Absurde Argumente

Atomwaffen Deutschland verweigert sich einer generellen Ächtung von nuklearen Sprengsätzen. Damit wird das Bekenntnis zur Abrüstung unglaubwürdig
Absurde Argumente

Foto: imago / United Archives

Deutschland hat sich erneut geweigert, den Einsatz von Atomwaffen unter allen Umständen zu ächten. In der UNO-Generalversammlung am vergangenen Wochenende haben 124 Staaten eine entsprechende Erklärung unterzeichnet. Die deutsche Regierung aber versteckt sich hinter der NATO-Doktrin, die auf Abschreckung setzt – während sie sonst gerne schöne Reden von weltweiter Abrüstung schwingt. Diese Haltung ist paradox, zynisch – und unverantwortlich.

Abschreckung und Abrüstung seien kein Widerspruch, schreibt die Bundesregierung in der Antwort auf eine Anfrage aus der Grünen-Fraktion. Das ist falsch. Wer immer auf das Einknicken der anderen wartet und bis dahin das Drohpotential behält, blockiert die Abrüstung.

Die Erklärung der 124 Staaten fordert, dass Atomwaffen nie wieder eingesetzt werden, unter keinen Umständen. Und zwar um das Überleben der Menschheit zu sichern. Die Erklärung, die ursprünglich von der Schweiz initiiert wurde, ist kein Vertrag und keine Konvention. Von ihr geht also keine rechtliche Verpflichtung aus. Dennoch ist sie der Ausdruck einer moralischen Überzeugung, die politischen Einfluss haben kann. Nämlich dass Atomwaffen die Legitimität entzogen werden muss.

Deutlich wie nie

Eben weil sie kein Vertrag ist, bedeutet die Erklärung auf gesetzlicher Ebene keinen Widerspruch mit der NATO-Abschreckungsdoktrin. Hinter dieser Behauptung aber verschanzt sich die Bundesregierung – und setzt damit weiter auf den Besitz von Atomwaffen. „In der Erklärung werden Nuklearwaffen jedoch per se und nicht nur ihrem Einsatz katastrophale Wirkungen zugeschrieben“, schreibt die Bundesregierung. Diese Reaktion ist absurd. Waffen gibt es nur zu einem Zweck: zu ihrem Einsatz.

„Eine so deutliche Äußerung der Bundesregierung habe ich noch nie gesehen“, sagt Martin Hinrichs von der internationalen Kampagne gegen Atomwaffen (ICAN), der 300 Organisationen in 80 Ländern angehören, über die Antwort der Regierung.

Mit Dänemark, Norwegen und Island haben sich andere NATO-Mitglieder der Erklärung angeschlossen. Anders als Deutschland erkennen sie, dass die Erklärung eine notwendige Stigmatisierung, nicht aber ein Bruch mit der NATO-Doktrin bedeutet. Insofern ist Deutschlands Bekenntnis zur Abrüstung unglaubwürdig.

Die Unterzeichnerstaaten haben auch erkannt, dass der Text ein Beitrag ist zu einer Weiterentwicklung des Völkerrechts. Denn dieses weist eine eminente Lücke auf. 1996 hat der Internationale Gerichtshof eine weltweite rechtliche Verpflichtung zur Abrüstung festgestellt und geurteilt, dass der Einsatz von Nuklearwaffen grundsätzlich im Widerspruch zum Völkerrecht steht. Nicht entscheiden aber konnte das Gericht, ob der Einsatz recht- oder unrechtmäßig ist, wenn das reine Überleben eines Staates bedroht ist. Aus dieser Unentschiedenheit bastelt sich die deutsche Regierung in ihrer Antwort auf die Grünen-Anfrage eine ihr genehme Faktenlage. Es gebe kein Verbot des Einsatzes von Nuklearwaffen, heißt es da.

Es fehlt die Stigmatisierung

Inzwischen aber hat sich laut Hinrichs von der internationalen Kampagne gegen Atomwaffen die Meinung von Völkerrechtlern geändert. Atomwaffen verletzen das internationale Völkerrecht massiv. Sie unterscheiden nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen, betreffen aber im Falle eines Einsatzes Hunderttausende Menschen – viel mehr als chemische Massenvernichtungswaffen. Sie können also in keinem Fall in einem angemessenen Verhältnis stehen zu den militärischen Zielen, wie es jedoch das Völkerrecht fordert. Chemische und biologische Waffen sind schon international geächtet. Auch der geschäftsführende Außenminister Guido Westerwelle (FDP) verwendet in Bezug auf Chemiewaffen starke Worte der Stigmatisierung. Für Atomwaffen tut er das nicht – obwohl es für sie erst recht notwendig wäre.

Die Bundesregierung will sich aber nicht gegen die Atommächte stellen – und somit Atomwaffen unter bestimmten Bedingungen zulassen. Die offizielle Linie lautet: Deutschland ist für die Abrüstung – aber nicht ganz. Deutschland trete ein für den Stopp von Waffentests und Produktion – und für humanitäre Hilfe.

Wäre die Regierung aber tatsächlich konsequent, so müsste sie auch den Besitz – die Waffe „per se“ – ächten. Denn wird eine Atomwaffe eingesetzt, ist keine sinnvolle humanitäre Hilfe mehr möglich. Nach Einschätzungen des Internationalen Roten Kreuzes würde nicht einmal ein international koordinierter Großeinsatz ausreichen, um allen verletzten Menschen zu helfen. Von den Toten ganz zu schweigen.

Wenn es um die Macht der Abschreckung geht, so bräuchte wohl jedes Land dieser Erde Atomwaffen. Wenn aber etwa die USA behaupten sollten, sie wären ein besonders bedrohtes Ziel, so ist damit implizit auch die Vorstellung verbunden, dass ein Land aufgrund seines Abschreckungspotentials besondere Aggressionen auf sich zieht. Eben solche Staaten, die sich als besonders gefährdete Ziele sehen, sollten in der so oft beschworenen beiderseitigen Abrüstung den ersten Schritt tun. Schon aus ihrem eigenen Interesse.

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