Ein struktureller Hammer

Musikfest Das Musikfest in Berlin hat begonnen und berechtigt zu größten Hoffnungen. Allerdings: etwas fehlt, 20 Jahre nach dem Mauerfall ist kein ostdeutscher Komponist vertreten

Top das Ganze. Repräsentativ wie selten. Große Namen in den Programmen, bedeutende Orchester aus den Zentren der Welt versammeln sich in der Philharmonie in Berlin, im Konzerthaus und anderswo. Viel Geld muss geflossen sein. Der deutsche Betrieb dürfte kaum je ein so ausgefeiltes, klar profiliertes internationales Musikfest gehabt haben, wie es derzeit in Berlin zu erleben ist. Veranstalter ist die Berliner Festspiele GmbH. Künstlerischer Leiter des Musikfestes Berlin: Winrich Hopp.

Man traut seinen Augen nicht. Im Programm eine Serie von Iannis-Xenakis-Werken, wo gab es das schon jenseits der Neue-Musik-Inseln. Elf von fünfzehn Schostakowitsch-Sinfonien. Zentrale Kompositionen von Luigi Nono, die Tanzsuite mit Deutschlandlied von Helmut Lachenmann. Joseph Haydn zählt zu den Schwerpunkten. Herausragende Stücke von Mozart, Janacek, Bartok, Eisler und Dessau. Auftragswerke von Hans Zender und Enno Poppe. All das programmatisch gebündelt: die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts, eingezeichnet in Musik. Vom Jubiläumsrausch „20 Jahre Mauerfall“ ist das „Musikfest“ – fast unmerklich – so befallen, dass es die ostdeutschen Meister gänzlich draußen ließ. Georg Katzer hat am 11. September (da kulminiert das „Musikfest“) eine Uraufführung im Cottbuser Staatstheater, ein Fünf-Minuten-Orchesteropus, mehr wurde ihm nicht zugestanden. Helmut Oehring hat schon im 20. Jahrhundert Schrecken der Epoche kompositorisch dokumentiert. Friedrich Schenker kommt in Leipzig zum Zuge, mit der Uraufführung Alter Mann löst deutsche Frage, nicht hier. Friedrich Goldmann, er starb im Juli dieses Jahres, ist auch vergessen oder ignoriert, keine Spur von Paul-Heinz Dittrich, dem bald 80-Jährigen. Aber bitte, Eisler und Dessau. Hanns Eislers Deutsche Sinfonie und Paul Dessaus Les Voix entstanden in den 1930/40er Jahren. Gut, ein Konzept ist unbedingt dazu da, dass man es nach eigenen Vorstellungen realisiert; aber man spart man einen relevanten Teil aus.

Eigenartig die Reverenz an Karlheinz Stockhausen, dem 2007 verstorbenen großen Komponisten. Seine Hymnen, ein zweistündiges elektroakustisches Werk aus den sechziger Jahren, ertönten nicht als Eröffnungspräsentation, sondern wirkten wie ein für Konzert-Hörer kaum zumutbares Vorspiel des Superfestes. So war es denn auch. Viele verließen vorzeitig die Ecke im großen Saal der Philharmonie, die der in vordigitaler Epoche entstandenen, nichtsdestoweniger raffinierten, vielschichtigen Raumkomposition vorbehalten war. Technisch-klanglich sind diese Hymnen wahrlich eine Meisterleistung. Über den „Inhalt“ des Stückes lässt sich streiten. Weit über hundert Hymnen reißt das Werk an, spielt mit Fragmenten daraus, verfremdet sie, reiht, überlagert Splitter, formt ganz neue hymnische Ungetüme. Obwohl man das Erschallende gutwillig wahrzunehmen versucht, entstehen unweigerlich Ermattungskrisen, Überforderungen des Ohres.

Donnernd hob der Reigen des Festes aller Feste mit dem Eröffnungskonzert an. David Robertson, Chef des BBC-Symphony Orchestra, bot zwei kapitale Werke von Xenakis auf, dazu Rachmaninows überraschend starke Dichtung nach Böcklins Die Toteninsel und Schostakowitschs 9. Sinfonie. Erwähnt sei Xenakis’ weit ausgreifendes Nomos Gamma. Das Orchesterwerk ist räumlich konzipiert, ein struktureller Hammer. Von im Saal verteilten Musizierpodesten aus wurde der Hörer mit vielerlei perkussivem Material und greller, echoartiger Blasphonie überschüttet.


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