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NSA-Komplex Mit der Weigerung, in der Affäre um massenhaftes Ausspionieren der Bevölkerung intensiv zu ermitteln, geben die Bundesbehörden die Hausschlüssel beim Pförtner ab

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Wieder einmal wenig überraschend, aber dennoch schockierend fällt der ARD Deutschlandtrend für den Juli aus. Gerade einmal 21 Prozent der Befragten machen sich darüber Sorgen, ob sie durch die Spähaktivitäten der NSA persönlich betroffen sind.

Je nach Perspektive kann man dies nun deuten als Desinteresse gegenüber dem größten sicherheits- und geheimdienstpolitischen Skandal der letzten Jahrzehnte. Oder die Deutung geht in die Richtung, dass sich die Bürger dessen durchaus bewusst sind, sie sich aber trotzdem keine Sorgen machen. Welche der beiden Deutungen eher korrekt ist, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen wären und was dies alles mit Vertrauensgewinn bzw. -verlust in die Berliner Politik zu tun hat, bleibt gänzlich im Umfragenebel verborgen.

Viel Besorgnis erregender ist neben der so oder so gearteten Gleichgültigkeit der Bevölkerung die seit über einem Jahr andauernde Null-Politik der Bundesregierungen.

Fast auf den Tag genau mit seinem dreißigsten Geburtstag fiel die Bombe der Snowden-Enthüllungen. Das war im Juni letzten Jahres. Seitdem füllt sich die Chronologie der Leaks in fast atemberaubender Geschwindigkeit: Massenausspähung, Anzapfen unterseeischer Leitungen an der Nordseeküste, versteckte Horchposten auf der Berlin Embassy der USA.

Geschehen ist: fast nichts.

Erst als sich der Verdacht der illegalen und geheimen Abhöraktion des Merkelschen Mobiltelefons erhärtete, sah sich der mittlerweile selbst unter diffusem Verdacht der Strafvereitelung im Amt befindliche Generalbundesanwalt Harald Range genötigt, offiziell gegen unbekannt zu ermitteln.

Nun ist mit dem Nürnberger Informatikstudenten Sebastian Hahn, der in einem privaten Rechenzentrum einen Server für das Anonymisierungsnetzwerk TOR betreibt, der zweite namentlich bekannte NSA-Ausgespähte bekannt. Wie die Auswertung der Xkeyscore-Programmteile durch Experten von WDR und NDR ergibt, geraten sogar Menschen in den Fokus des NSA-Staubsaugers, die sich z.B. über Suchmaschinenanfragen über TOR und andere Webanonymizer informieren möchten.

Und nun der nächste Treffer im innenpolitischen Kontor. Mit der Festnahme eines mutmaßlich für die USA spionierenden BND-Mitarbeiters zeigt sich, trotz außenpolitisch daherkommender Gelassenheit der amerikanischen Regierung, das äußerst hohe Interesse an den Aufklärungsbemühungen innerhalb des Deutschen Bundestags.

Spätestens jetzt sollten sich die mündlichen Verlautbarungen eines Merkelschen „Das geht gar nicht“ hin zu einem bis Washington hörbaren Schlag auf den Tisch wenden.

Es passiert: weithin nichts.

Bis auf die beleidigte Ankündigung aus dem Bundesinnenministerium, jetzt zurückzuhorchen, ist Krokodilsstarre zu beobachten.

Ein Staat, der ordnungspolitisch aus Gründen der Staatsräson jede noch so öffentlich umstrittene Zwangsmaßnahme, wie aktuell in Berlin-Kreuzberg, aber auch in der Repressivpolitik bei Betäubungsmittelverstößen von Abhängigen, angeht und auch durchsetzt und in einer solchen Angelegenheit wie bei verbotenem Kirschenpflücken die Schultern zucken lässt, gibt die Hausschlüssel an der Pförtnerloge ab und verabschiedet sich.

Mehr noch. Wenn der Staat bei derartig intensiven und massenhaften Grundrechtsverstößen seiner Bevölkerung durch eine regierungsamtlich definierte fremde Macht einfach so untätig bleibt, kommt dies einer freiwilligen Auflösung durch Aufgabe der Geschäftstätigkeit gleich.

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