Ein syrischer Vater kämpft um seine Familie

Familiendrama Familienzusammenführung ist für die meisten syrischen Flüchtlinge nicht mehr möglich. Für viele ist es ein Fluch, der auf die Flucht folgt. Eine wahre Begebenheit

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Warten zwischen Hoffnung und Aussichtslosigkeit: eine Flüchtlingsunterkunft in Gießen
Warten zwischen Hoffnung und Aussichtslosigkeit: eine Flüchtlingsunterkunft in Gießen

Foto: Daniel Roland/AFP/Getty Images

„Lieber zünde ich mich an, als fast zwei Jahre zu warten“, sagt Ahmad*[1] mit lauter Stimme, inmitten einer Zeltstadt, einer provisorisch eingerichteten Flüchtlingsunterkunft. Zwei Jahre sind eine lange Zeit, für eine unfreiwillig getrennte Familie.

Ahmad sitzt auf einem hölzernen Stuhl, seine nackten Füße stecken in Flip Flops, die Schultern sind leicht nach vorn gebeugt, sein Oberkörper auch. So, als ob er jeden Augenblick zum Schlag ausholen würde. Doch in Wirklichkeit ist es nicht mehr, als ein letztes Aufbäumen.

Die Asylberaterin sitzt gegenüber und der Dolmetscher dazwischen, beide auf gepolsterten Drehstühlen. Sie sind in einem Container, welcher zu einem Büro umfunktioniert wurde. namens Sameera, Ahmads Tochter, sitzt draußen hinter der Blechwand und wartet nichtsahnend auf ihren Vater. Ahmad hat sie gebeten, draußen zu bleiben. Er will seiner dreizehnjährigen Tochter dieses Gespräch nicht zumuten. Sie hat schon zu viel gesehen und erlebt, ihre Psyche ist labil.

Angst wird zur Gewissheit

Ahmads größte Befürchtung wird gerade zur Gewissheit. Er erfährt, dass er für knapp zwei Jahre keinen Anspruch auf Familienzusammenführung hat. Es scheint, als hätte die Übersetzung des Dolmetschers, die Klarheit seiner Worte, die Vertrautheit der arabischen Sprache, die Konfrontation mit der Realität verstärkt. Wie ein Tsunami, Entkommen ausgeschlossen

Es ist eine Mischung zwischen Trauer und Wut. Letzteres überwiegt eindeutig in Ahmad. Er fühlt sich verraten, von der Asylberaterin gegenüber und vom Dolmetscher dazwischen. Von der Bundesregierung, der Kanzlerin, von Deutschland. „Wenn ich gewusst hätte, dass ich meine Familie nicht nachholen dürfte, hätte ich mich nie mit meiner Tochter nach Deutschland begeben.“

Ende des vergangenen Jahres sind er und seine Tochter über den Land- und Seeweg aus Syrien nach Deutschland geflohen. Sie riskierten ihr Leben. Ein einziges Ziel trieb sie an: Den Rest der Familie in Sicherheit zu bringen, ohne ihnen die gefährliche Route in Richtung Europa zuzumuten. Doch mit seinem subsidiären Schutzstatus sind sie vom Familiennachzug ausgeschlossen.

„Der einzige Unterschied zu Syrien ist, dass keine Bomben fallen.“

Seine Frau ist mit zwei weiteren Töchtern – beide unter zehn Jahren – , in einem Flüchtlingslager an der jordanisch-syrischen Grenze gefangen. Von Leben könne, wie Ahmad es sagt, keine Rede sein. Das sei eher ein Vegetieren. „Die Zustände im Lager sind katastrophal.“ Die hygienische und humanitäre Lage sei kaum besser als in Syrien, so Ahmad. „Der einzige Unterschied zu Syrien ist, dass keine Bomben fallen.“

Während er die widrigen Umstände seiner Familie weiter schildert, läuft ihm der Schweiß von der Stirn. Er redet sich in Rage und fleht die Beraterin und den Dolmetscher förmlich an, seinen einzigen Wunsch zu erfüllen. Er appelliert an deren Menschlichkeit und fragt: „Was würden sie an meiner Stelle machen? Haben sie keine Frau und Kinder?“ Seine Worte klingen wie ein Plädoyer vor Gericht, doch die Mitarbeiter können den Asylbeschluss nicht rückgängig machen. Hilflos sitzen sie da und versuchen dem Vater Verständnis entgegenzubringen, sie versuchen ihm die rechtliche Situation zu erklären, wovon er nichts wissen möchte. Ihn interessiert nur, wie er die Familien vereinen kann.

„Gesetz ist Gesetz“, sagte der Dolmetscher plötzlich ohne Absprache mit der Asylberaterin in einer verzweifelten Stimme, die wie ein Donner eingeschlagen ist. Diese drei Worte trafen den Vater, wie ein Blitz und es kehrte für einen Moment Stille ein. Die Augen des Vaters öffneten sich schlagartig, doch sein Blick war leer. Es schien, als sei mit einem Schlag, der letzte Restfunken Hoffnung in ihm gestorben.

„Dann will ich lieber nach Jordanien“

Als Ahmad sich allmählich ein wenig beruhigt, krallt der Ehemann sich an den Lehnen des Stuhls fest und schüttelt langsam mit dem Kopf. „Eine Trennung für fast zwei Jahre?“. Seine Stimme ist gepresst. Einen Moment hält er inne, dann flüstert er: „Unter diesen Umständen will ich mit meiner Tochter lieber heute als morgen zu meiner Familie.“ Alle Versuche den Vater von dieser Idee abzubringen scheitern. Er ist fest entschlossen seine Familie zu vereinen, sei es in Deutschland oder in Syrien: „Entweder wir leben oder wir sterben zusammen.“ Ein zweites Mal ist der Dolmetscher in diesem Gespräch der Überbringer einer schlechten Nachricht: „Deutschland unterstützt keine Rückreise in ein Kriegsgebiet. Sie müssten ihren Asylantrag zurückziehen. Dieses Prozedere würde mindestens ein halbes Jahr dauern.“

Ahmad mustert daraufhin den Dolmetscher und blickt ihn fragend an. Als ob er wissen möchte, ob das wirklich ernst gemeint ist. Noch ehe die Asylberaterin oder der Dolmetscher zu Wort kommen, laufen die Augen des Vaters rot an und füllen sich mit Tränen. Er versucht sie mit letzter Kraft zu unterdrücken. Vergeblich. Der erste Tropfen fällt entlang seiner Wange in Richtung Boden und alle Beteiligten senken ihre Blicke. Ahmad steht auf, wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und verlässt wortlos den Container.


[1] Namen geändert.

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Geschrieben von

Said Rezek

Said Rezek, Politikwissenschaftler, Blogger und freier Journalist. Schreibe über Medien, Muslime, Migration und Rassismus.

Said Rezek

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