Lódz / PL, Málaga / SP und Berlin entstanden, die vom Erasmus+-Programm für Erwachsenenbildung gefördert wurde. Unter dem Titel «Connecting Memories. The Power of the Past and the Future of Europe» griffen sie dabei Fragen auf, die im jeweiligen Land kontrovers debattiert oder/und im öffentlichen Erinnern vernachlässigt werden. Die Publikation ist über die Website von weltgewandt e.V. sowie die Projektwebsite in deutscher und englischer Sprache frei zugänglich.

Die Würdigung von Einzelakteurinnen und Frauengruppen ist eingebettet in die Erörterung der Vorgeschichte von 1989. Warum konnten die so stabil anmutende DDR und ihre Führung derart schnell an Macht verlieren? Was waren die Ideen derer, die das Land verändern wollten? Was geschah VOR der Maueröffnung am 9. November? Welche Rolle kommt dabei dem 9. Oktober 1989 zu? Da Geschichte gewöhnlich parallel auf den drei Zeitebenen Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft erörtert wird, mündet die Abhandlung in die Reflexion erinnerungspolitischer Narrative der Gegenwart. Dies gilt insbesondere für die so genannte „Einheitserzählung“.

Im Sinne der europäischen Ausrichtung des Projekts enthalten die Materialien auch Perspektiven auf den demokratischen Umbruch von 1989 in der DDR durch Bürger/innen aus dem Umfeld der Partnerorganisationen. Damit wird gleichwohl bestätigt, was Ausgangspunkt der Publikation war: Die Kenntnisse über «1989» sind nicht nur in der jüngeren Generation, sondern auch in anderen Ländern Europas ausbaufähig. Dies zu ändern, bietet der abschließende Methodenteil Übungen für die Bildungsarbeit, die auf Workshops gemeinsam erprobt wurden.

Der HERstory-Ansatz wie auch die Aufmerksamkeit für 'O-Töne' und Programme jener bewegten Zeit bieten die Möglichkeit zur Horizonterweiterung, auf dass das Bild über die DDR und ihre bürgerliche Revolution von 1989 weniger 'grau' oder 'schwarz-rot-gold', sondern farbenfroher gerät. Dies möge nicht zuletzt auch Anknüpfungspunkte für Diskurse bieten, die über den nationalen Tellerrand hinausreichen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sophia Bickhardt

Diplom-Sozialwissenschaftlerin; Leiterin weltgewandt. Institut für interkulturelle politische Bildung e.V.

Sophia Bickhardt

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