Potemkin an der Elbe

Green Capital Hamburg ist Europas Umwelthauptstadt 2011. Vom angeblich grünen Image profitiert die Stadt ­bereits, den Titel allerdings muss sie sich noch verdienen

Manfred Braasch trinkt einen Schluck Kaffee und seufzt. „Natürlich wundert mich, dass Hamburg Green Capital wurde.“ Auf seinem Schreibtisch liegen haufenweise Zettel und Mappen, er kramt ein Blatt Papier hervor: die Begründung der Jury. „Diese Bewertung hier beweist, dass vieles gar nicht beurteilt wurde, beispielsweise der Naturschutz.“

Braasch ist Landesgeschäftsführer des Hamburger Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Er trägt Fleecepulli, Jeans und eine kantige, schwarze Brille. An den Wänden seines Büros hängen Flurkarten und Poster. In einem Regal sammeln sich dutzende schwarze Ordner mit Aufschriften wie „Moorburg“, „Airbus“ oder „Hafenprivileg“. Braasch kämpft von hier aus gegen Hamburgs Umweltsünder. Seit kurzem hat er einen neuen Gegner: die Umwelthauptstadt Hamburg.

Bereits vor einem Jahr, am 23. Februar 2009, wurde Hamburg der Titel „European Green Capital“ verliehen. Schmücken darf sie sich damit aber erst im kommenden Jahr. Insgesamt 35 europäische Großstädte hatten sich um die Auszeichnung beworben. Im Finale konnte sich Hamburg gegen Städte wie Amsterdam, Kopenhagen und Freiburg durchsetzen. Die Brüsseler Jury lobte die „ehrgeizigen Klimaschutzziele“ der Hansestadt. Volle Punktzahlen holte die Delegation der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) allerdings nur für Konzept und Präsentation. Da bleibt bis 2011 noch einiges zu tun.

Die Freude in der Hamburger Politik war groß. „Wir haben in unserer Bewerbung deutlich gemacht“, meinte die grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk, „dass Umweltschutz und Wirtschaftsentwicklung sehr wohl zusammenpassen.“ Ole von Beust wurde gar etwas pathetisch: „Diese Verleihung ist auch eine Verpflichtung.“ Der Bürgermeister ist seit 2007 Klimaschutzbeauftragter der CDU. In dieser Rolle will er Hamburg einerseits zum bundesweiten Vorreiter in Sachen Klimaschutz machen. Doch zum Vorreiter eignet sich die Stadt an der Elbe nur bedingt.

„Den Titel muss sich Hamburg noch verdienen, “ meint Umwelt-Experte Braasch. Bei der Entscheidung der EU-Jury seien „ekla­tante umweltpolitische Sünden der Vergangenheit“ ausgeblendet worden, etwa die Zuschüttung des Mühlenberger Lochs oder die Baugenehmigung für das neue Kohlekraftwerk Moorburg, das 2012 in Betrieb gehen soll. Der BUND-Mann glaubt, dass das EU-Gremium getäuscht wurde: „Man hat vieles schöner gemacht, als es eigentlich ist.“ In der Bewerbung sei vor allem mit Konzepten gewedelt worden. „Der Titel ist erst gerechtfertigt, wenn diese Pläne realisiert werden.“ Doch daran hapert es derzeit.

Fehler der Vergangenheit

Auch die großen Umweltsünden der vergangenen Jahre haben bei der Entscheidung offenkundig keine große Rolle gespielt. Diese Liste der hanseatischen Verfehlungen ist lang. Da ist zum Beispiel die Erweiterung des Airbus-Werks im Stadtteil Finkenwerder, für die vor knapp zehn Jahren 170 Hektar des in Europa einzigartigen Elbe-Süßwasserwatts Mühlenberger Loch zugeschüttet wurden. „Das war ein echter Umweltgau“, sagt Braasch. Bis heute gibt es für die teilweise Zerstörung der umweltgeschützten Elbbucht keinen Ausgleich. Ebenso unbeachtet von der Jury blieb offenbar die Airbus-Startbahnverlängerung, gegen die fast zweihundert Umweltschützer und Anwohner vergeblich klagten. Bürgermeister und Umweltfreund von Beust stand damals fest auf Seiten von Airbus und ließ die Grundstücksbesitzer für die Piste enteignen.

Auch das Hin und Her um den Schutz des Hamburger Wattenmeers konnte der Kür zur Green Capital offenbar nichts anhaben. Der Hamburger Senat hatte 2008 die Anmeldung des der Flächen als Weltnaturerbe der UNESCO abgelehnt. Wieder einmal war von Beust eingeknickt, er begründete seinen Schritt mit der nächsten Elbvertiefung: „Angesichts der vielen zehntausend Arbeitsplätze dort war eine Zustimmung nicht möglich.“ Braasch sieht das anders: „Das war eine Posse, die Begründung war konstruiert.“

Zwei Jahre später scheint auch von Beust klar, dass eine Vertiefung der Elbe wahrscheinlich gegen europäisches Naturschutzrecht verstößt. Die Ausbaggerung der Elbe ist vorerst von der Tagesordnung gestrichen. Jetzt soll Hamburgs Wattenmeer doch noch bei der UNESCO angemeldet werden. „Alles andere wäre auch peinlich“, sagt Braasch.

Es waren vor allem ökologische Versprechen, die Hamburg den Weg zur grünen Hauptstadt geebnet haben: Etwa die Verringerung der CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent. Oder neue Verkehrskonzepte wie die Einführung einer Stadtbahn, einer City-Maut oder einer Umweltzone. Was in Brüssel unberücksichtigt blieb: Die Umweltzone ist eigentlich längst überfällig. Seit Jahren ist bekannt, dass die EU-Grenzwerte für Stickstoff in Hamburg deutlich überschritten werden. „Man kann nicht Umwelthauptstadt sein, doch gegen die Luftschadstoffbelastung der Bevölkerung nichts tun“, kritisiert Braasch. Er steht mit seiner Kritik nicht allein. Auch Stephan Zirpel, der Geschäftsführer des Naturschutzbund Deutschland in Hamburg, hält den Preis „für einen Witz“. Und weil immer mehr Verbände die Auszeichnung kritisieren, gibt es seit Oktober die UHU-Initiative: Ein eigens auf Kritik an der Green Capital spezialisiertes Umweltbündnis.

Die Kritiker sind sich einig: Die größte Hamburger Umweltsünde ist und bleibt der Bau des Kohlekraftwerks in Moorburg. Wegen seines gigantischen Kohlendioxidausstoßes von jährlich 8,5 Millionen Tonnen nach der geplanten Fertigstellung 2012 und der Kühlwassernutzung aus der Elbe wird das Kraftwerk zu einer enormen Klimabedrohung. „Moorburg ist ein Schandfleck für die Umwelthauptstadt“, em­pört sich ­Braasch. Trotz lautstarker Proteste von Verbänden und Bürgerinitiativen soll die CO2-Schleuder bald in Betrieb genommen werden. Wieder einmal hat von Beust mit seiner ambitionierten Klimapolitik versagt. 2007 hatte sich der CDU-Klimaschutzbeauftragte dem Willen des Stromkonzerns Vattenfall gebeugt und das Kohlekraftwerk genehmigt. „CO2 ist für sich genommen nicht giftig, es besteht also keine Gefahr für die Bevölkerung in der Nähe“, erklärte von Beust seine Entscheidung.

Viele Lippenbekenntnisse

Neben den Öko-Sünden der Vergangenheit gibt es jedoch auch noch Entscheidungen aus der Gegenwart, die manch einen Umwelt-Experten den Kopf schütteln lassen. Jüngstes Beispiel sind die Harley Days, ein Großevent, zu dem seit einigen Jahren rund 75.000 Motorräder aus ganz Europa an die Elbe kommen. Erst wurde das Mega-Treffen abgesagt, weil es nicht so recht zum zum Image einer Umwelthauptstadt passen wollte. Dann aber rettete Bürgermeister von Beust die Harley Days doch noch. Sie finden nun wie geplant statt.

Politische Kehrtwenden dieser Art sind in Hamburg keine Seltenheit. Die schwarz-grüne Regierung ist inzwischen bekannt für ökologische Lippenbekenntnisse – ökologische Taten folgen eher selten.

Um den grünen Anstrich der Hansestadt kümmert sich unterdessen ein kleines Team in der Umweltbehörde. Eine aufwendige Arbeit, die den „Green Capitalisten“ offenbar keine Zeit für öffentliche Stellungnahmen lässt. Nur soviel lässt sich erfahren: Für 2011 sind ein Infopunkt geplant, ein ökologisches Filmfestival und ein Zug, der Hamburgs Öko-Ideen in ganz Europa verbreiten soll. Mehr als ein Jahr nach der Preisverleihung kann die Hansestadt ansonsten keine konkreten Aktionen und Fortschritte in Sachen Klima- und Umweltschutz aufweisen. Umweltzone, Wattenmeer-Anmeldung, bisher ist nichts geschehen. Vielmehr deutet alles darauf hin, das Hamburg mit dem Titel Green Capital überfordert ist. Bisher zumindest hat nicht die Umwelt, sondern nur das Image der Hansestadt von dem Titel profitiert.

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