Aufgesetzte Lichter

Friedrich Schenker zum 60. Geburtstag Welch ein Werk ist der Mensch? Zur Hälfte doch hoffentlich ein Wesen, das sich selbst und seine Mitwelt heiter erfährt. Was aber ist Heiterkeit? Und ...

Welch ein Werk ist der Mensch? Zur Hälfte doch hoffentlich ein Wesen, das sich selbst und seine Mitwelt heiter erfährt. Was aber ist Heiterkeit? Und wie kann Heiterkeit, Hohnlachen, Biss, Satire in moderner Musik funktionieren? Friedrich Schenker weiß die Frage strukturell wie kaum ein anderer auseinander zu nehmen. Die Devise des Komponisten und Posaunisten: Je unfröhlicher die Zeiten, desto abgefeimter, bissiger die Musik.

Satire in den grellsten Schattierungen und andere Bosheiten kennt schon das Schenkersche Frühwerk. In Die auf Sitzungen Versessenen, Teil der Kantate I nach Majakowski (Neufassung 1978), gibt es ein Bild, wo alles in alle Winde geblasen wird, darunter die Genossen, die den mitgeschleppten zaristischen Büroballast nicht vom Fell kriegen und darin ertrinken. Mit Bläsern ließ sich das hervorragend machen. Im zweiten Stück Zur Frage des Frühlings regnet es, weil der Schlagzeuger eine Kanne Wasser in die Wanne laufen lässt. Derlei Effekte hatten damals einen eigenen Ton. In den siebziger Jahren waren sie in der DDR weitgehend unbekannt. Ähnlich verwegen ging es später in Schenkers Die Friedensfeier (1982) nach dem gleichnamigen Karl-Mickel-Gedicht zu. Dort obsiegt die Utopie des Zerstörens kriegstauglicher Waffen in solcher Ausgelassenheit, dass einem fröhlich ums Herz wird.

Satyrspiele, Parodien, Paradoxien geistern in dem ganzen Schenkerschen Werk, das von Unbehaustheit genauso durchdrungen ist wie von einem "satanischen Lachen", das Bange machen kann. Die Welt der musikalischen Klischees ist für Schenker, arbeitet er sich ins Heitere vor, ein so wichtiger Fundus wie die Welt der Nicht-Klischees, die immer kleiner zu werden scheint. Man hat Bekanntes, abgefressen bis auf die Knochen, und bringt es durch komische Behandlung in komische Zusammenhänge. Das ist eines der Spezialgebiete des Komponisten und umfasst neben dem gebräuchlichen Fundus Denunziationsmaterial bis zu Pop, Rock und Hip-Hop.

Die launigen Pfade zur Satire haben bisher nur wenige Komponisten systematisch beschritten, zum Beispiel den Weg, Scheinzitate oder auch Echtzitate von verbrauchtem Material herzustellen und gezielt zu adressieren. Schenker tut das - latent oder manifest -, seit er kompositorisch denken kann. Springt der Künstler mit Bildern, Texten, Noten, Figuren heiter um, dringt er gelaunt oder missgelaunt in die Zerrwelt des Fragments, um sie nach seinem Bild umzuformen, experimentiert er mit artigen und abartigen Phantasien, entscheidet er, wann was wo stimmig und unstimmig gerät, wann Wirklichkeit mitläuft und wann nicht, ob etwas kühn, idiotisch, sachlich, frivol, monumental, frech, barbarisch, kitschig, infantil, lachhaft, lustvoll, dämlich, schändlich ist, dann tut er das kritischen Herzens und wachen Auges. Scharf und ganz unsentimental schaut Schenker dabei und fragt, zu welcher Schande die Jetztwelt noch fähig ist und wie man ihr Lichter aufsetzen kann.

Friedrich Schenker, geboren im Thüringischen Zeulenroda 1942, als die Siege des Hitlerkrieges sich in Niederlagen verwandelten, stammt aus der Unterklasse. Seine Eltern waren einfache Leute. Dass er - mehr als der Durchschnittsbürger seiner Generation - fünf Systeme erlebte und überlebte, geht auf das Konto der Amerikaner. Denn diese verließen 1945 Zeulenroda, so dass der Fritz kurze Zeit unter den Amis, dann in der Sowjetischen Besatzungszone, später der DDR groß wurde, schließlich die Ankunft im geeinigten Deutschland so heiter erlebte, dass ihm bald darauf, als der (auch kulturelle) Ausraub eines ganzen Landes offenkundig wurde, der Hals schwoll.

Der unzweifelhafte Gedanke erheitert: Ohne die DDR wäre Schenker nicht der geworden, der er ist, nämlich einer der ersten Komponisten in Deutschland. Die anfängliche Ausbildung (Komposition, Posaune) erging sich noch in Neoklassizismen. Dann, in den späten sechziger Jahren, erwachte sein Avantgardegeist und das unbedingte Wollen, Neues und Neuestes selbst zu musizieren. Ernst so gut wie fröhlich dürfte es in der Arbeit unter Dirigent Herbert Kegel zugegangen sein, in dessen Rundfunksinfonie-Orchester Leipzig Soloposaunist Schenker die seinerzeit modernsten Spielweisen Neuer Musik ausübte. Ob die Gründung der Gruppe Neue Musik Hanns Eisler (1970), mit der sich Schenker und der Oboist Burkhard Glaetzner ein geschichtliches Verdienst erworben haben, ein Akt unbändigen Fröhlichseins gewesen war, bleibe dahingestellt. Wahrhaft zu lachen und darüber zu singen lernte Schenker wohl erst, als er Meisterschüler bei Paul Dessau war. Dessaus Einfühlsamkeit und Sanftheit, auch sein ununterdrückbarer Kommunismus, gepaart mit den boshaftesten Späßen gegen jegliche Art Faulheit, Bequemlichkeit, Konformismus und Schleimertum, sprangen über.

Zu den markanten Stücken, üppig in den Anlässen des Gelächters wie der Kritik am übermächtigen Alten, gehört die Kammermusik Ach, Bach, von Schenker komponiert zum Bach-Jahr 1985, ein Stück, das hohnlacht, das Spott ausschüttet auf die verschrobene Leipziger Barocktraditionspflege, die immer noch glaubt, in Johann Sebastian Bach den alleinseligmachenden Gott zu sehen und alle Ohren zusperrt, erklingt auch nur ein Ton, der anders und neu ist. Schenker: "Man musste Bach öfters, auch in der DDR, gegen seine Liebhaber verteidigen. Das ist heute auch nötig, denn es gibt viele Unarten und blinde Verehrung ohne Kritik."

Betont Ach, Bach den frivolen, kritischen Umgang mit dem Meister, geht Schenker in anderen Arbeiten ganz ernst und materialbewusst mit Bach um. So in der großformatigen Sonate für J. S. B. für Orchester und vor allen Dingen in der Goldberg-Passion, die strukturell auf die berühmten Bachschen Goldberg-Variationen rekurriert. Karl Mickel schrieb für dieses denkwürdige Großwerk das Libretto.

Es ließen sich reihenweise komische bis groteske Schenker-Stücke nennen, Kompositionen, die ablachen, weil die Verhältnisse und deren Akteure, auf die sie sich beziehen, es nicht anders verdienen, die Witziges über den deutschen Tiefsinn schallend artikulieren, die Kritik üben am tierischen Ernst der Traditionshuberei. Besonders in Rage kommt Schenker bei der Produktion von Fakturen, die aufs Barbarentum der Vier-Viertel-Popkultur abheben.

Aus den neunziger Jahren stammen die vier Stücke des Allemande-Zyklus. Darin durchleuchtet Schenker die Unwirtlichkeit deutsch-deutscher Zustände nach der Vereinigung. Das Hörstück alias mandelstam übertrifft noch die Schärfe der Majakowski-Stücke, indem es die Revolution neu befragt und den Stalinismus ätzendem Gelächter aussetzt. Von eigenem Schrot ist die 1999 komponierte U-Musik Nr. 1 - kommunizierende Röhren, ein Stück, das in seiner kunstvollen, durchtriebenen, rüden Art einzigartig dasteht in der allgemein unfröhlichen, asozialen Neue-Musik-Landschaft.

Zwei weitere Stücke seien noch angetippt: Schafott-Front, ein Radiostück (1983), und die Tape-Produktion zur MediaMime Ich bin ein Berliner (2001). Schafott-Front rekurriert auf authentisches Material und thematisiert Antagonismen zwischen Widerstand und Weltverbrechertum während der Nazizeit. Das Hörstück spart einerseits nicht mit dem Ausdruck von blutigem Ernst, zum anderen schüttet es in drastischer Radiophonik Spott auf die Kräfte des Grauens. Die Frage, "ob der Faschismus komisch oder parodistisch dargestellt werden dürfe ohne Frevel an den Opfern" (Adorno), ist heute akuter denn je. Faschismus als Spaß, als Chance für die Parodie. Das Problem hat Chaplin ermuntert, den Großen Diktator zu drehen, und Tabori dazu gebracht, den Witz noch in schlimmsten Lagen der Judenausrottung auf die Bühne zu bringen. Bitteres Hohnlachen produziert die Schafott-Front, indem Schenker etwa aus Gestapoberichten lispelnd zitieren lässt, den Bormann-Part einer sächselnden Stimme überträgt, kernig-spaßige Liedzitate einem Rudel Nazi-Wölfe in den Mund legt und mit Hilfe der Vocodertechnik auf die Mordssprache der Täter fröhliche Märsche setzt. Ein maskenhaftes Amalgam aus "satanischem Lachen" und barbarischem Ernst.

Ich bin ein Berliner erfasst und kommentiert in anderer Art Geschichte, und zwar aus dem Blickwinkel der Unterklassen. Tango, Charleston und rhythmische Arbeitsmusiken wechseln ab mit Kampf-, Marter-, Wahn-, Todes- und Trauermusiken nach Schenkerscher Art. Kennedys berühmten Spruch macht der Komponist beredt, indem er ihn ins johlende, pfeifende Milieu der Sechstagerennen im Berliner Sportpalast stellt. Ein kurzer Track heißt Groteske für zwei Saxophone und elektronische Klänge und klingt, als würden zwei pazifistische Schreihähne aufeinander losgehen und immerfort rufen: Wiff di Waff weff, wiff die Waff ...

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