Wären es doch nur Propaganda-Lügen!

Mörderische Geostrategie Linke tun sich schwer, den syrischen Aufstand gegen das Assad-Regime überhaupt wahrzunehmen

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In den Äußerungen solcher Progressiven kommen die Aufständischen ausschließlich vor als „Islamisten, die ein Kalifat anstreben“- so letzthin im Freitag in Bezug auf Aleppo nachzulesen(1), ungeachtet der vielfach dokumentierten Tatsache, dass die so Geschmähten bereits 2014 einen zweiten Aufstand ausriefen – den gegen Daesh.(2)

Auch in der Friedensbewegung oder unter Linken, die sich für Menschenrechte einsetzen, gibt es ähnliche blinde Flecken oder Vorentscheidungen, wessen Menschenrechte etwas gelten - und wessen nicht; wer internationales Recht verletzen darf und wer nicht.

Zunächst war ich verblüfft angesichts der Empörung einer Menschenrechtlerin über Kritik am syrischen und iranischen Regime – wegen deren Menschenrechtsverletzungen. Wer diese Regierungen kritisiere, habe keine Ahnung von Geopolitik, so die Menschenrechtlerin. Ich konnte das Argument so wenig nachvollziehen wie – sagen wir – das Verständnis eines Tierschützers für die Anliegen der Wilderer, die vom Elfenbeinhandel leben. Wenn ganz sicher etwas dafür verantwortlich zu machen ist, dass Menschenrechte und die Rechte und legitimen Ambitionen von Bevölkerungen missachtet werden, dann geopolitisches Kalkül, das auf der Welt, wie wir sie kennen, alle Mächte ganz wesentlich treibt, bzw. dem sie unterworfen sind.
Die Menschenrechtlerin, die sich wahrscheinlich als Linke bezeichnen würde, empörte sich gegen eine kritische Stellungnahme(3) zur alljährlichen sogenannten Quds-Demo in Berlin und in diesem Zusammenhang zum iranischen Regime, das diese Demos einst ins Leben rief. Dieses Regime, so die Stellungnahme, gebe gerne vor, für die Rechte der Palästinenser*innen einzutreten, während es selber die Menschenrechte mit Füßen trete und kein Problem damit habe, ein anderes Regime zu unterstützen, das, insbesondere aktuell, alles andere als zimperlich mit Menschen und deren Rechten umgehe: das syrische. Was an dieser Kritik für die linke Menschenrechtlerin „geopolitisch bedenklich“ ist? – Es gibt, „geopolitisch links“ gedacht, Regierungen bzw. Staaten auf dieser Welt, die man nicht kritisiert, egal was sie den ihnen ausgelieferten Menschen antun, denn mit diesen Regierungen oder Staaten ist man im Bunde gegen andere, die man hofft, im großen geopolitischen Weltenschach irgendwann mattsetzen zu können. Um was zu erreichen? – Dass Frieden und Glückseligkeit all überall herrschen, unter der Ägide von Leuten wie unserer Menschenrechtlerin. Die scheint vergessen zu haben, dass sie weder Staat noch Regierung und mit ihrer Geostrategie auch keine Menschenrechtlerin ist.
Geopolitik ist der reine, glasklare Opportunismus der Macht, dem jederzeit alles und jede/r geopfert wird, auch wenn ganz sicher viele Linke, die immer noch in dieser Art Kalkül befangen sind, nur „das Beste“ wollen, das, was sie als das Beste imaginieren (ohne die Betroffenen zu fragen),
nämlich den Sieg ihrer Lieblings-Staaten/-Regierungen über die anderen, die für alles Übel dieser Welt verantwortlich sind.
Aufgrund geopolitischer Erwägungen können in Deutschland und weltweit Linke dieser Art den Aufstand breiter Teile der syrischen Bevölkerung für Freiheit, Brot und Würde schlicht nicht wahrnehmen, geschweige denn die Möglichkeit seiner Legitimität auch nur ins Auge fassen. Denn für sie ist Assad die „Bastion gegen US-Imperialismus und Zionismus“. Für geostrategisch denkende Linke sind Menschen, die es wagen, in Syrien, einem der Lieblingsstaaten eben dieser Geostrateg*innen für ihre Rechte auf die Straße zu gehen, arme Irre, Verführte oder Bestochene, die nicht wissen, was gut für sie ist: nämlich die harte Hand von Assad Vater und Sohn, deren allgegenwärtige Geheimdienste und die Konzentration der wirtschaftlichen Ressourcen in den Händen des weise herrschenden Clans. Es irritiert ganz besonders, wenn die Vertreter*innen einer solchen Weltbeglückungsstrategie zumeist weiß sind und im globalen Norden unter privilegierten Bedingungen leben – im Gegensatz zu den Objekten ihrer Theorie.
Selbst wenn diese Linken, Menschenrechts- und Friedens-Engagierten mit den Geflüchteten aus Syrien Mitgefühl zeigen und deren Rechte hierzulande verteidigen, so nur, insofern man sie als Opfer des „Bürgerkriegs“ darstellen kann und da wiederum als Opfer der Islamisten – und der „Kriegstreiber“, Regimechanger“ und „Destabilisierer“ im Westen. Das ganze Elend ist nach dieser Lesart über Syrien gekommen, weil die ahnungslosen bzw. von äußeren Mächten angestifteten Aufständischen den Staat destabilisiert haben, der angeblich seit so vielen Jahren ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Ethnien und Religionen garantiert hat. Ich möchte diese Lesart hier nicht widerlegen. Das haben andere bereits getan.(4) Es geht mir nur darum, nachzuzeichnen, wie eine geostrategische Denkweise von vorne herein Bevölkerungen und deren Anliegen, Menschen und deren Rechte ausblenden muss. Die stören grundsätzlich das große geostrategische Spiel.

Genauso wenig können diese Strateg*innen den, zugegeben, etwas komplizierteren Gedanken ins Auge fassen, dass Berichte nicht unbedingt unzutreffend sein müssen oder Kritik haltlos, nur weil sie von westlichen Mainstream-Medien und –Politiker*innen geäußert werden. Auch wenn derartige Kritik am syrischen Regime und an der Rolle von dessen Förderern Russland und Iran häufig den geopolitischen Anschauungen und Interessen dieser Kritiker entsprechen, heißt das nicht, dass es sich notwendig um „Propaganda-Lügen des Westens“ handelt. Wäre es doch so! Wäre es doch nur Propaganda! Aber die syrische Armee und ihre Verbündeten jagen tatsächlich die fliehenden Menschen in Aleppo und anderswo erbarmungslos, täglich werden im Durchschnitt zehn Menschen in den Kerkern des Regimes zu Tode gefoltert, und seine Bomben und die seiner Verbündeten fallen tatsächlich seit Jahren auf Städte und Ortschaften, deren Bewohner es gewagt haben, sich autonom zu organisieren, gegen das Regime, für das Überleben – und – wie in Aleppo und anderswo – gegen Daesh.(5)

Dem Westen wird von jenen linken Geostrategen sicher zu Recht vorgeworfen, dass er in seinen Stellungnahmen und seinem Eingreifen (und Zögern – doch ein solches wiederum können sie nicht wahrnehmen) eigene – geostrategische – Interessen verfolge. Wie könnte es anders sein? Tatsächlich war der Westen, einschließlich Israels, geostrategisch not amused angesichts der breiten, das syrische Regime herausfordernden Protestbewegung. Schließlich hatte selbst Israel sein Auskommen mit Assad Vater und Sohn, und die neoliberale Umstrukturierung und Öffnung der syrischen Wirtschaft (unter Assad Junior) waren durchaus im Sinne Europas und anderer. Auch westliche Staaten setzen auf Stabilität – und, wenn’s nicht anders geht, Stabilität durch Diktaturen. Mit den linken Geostrategen sind sie sich durchaus einig: Sie trauen der (überwiegend arabischen, womöglich gar muslimischen) Bevölkerung in „solchen“ Ländern in Sachen Demokratie und politische Selbstbestimmung nicht viel zu. Sie betrachten sie im Falle Syriens als Opfer, nicht als politische Subjekte. Denen muss man erst noch good governance beibringen. Gerne bietet man seine Dienste an, indem man, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist, ihre Polizei einkleidet, ausbildet und ausrüstet und eventuell aufbegehrende Intellektuelle in NGO-Strukturen einbindet, wo sie nicht nur lernen, wie‘s transparent und effizient nach westlichem Muster geht, sondern auch gut bezahlt werden und ihre revolutionären Flausen vergessen. Insbesondere Deutschland setzt auf solche Formen der Befriedung und Stabilisierung, nicht auf Kriegstreiberei – ganz im Sinne seiner geostrategischen Interessen. Ob mit oder ohne Assad, man bereitet sich auf „den Tag danach“ vor, wenn alles wieder irgendwie stabil ist und tabula rasa, eine gute Voraussetzung für deutsche Unternehmen, sich beim Wiederaufbau zu engagieren. Das syrische Regime und seine Verbündeten – die eigentlichen Kriegstreiber in diesem Kontext(6) – haben unterdessen die menschen- und völkerrechtlich schmutzige Arbeit übernommen, das Land zu verwüsten. Ungeachtet der zwischenzeitlich unterschiedlichen Rollen werden sich am Tag danach die Beteiligten einigen, wer welche geostrategischen Vorteile aus der Situation zieht. Düstere Aussichten für die Menschen in Syrien und ihre Hoffnungen auf politische Selbstbestimmung.

Besonders bitter aber ist es, wenn Linke der menschenverachtenden geostrategischen Denkweise anhängen. Dazu der libanesische Analyst Joey Ayoub: „Die Syrer*innen werden nicht vergessen, wie Linke sie im Stich gelassen haben. Genau wie gewisse Linke – wir nennen sie ‚PEP‘ („Progressives except for Palestine“) die Palästinenser*innen während eines Großteils der palästinensischen Geschichte nach 1948 im Stich gelassen haben (…) – so wiederholen sie denselben Fehler im Falle Syriens.“(7) Sie erlauben es sich, aufgrund ihrer Befangenheit in geostrategischen Denkweisen, „PES“ zu sein, Progressive außer in Bezug auf Syrien.

1. https://www.freitag.de/autoren/daniela-dahn/die-guten-und-die-boesen
2. https://syriafreedomforever.wordpress.com/2014/01/03/protests-against-isis-january-3-2014/; http://www.syriauntold.com/en/2014/01/islamist-influence-in-the-syrian-revolution-follow-the-money/; https://now.mmedia.me/lb/en/Now-Syria/528566-syrians-launch-new-revolution-against-isis/; u.v.a.m.: Was die Aufständischen “treiben”, lässt sich, anders als von Daniela Dahn behauptet, also durchaus zeitnah und genau verfolgen.
3. http://bds-kampagne.de/2016/07/01/stellungnahme-von-bds-berlin-gegen-die-al-quds-demo-2016-in-berlin/
4. So etwa Robin Yassin-Kassab und Leila A—Shami in ihrem Buch Burning Country, Syrians in Revolution and War; Pluto press 2016.
5. Das wahrzunehmen und zu benennen, hindert keineswegs daran, genauso den verbrecherischen Feldzug Saudi-Arabiens und seiner Verbündeten im Yemen anzuprangern: https://www.jacobinmag.com/2016/10/syria-assad-yemen-saudi-arabia-arab-spring/
6. So lautete die vorweihnachtliche frohe Botschaft des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu laut AFP am 22.12.2016, Russland habe „in Syrien viele moderne Waffen sowie Ausrüstung getestet.“ Diese hätten sich als "hoch effektiv" herausgestellt. „Seit der militärischen Beteiligung Russlands am Konflikt in Syrien auf Anforderung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad im September 2015“ habe es 18.800 Einsätze der russischen Luftwaffe mit 71.000 Angriffen gegeben.
7. http://www.middleeasteye.net/columns/left-s-hollow-anti-imperialism-over-syria-1081590395

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