Zuletzt hatte Jürgen Kuttner am Rosa-Luxemburg-Platz eine Volksbühnengeschichtsrevue veranstaltet, die eher mäßg ausgefallen war. Fast schien es nun, als würde auch Eisler on the Beach eine dieser Schnipselvorstellungen werden, wie Kuttner sie Jahr um Jahr an der Berliner Volksbühne zeigt. Die Kommunistische Familienaufstellung mit Musik, bei der Tom Kühnel die Ko-Regie geführt hat, geht aber weit darüber hinaus.
Kühnel bringt gehörige Eisler-Erfahrung mit. Schon Ende der 80er inszenierte er im Ostberliner BAT mit Robert Schuster Die Maßnahme von Bert Brecht und Hanns Eisler. Und zwar unter der Hand als Puppenspiel, denn das Stück war seinerzeit noch gar nicht erlaubt. Die Brecht-Erben hockten wie eine Glucke darauf. Der hauptsächliche Grund: Während der heißen Phase des Kalten Kriegs hatte Ruth Fischer, die Schwester des Komponisten, das Stück als Vorausnahme der Moskauer Prozesse gewertet, weil dort ein junger Genosse von den eigenen Leuten ausgelöscht wird. Für die präpotente Presse war das ein willkommener Anlass, um die Autoren ideologisch fertigzumachen. Gegen die Gewalt jenes elenden Vergleichs war kein Ankommen. Brecht und Eisler verboten daher Aufführungen. Eisler on the Beach lässt dieses charakteristische Familienbegebnis leider weg.
Ungeist der McCarthy-Ära
Ungeheuerliches ereignet sich darin gleichwohl. Ein Karussell der Zwietracht, der Verfolgungen und Verhöre dreht sich, und stets schwingen Komik und Satire mit. Das Projekt in den Kammerspielen des Deutschen Theaters bringt das komplette Geschwistertrio – Hanns, Ruth und Gerhart, den Ältesten und Kämpferischsten – auf die Bühne, das seit Beginn der Hitlerzeit im Clinch liegt und bis ultimo nicht aufhörte, unversöhnlich zu sein. Zwei Männer wider eine Frau und umgekehrt. Ruth, einst KPD-Vorsitzende, wird von der Moskauer Kominternzentrale früh ins Abseits gestoßen, später sogar mit dem Tode bedroht, und nimmt nun im US-amerikanischen Exil ausgerechnet Rache an ihren Brüdern, die in komplizierter politischer Weltlage sich nicht gegen Stalin gestellt haben. Ein so klarer wie irrationaler Konflikt, einer, der in den 40er Jahren Formen annimmt „wie in den Shakespeare’schen Königsdramen“. Eine Feststellung des großen Charlie Chaplin, der mit Hanns Eisler bestens befreundet war.
Eisler on the Beach baut ein Manöverfeld, das Material aus verschiedenen Zeitebenen collagiert. Zentraler Spielort sind die Vorder- und Rückseite eines Nobelhotels, wo dauernd die Türen gehen. Eine Art US-amerikanisches Hotel Lux, analog zu jenem Gebäude, in dem während der Moskauer Prozesse die Todesangst wohnte. Nachzuerleben ist hier nun der Ungeist der McCarthy-Periode. Der Zuschauer darf Verhöre im House Committee on Un-American Activities verfolgen und erhält Fakten zur Lebensgeschichte der Geschwister. Jene auch über Filmeinblendungen offerierten Hearings, denen die kommunistischen Gebrüder Eisler ausgesetzt sind, erscheinen grell und komisch. Nicht minder die Gedankenflüge des Jüngsten bis hin zu den sonnenüberfluteten Terrassen von Hollywood.
Eine anarchistische Big Band (die Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot) spielt für den American Way of Life ganz untypische Musik, nämlich unverkennbar Eisler’sche, so zupackende (Linker Marsch) wie höchst empfindsame (Hölderlin-Fragmente). Die Akte der Kapelle wirken nicht selten wie die Gewalt eines „antiken Chores“, der das rasche, montagehafte Geschehen kritisch kommentiert.
Diverse Einspieler blenden in die Szenerie und erhellen sie entweder oder verdunkeln sie. Tondokumente tauchen auf. Hanns Eisler verteidigt sich vor dem Ausschuss in seinem ungelenken Englisch oder unterhält sich in den Gesprächen mit Hans Bunge über die Frage, warum er in Hollywood Elegien schreibe: „Man ist nicht ungestraft in Hollywood.“ Jeder der Darsteller spielt mehrere Rollen. Nahezu alle können erstaunlich klar singen. Für die Sprechbühne ist das keineswegs selbstverständlich.
Glänzende Idee: Die Eislers sind mal jung, mal alt. Der junge Hanns ist so ausgefuchst, dass er den insistierenden Fragen, ob er Mitglied der KPD geworden sei, so stoisch wie verschlagen auszuweichen weiß. „Ich bin nur ein Komponist.“ Der alte Hanns mit Rauschebart verkörpert hingegen jenen „Karl Marx der Musik“, als den ihn die Kommunistenfresser des Committees tituliert haben. Die alte Ruth indes schäumt mit Vorliebe gegen ihre männlichen Angehörigen und gegen Stalin, den „verdienten Mörder des Volkes“ (Brecht), während die junge Ruth mit dem jungen Hanns noch das Lob des Kommunismus singt.
Eisler on the Beach endet mit Takten aus den Ernsten Gesängen, Hanns Eislers Schwanengesang. Etwas rührselig vorgebracht, in ungelenkem, nicht immer astrein gebotenem Instrumentalsatz, der dunkel und traurig tönt. Eine Bebilderung, die den kranken, elegischen, verzweifelten Künstler malt. Ein aktionsreicher, instruktiver, auch vergnüglicher Abend.
Info
Eisler on the Beach. Eine kommunistische Familienaufstellung mit Musik Regie: Tom Kühnel, Jürgen Kuttner Deutsches Theater, Berlin
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