Kings of Kotelett

Regierungsbildung Lindner, Schulz und Kühnert mach(t)en nicht mit. Um sie zu verstehen, müssen wir zurückblicken auf Peer Steinbrück, Stefan Raab und Niccolò Machiavelli

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Christian Lindner im November 2017: „Wir werden unsere Wählerinnen und Wähler nicht im Stich lassen, indem wir eine Politik mittragen, von der wir im Kern nicht überzeugt sind.“
Christian Lindner im November 2017: „Wir werden unsere Wählerinnen und Wähler nicht im Stich lassen, indem wir eine Politik mittragen, von der wir im Kern nicht überzeugt sind.“

Bild: FDP/Twitter

Mit dem Beginn von Koalitionsverhandlungen steht das vorläufige Ende einer besonderen Debatte in der Bundespolitik bevor – der Debatte über das Nicht-Mitmachen. Neu ist diese natürlich nicht. Auf Twitter wird Juso-Vorsitzender Kevin Kühnert regelmäßig an die folgenschwere Aufkündigung der Großen Koalition durch die SPD im Frühjahr 1930 der Weimarer Republik erinnert. Aber die Berliner Republik schreibt zur Frage nach guten Gründen des Sich-Verweigerns gerade eigene Geschichte.

In ihr sind die, die Regierungsverantwortung ablehnen, scharfer Kritik ausgesetzt. Das liegt zum einen an der breiten Akzeptanz der von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier formulierten Maxime: „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn [er] sie in den Händen hält.“ Aber das Nicht-Mitmachen birgt darüber hinaus ein prinzipielles Problem, weil es eine grundsätzliche Absage an Zusammenarbeit darstellt. Wer nicht mitmacht, der wird mit dem Vorwurf des Spielverderbens konfrontiert. Dieser wirft die Frage des Egoismus auf. Nichtmitzumachen lässt vermuten, dass einem die eigenen Ziele und die eigene Macht wichtiger sind, als der Grundsatz der Kooperation. Martin Schulz, Christian Lindner und Kevin Kühnert sind in der öffentlichen Debatte alle einer solchen Verantwortungslosigkeit bezichtigt worden und haben sich diese zum Teil gegenseitig vorgeworfen. Gleichzeitig argumentieren aber auch alle drei, dass ihre Verweigerung eben gerade nicht das eigene, sondern das Wohl Deutschlands im Blick habe oder hatte.

Wo der Vorwurf des politschen Egoismus im Raum steht, da ist Niccolò Machiavelli nicht weit. Machiavelli steht ‚mit seinem Namen‘ für das Prinzip der rücksichtslosen Machtpolitik. Aber seine politische Philosophie ist differenzierter. Er hat nicht nur Ratschläge für den Alleinherrscher im Il Principe (‚Der Fürst‘) verfasst, sondern sich in den Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio (‚Abhandlungen über die ersten zehn Bücher des Titus Livius‘) auch umfassend mit dem Zusammenspiel von Parteien und Repräsentanten in den Republiken der Antike auseinandergesetzt. Seine Perspektive auf seine Heimat Florenz und die dort herrschenden Zustände ist dabei besorgt, fast fatalistisch, und damit ganz im Einklang mit der bundesdeutschen Stimmungslage. Die Begriffe und Kategorien des Florentiner Philosophen und Historiker erlauben einen schärferen Blick auf die großen Nicht-Mitmacher der jüngsten Vergangenheit sowie ihre Positionen zu Haltung, Verantwortung und dem Wohl Deutschlands.

Klare Kante: Peer Steinbrück

Stefan Raab im TV-Duell der Kanzlerkandidaten 2013: „Herr Steinbrück, aber das ist doch keine Haltung, zu sagen ‚Ich will nur gestalten, wenn ich auch King of Kotelett bin‘. Oliver Kahn ist auch als Nummer Zwei zur WM gefahren. Und warum? Weil es der Sache dient!“

Um die Verweigerungsdebatte nach der Bundestagswahl 2017 wirklich zu verstehen, ist der Blick zu einem früheren Nicht-Mitmacher nötig. Im TV-Duell 2013 standen sich Angela Merkel und Peer Steinbrück gegenüber. Der Herausforderer hatte bereits ein Jahr vorher, beim Landesparteitag der nordrhein-westfälischen SPD in Münster, die Übernahme eines Ministeriums in einem Kabinett Merkel III ausgeschlossen. Im Fernsehduell von Moderator und Politshow-Neuling Stefan Raab gefragt, was dieser denn wählen müsse, wenn er sich „eine starke SPD mit einem starken Peer Steinbrück als Vizekanzler und Finanzminister in einer großen Koalition“ wünsche, antwortete Steinbrück: „Was den Leuten Respekt abgibt ist, wenn jemand Haltung zeigt und ‘ne klare Peilung hat und nicht laviert. Wenn er nicht rumschwafelt. Wenn er nicht für das und das zur Verfügung steht, sondern klar sagt, was ich will: Ich will Sekt oder Selter!“

Steinbrücks Antwort suggeriert: Hier spricht einer, der weiß was er will und vor allem, was er nicht will. Kein Fähnchen im Wind, sondern ein Fels in der Brandung. Das klingt vielleicht nach Gesinnungsethik, doch er evoziert hier vor allem das öffentliche Bild des Alt-Kanzlers Helmut Schmidt. Wie die Republik Schmidt sieht, als „Lotse,“ als entschlossener Macher mit ‚Peilung‘, der die Richtung angibt, so sieht Steinbrück sich und will, dass der Wähler es ihm gleichtut. Der Politikertypus, den Steinbrück darstellt, ist nicht der intrigante Puppenspieler, der üblicherweise mit Machiavelli verbunden wird. Aber er ist in dessen bekanntestem Werk Il Principe gleichermaßen prominent. Machiavelli verehrte die Macher und Gründer, die tapferen Entscheider, solche, wie seinen Zeitgenossen Cesare Borgia. Aber auch Romolus, Theseus und Moses – die Großen der Geschichte, die vorangehen, damit die Anderen ihnen folgen können. Die Selbstinszenierung des Paares Schmidt/Steinbrück steht in dieser Tradition, in der die großen Fragen Zug um Zug am Schachbrett der elder statesmen gelöst werden. Dabei bedienen sie auch das sakrale Element, das Machiavellis Politiker-Helden auszeichnet. Steinbrücks Kandidatur wird im Oktober 2011 auf einem Spiegelcover ausgelobt, das den Kandidaten und den Alt-Kanzler überschrieben mit „Er kann es“ zeigt. Der Satz ist als Auszeichnung des Charakters Peer Steinbrücks gemeint, aber schreibt dem Kandidaten darüber hinaus überweltliche Eigenschaften zu. Schmidt übergibt und bestätigt dem Kandidaten gleichermaßen Transzendentales, Machiavelli würde es Fortuna nennen.

Die frühe Ankündigung Steinbrücks, kein Ministerium in einer von Angela Merkel geführten Regierung übernehmen zu wollen, ist vor allem Teil dieser Inszenierung. Sie ist Symbolakt einer heldenhaften Entschiedenheit. Seine Haltung soll ausdrücken, dass der Kanzler Steinbrück im Amt so entschieden handeln wird, wie der Kandidat Steinbrück Angela Merkel absagt. Doch dieses Versprechen ist problematisch. Raab trifft den Kern der Sache: Der Entschluss nicht mitzumachen ist nicht Ausdruck der Überzeugung, dass dies besser fürs Land wäre. Er dient der Formung des öffentlichen Bilds des Kandidaten. Steinbrücks Haltung der ‚klaren Kante‘ ist eine der Form und Raab fragt nach dem Inhalt.

Für mich, Partei und Land: Martin Schulz und Christian Lindner

Martin Schulz am Wahlabend im Willy-Brandt-Haus: „Unsere Aufgabe ist es, in Deutschland eine Konfrontation herzustellen, die dieses Land dringend braucht. […] Ich bin angetreten, um die bisherige Regierung und die bisherige Bundeskanzlerin abzulösen. Das ist der Grund, warum ich nicht in diese Regierung eingetreten bin als Minister. Ich habe der SPD-Parteiführung deshalb heute Abend empfohlen, dass die SPD in die Opposition geht.“

Christian Lindner im Statement zum Abbruch der Jamaika Sondierungen: „Wir werfen ausdrücklich niemandem vor, keinem unserer drei Gesprächspartner, dass er für seine Prinzipien einsteht. Wir tun es aber auch für unsere Prinzipien und unsere Haltung. […] Wir werden unsere Wählerinnen und Wähler nicht im Stich lassen, indem wir eine Politik mittragen, von der wir im Kern nicht überzeugt sind. Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“

Martin Schulz und Christian Lindners Absagen haben beide durchaus Steinbrücksche Qualitäten. Auch bei ihnen geht es um Haltung und Prinzipien, die auf der großen Bühne inszeniert werden. Martin Schulz wartet nicht erst die sonst so oft bemühte ‚genaue Analyse dieses Wahlergebnisses‘ ab, sondern berichtet der Öffentlichkeit schon in den ersten Sätzen des Eingeständnisses der Wahlniederlage von seiner Empfehlung an die SPD in die Opposition zu gehen. Bei Christian Lindner zeigen das vorbereitete Statement, die markigen Sprüche auf Facebook und Twitter und vor allem die Entscheidung zuerst und alleine vor die Presse zu treten, dass das Nicht-Mitmachen auch für ihn ein symbolischer Akt ist. Schulz und Lindner inszenieren sich beide in ihrer Entschlusskraft in der Tradition der Macher und Helden. Hier stehe ich, ich kann nicht anders.

Beiden geht es aber um mehr. Christian Lindner betont seine Verantwortung gegenüber den FDP-Wählern. Er ist Vertreter ihrer Interessen und will sie nicht im Stich lassen. Die Trendwenden, für die er in den Sondierungsgesprächen gekämpft hat sind nicht erreicht und die „Freiheit des Einzelnen in einer dynamischen Gesellschaft, die auf sich vertraut“ – seine Vision für Deutschland – wurde verfehlt. Sein Verständnis von Haltung bindet ihn gleichermaßen an diese Vision und seine Wähler. Auch diese Geisteshaltung kommt bei Machiavelli vor. Der ist begeistert vom Kräftemessen zwischen Volkstribunen und Senatsmitgliedern in der römischen Republik, das gleichermaßen als Ventil für Spannungen und als Motor für eine dynamische Weiterentwicklung der Stadt fungiert. Für ihn liegt es in der Natur des Menschen, dass Interessen von Individuen und Gruppen innerhalb eines politischen Systems in Widerstreit geraten. Solche Konflikte sind Ausdruck von unterschiedlichen Perspektiven auf Gegenwart und Zukunft des politischen Systems und garantieren damit dessen Anpassungsfähigkeit an neue innen- und außenpolitische Herausforderungen. In Machiavellis Augen ist das der entscheidende Vorteil des republikanischen Systems gegenüber dem autokratischen. Dabei ist es wichtig, dass die Repräsentanten der verschiedenen Gruppen einer Gesellschaft diese auch zuverlässig vertreten, denn sonst droht das Prinzip der Repräsentanz an sich infrage gestellt zu werden.

Linder tritt am Ende der Jamaika-Sondierungen als ein solcher Vertreter des Volkes auf. Vorwürfe, er würde die Interessen seiner Wähler vor die des Landes stellen, sind einerseits deswegen verfehlt, weil sie unterschätzen, wie weit diese für Lindner zusammenfallen: Die Interessen des Landes erfüllt natürlich am besten das Programm der FDP, für das ihn ja deren Wähler mandatiert haben. Andererseits glaubt der FDP-Vorsitzende durch seinen Schritt das Vertrauen in den Prozess an sich zu stärken, indem er die inhaltliche Bindung der Repräsentanten an den Souverän, das Volk, betont. Trotz lang anhaltender Kritik an seiner Entscheidung ist Lindner mit dieser Haltung und sich selbst im Reinen – das merkt man, wenn man ihn bei seinem Auftritt am vergangenen Sonntag bei Anne Will beobachtet. In seinem Verständnis übernimmt er gerade durch das Nicht-Mitmachen Verantwortung, indem er den Wählern und seiner Vision treu bleibt und sie nicht für eine Regierungsbeteiligung über Bord wirft.

Auch Martin Schulz hat die eigene Partei im Sinn. Aber er versteht seine Wahlniederlage als Ablehnung der Positionen der SPD: „Wir haben einen Plan, dafür haben wir keine Mehrheit bekommen.“ Direkt nach der Wahl betont er stattdessen die systemische Rolle seiner Partei: Die Frage ist nicht, in welchen Positionen die SPD mit der Union könnte oder nicht könnte, sondern es geht um das Bestehen eines umfassenden politischen Gegensatzes im Bundestag an sich. Er sieht die Übernahme staatspolitischer Verantwortung gerade darin, dass seine Partei in die Opposition geht. Natürlich glaubt Schulz auch an die Notwendigkeit eines Erneuerungsprozesses der SPD und damit langfristig an die Umsetzung ihrer Positionen. Aber seine Vorstellung von Verantwortung nimmt zuerst die Institution des politischen Widerstreits an und für sich in den Blick.

Die unterschiedlichen Vorstellungen von Verantwortung der beiden Parteivorsitzenden geraten noch am Wahlabend aneinander. Lindner greift Schulz auf der politisch-inhaltlichen Ebene an und wirft ihm vor, dass er durch seine Absage an die Große Koalition die anderen Parteien sehenden Auges in eine schlechte Regierungsoption zwingt; eine Haltung, für die sich laut Lindner Helmut Schmidt geschämt hätte. Schulz verteidigt an die Übernahme systemischer Verantwortung. Obwohl er die konkreten politischen Maßnahmen einer Großen Koalition denen einer Jamaika-Koalition vorzieht, so überwiegt bei ihm der Gedanke, dass die SPD nur in der Opposition den für die Bundesrepublik notwendigen Gegensatz zur Union erzeugen kann. Mit dem Ende der Sondierungen für eine Jamaika-Koalition stehen die beiden dann erneut im Widerspruch. Nun diagnostizieren SPD und Schulz bei den Liberalen fehlendes staatspolitisches Verantwortungsbewusstsein. Aber so wie Lindners Vorwurf in der Elefantenrunde das systemische Argument der SPD unterschätzt, so verkennt die Anklage der Sozialdemokraten, dass die FDP in ihrer Verfolgung der eigenen Vision für Deutschland ebenfalls Staatstragendes sieht.

Dennoch, der Ärger bei Martin Schulz ist verständlich, denn der Abbruch der Jamaika Sondierungen stürzt sein Narrativ aus persönlicher Haltung des Kandidaten und systemischer Verantwortung der Partei in einen inneren Widerspruch. Weil die Große Koalition als einzige Regierungsoption verbleibt und weil die Deutschen insgesamt Neuwahlen scheuen, verschiebt sich der Blick der Öffentlichkeit darauf, was die staatstragende Rolle der SPD nun sein sollte. Dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das auch so sieht und die SPD in die Verantwortung bittet, betoniert diese neue Perspektive. Der Kandidat Martin Schulz ist zunächst gefangen in seiner Haltung. Wie schon in der Wahlnacht verkündet er im Schnellschuss seine Entschlossenheit in seinem Entschluss: Die SPD steht für eine Große Koalition nicht zur Verfügung.

Aber die Spannung zwischen den ehemals in Einklang stehenden und nun in Dissonanz geratenen Begründungsstrategien des Sich-Verweigerns ist unerträglich. Martin Schulz und die SPD Führung müssen die Steinbrücksche Haltung zugunsten staatspolitischer Verantwortung letztendlich doch aufgeben. Der SPD-Parteivorsitzende muss dabei seine Begründungsstrategie vollständig verändern. Anstatt der systemischen Rolle der Partei betont Schulz in der Kampagne für eine Große Koalition nun die sozialpolitischen Erfolge, die er Angela Merkel für ‚die Menschen da draußen‘ abringen konnte. Der Satz „Ein Prozent von etwas ist mehr als hundert Prozent von nichts“ in seiner Parteitagsrede fasst diese neue Position zusammen – eine politische 180-Grad Wende.

Bloß keine Helden: Kevin Kühnert

Kevin Kühnert auf dem SPD-Parteitag im Dezember 2017: „Wir streiten nicht über das ob von Verantwortung miteinander, sondern über das wie.“

Dass gleich nach dem Jamaika-Aus, besonders aber nach der Veröffentlichung der Sondierungsergebnisse, eine Gegenbewegung zu diesem Kurs der SPD innerhalb der Partei an Boden gewinnt ist bemerkenswert. Man kann das als puren Ausdruck der Zerrissenheit oder Führungsschwäche in der Partei deuten. Doch es gibt eine andere und optimistischere Lesart, die sich auf die zwei entscheidenden Errungenschaften des Juso-Vorsitzenden Kühnert und der #NoGroKo Kampagne stützt. Erstens haben diese nicht nur, entgegen der Sugggestion manch prominenter Stimme aus der Union, durchaus einen Kompass für staatspolitische Verantwortung, denn sie führen die immer noch gültigen Argumente über die Notwendigkeit politischer Gegensätze ins Feld. Sie haben es vor allem geschafft, diese Idee auch in die eigene Partei zu tragen. Kühnert will, dass auch in der Partei Widerstreit herrscht und zwar über die Inhalte für die die SPD steht. So wie Machiavelli daran glaubte, dass die römische Republik ohne politischen Streit statisch und damit zerbrechlich geworden wäre, so ist Kühnert davon überzeugt, dass echtes und offenes Ringen um Inhalte Parlament wie Parteien wiederbeleben könnte. Sein Kampf gegen die Große Koalition im Parlament ist gleichzeitig ein Kampf gegen die ‚Große Koalition‘ im Inneren der SPD.

Zweitens hinterfragen Kühnert und die Jusos grundsätzlich die Inszenierung einer Haltung der Entschiedenheit. Kühnert lehnt nicht nur personelle Konsequenzen aus der Entscheidung des Parteitags ab. Die prominenten Stimmen der #NoGroKo Kampagne widerstehen auch der Versuchung, die größte offene Flanke der SPD-Führung zu attackieren: Von „Wortbruch“ oder einer prinzipiellen Verpflichtung zu dem in der Vergangenheit Gesagtem hört man von Kühnert wenig, selbst in seiner Rede auf dem SPD-Parteitag hält er sich mit Angriffen in dieser Richtung zurück. Und das muss auch so sein, denn die Idee von Widerstreit in der Partei, vom Ringen um die Sache, ist nur schwer vereinbar mit der eines Entschiedenen, eines der Helden Machiavellis, der die ‚Peilung‘ hat. Genauso sieht es übrigens der Florentiner Philosoph selbst. Seine römische Republik verträgt Führungsfiguren, aber nach ihrer Gründung braucht ihr alltäglicher politischer Betrieb keinen Romolus mehr, und auch keinen Theseus oder Moses aus dem Principe. Im Widerstreit politischer Positionen ist der entschiedene Held verloren, weil ihm die Anpassungsfähigkeit an neue Umstände fehlt. Kühnerts Ansatz dekonstruiert sie, die Haltung des King of Kotelett eines Steinbrück, Schulz oder Lindner.

Stein des Anstoßes

Egal welchen Ausgang das interne Ringen der SPD-Mitglieder um eine Beteiligung an der Großen Koalition schließlich nehmen wird, die längste Phase der Regierungsbildung und die Nicht-Mitmacher sind kein Anlass zur Verzweiflung. Schulz, Lindner und Kühnert, sie alle haben Gründe für ihre Ablehnung der Regierungsverantwortung vorgebracht die, jeder in einer anderen Weise, staatspolitische Verantwortung betonen. Dabei bedienen sie sich fundamentaler Kategorien demokratischer Politik, die schon für Machiavelli zentral waren: Persönliche Haltung, Verantwortung gegenüber den Repräsentierten, produktiver politischer Widerstreit. Machiavellis zentrales Argument ist, das keines dieser Elemente einer Republik die anderen völlig in den Hintergrund drängen darf. Ihr Zusammenspiel sichert den Fortbestand des Systems.

Am wichtigsten scheint für die Bundesrepublik aber gerade der politische Widerstreit zu sein. Dass so viele Politikerinnen und Politiker großen Respekt für den offen ausgetragenen Streit der SPD bei deren Parteitag bekunden, lässt vermuten, dass auch in einigen anderen Parteien gerade ein bisschen zu viel ‚Große Koalition‘ herrscht. Und auch bei ihren Wählern hat vielleicht etwas GroKo-Gemütlichkeit Einzug gehalten. Ein erster Schritt um diese aufzulösen und an ihre Stelle nicht eine Führungsfigur mit entschiedener Haltung, sondern den Widerstreit über politische Lösungen zu setzen – vielleicht wird das sogar ein bleibender Verdienst der Nicht-Mitmacher werden.

Den "King of Kotelett" - Moment aus dem TV-Duell 2013 finden Sie hier.

Für Anmerkungen und Gedanken herzlichen Dank an Susann, Livia, Paul, Anjo, Jakob und Daniel.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Simon Pfeiffer

Politikwissenschaften in England und Datenjournalismus beim einfachen Dienst Twittername: @SimonDPfeiffer

Simon Pfeiffer

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