„Muslime tragen den neuen Judenstern“. Diese Zeile singt Xavier Naidoo in seinem neuen Song, „Nie mehr Krieg“. Die Reaktionen reichen von absoluter Zustimmung bis Ablehnung. Die Debatte erinnert ein wenig an das Gedicht von Günther Grass, in dem er Israel als Gefahr für den Weltfrieden bezeichnete.
In Gedichten wird man komplexen Themen, wie dem Nahost Konflikt oder der Islamophobie wohl kaum gerecht werden können. Und doch bleibt die Meinungsfreiheit. Personen wie Naidoo oder Grass bedienen sich ihrer Sprache, mit den Mitteln der Kunst. Sie sprechen in Reimen, Bildern, spitzen zu und bemühen Vergleiche, die dem einen oder anderen nicht immer angemessen erscheinen.
Wer den mit den Regel des öffentlichen Diskurses vertraut ist und sich daran beteiligt, weiß, dass es gewisse Themen gibt, in denen sich die Bandbreite sozial erwünschter Meinungen in engen Grenzen hält. Und jeder Abweichler von dieser Norm, von jenem ungeschriebenen Gesetz, findet sich schnell im sozialen Abseits wider.
Empört euch!
Was folgt ist in der Regel eine Empörungswelle oder ein Shitstorm in den sozialen Netzwerken. Scheinbar empörte Politiker rufen zur Empörung auf, weite Teile der Medien verbreiten den Vorwurf und die Empörungsdosis in der Bevölkerung ist fürs erste gestillt.
Empörung ist jedoch per se nicht negativ. Im Gegenteil. Stephan Hessel fordert die Menschen in seinem Essay „Empört euch“ sogar zur Empörung auf, da daraus die Kraft des Widerstands gegen Ungerechtigkeit entstehen kann. Aber eben nur kann.
Eine Überdosis Empörung verhindert zuweilen, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Standpunkten des jeweils anderen. Eine idealer öffentlicher Diskurse im Sinne von Habermas, indem sich das beste Argument durchsetzt ist unter diesen Umständen nicht möglich.
Antisemitismus und Islamophobie
Aus der jüngsten Äußerung Naidoos hätte durchaus ein fruchtbarer Diskurs zu möglichen Parallelen zwischen Islamophobie und Antisemitismus entstehen können, Ein ähnlicher Versuch ist bereits gescheitert als Wolfgang Benz, ehemaliger Leiter des Zentrums für Antisemitsmusforschung, diese Debatte anstoßen wollte. Er sieht durchaus Parallelen zwischen antisemitischer und islamfeindlicher Stereotypenbildung: "Die Wut der Muslimfeinde ist dem Zorn der Antisemiten gegen die Juden ähnlich; die Verabredung einer Mehrheit gegen das eine oder andere Kollektiv der Minderheit, das als solches ausgegrenzt wird, ist gefährlich, wie das Paradigma der Judenfeindschaft durch seine Umsetzung im Völkermord lehrt."
Ähnlich wie im Falle Naidoos dominierte auch bei Benz die Empörung und nicht die inhaltliche Auseinandersetzung. So lange Themen nicht inhaltlich ausgetragen werden, wird es Menschen geben, die sich in die Kette der Empörungsträger einreihen. Wer weiß, wer der nächste ist. Eins ist gewiss, er kommt. Es ist nur eine Frage der Zeit, ganz bestimmt.
Kommentare 1
Kopiere hier einfach mal die Antwort auf einen Kommentar ein, der auf diesen Text hier verwies, es in dem dortigen Blogtext lediglich indirekt -wenn überhaupt- um die Causa Naidoo ging:- - - - -
Danke für die Info. Der Text von Said Rezek im MiGazin war mir bekannt, dass er ihn auch beim Freitag eingekippt hat, noch nicht.
Ob "Empörung" das richtige Wort ist, das sei mal dahin gestellt, würde ich eher von einer in der Deckung bleibenden, dennoch politisch korrekt vorgetragenen, derzeit systemfromm angesagten Ambivalenz sprechen. Schon der Anrisstext
"Xavier Naidoos Lied „Muslime tragen den neuen Judenstern“ hat eine Welle der Empörung ausgelöst."
ist (wohl bewußt) falsch gewählt, eher als Trigger für die entsprechende Klientel zu verstehen, hat es Rezek das dann auch in seinem FC-Text so nicht wiederholt. Das Lied trägt einen ganz anderen Titel und auch die Intention ist viel weiter gefaßt, als diese eine Zeile, bei der dann die Antideutschen, die Ruhrbarone et al. natürlich reflexartig aufheulten; ob dieser Blasphemie ...
Andere Textfragmente wären ebenso zu diskutieren und genau Rezeks Verdrehung macht dann diese Zeile eher war:
"Nie mehr Krieg, nie mehr Krieg! Wenn wir das nicht sagen dürfen, dann läuft doch etwas schief"
Naidoo führt natürlich keinen akademischen Diskurs und (seine) Kunst im weitesten Sinne darf alles, sie darf nicht nur, sie muss sogar provozieren, wehtun, zum Reflektieren auffordern. Es sei denn -und damit hat man ja gerade hierzulande entsprechende Erfahrung- sie wird als "entartet" klassifiziert; und heute im Rahmen eines wieder auflebenden McCarthyismus von links auf den Index gestellt.
Allerdings, und das hebt Said Rezek aus blindem, systemisch korrektem Bashing dann doch etwas heraus, so hat er den Schuß wohl durchaus gehört. Ein softer Knall, welcher über dieses -wenn es denn hilft- auch als trivial zu bezeichnende Liedchen hinaus hallt; in Sachen eines bereits erfolgten, zukünftig möglicherweise noch relevanter werdenden (auch) akademischen Diskurses.
Genau da findet sich dann auch die Anschlußfähigkeit hier zum Blogtext, der Thematik des IMV.
Auf die Causa Wolfgang Benz weist Rezek hin, und wenn er ganz wissend, personifizierend anmerkt, dass auch bei Benz die Empörung dominiert, so wäre doch bitteschön gleich anschließend ein Link zu erwarten, auf einen Text unter dem Rezek die von ihm vermisste inhaltliche Auseinandersetzung führt. Meine Erinnerung -gern an anderer Stelle zu vertiefen- ist eher diejenige, dass inhaltlich beispielsweise Micha Brumlik für Wolfgang Benz Partei ergriff, diesen gegen die unterirdischen Anwürfe der Küntzels und Henis, der Broders, der üblichen Verdächtigen eben verteidigte.
Aber gut, das wir auch darüber mal geredet haben ...