King muss es heißen

Bühne Am Berliner Ensemble huldigen Katharina Thalbach, Ulrich Matthes und andere Thomas Brasch zum 70.
Ausgabe 09/2015

Zu Beginn spult eine Filmsequenz ab: Der Dichter Thomas Brasch, etwas müd’ im Gesicht, hockt in seiner Bude am Schiffbauerdamm unweit des BE. Es ist Tag. Der CD-Player läuft. Randy Newman singt Lonely at the Top. Die Nummer amüsiert den Poeten. Versuch, den rauchigen Bass des schwarzen Musikers frei zu imitieren. Das klappt wunderbar. Es geht Schlag auf Schlag. Fotoserie. Thomas Brasch in verschiedenen Posen. Wie sah der Dichter aus, als er jung war, und später, und zuletzt? Es blitzt im Zeitraffer durch die Jahrzehnte. Physiognomien bespiegeln einander, Gesten, Blicke, Hemden am Leib wechseln wie Jeans, Frisuren und Hüte. Nichts, das am Körper ist, gehorcht einer Mode. Hinter dem Poeten sichtbar an die Wand gepinnte Zeichnungen, Fotos, Plakate. Che Guevara fehlt nicht.

Höchst lebendig bot sich die Thomas-Brasch-Ehrung am vergangenen Sonntag im Berliner Ensemble dar. Ein Schauspieler-Quartett aus Katharina Thalbach, einst Lebensgefährtin des Dichters, Ulrich Matthes, Martin Schneider und Martin Wuttke ermöglichte dies. Dem Dichter zu huldigen, ist für das BE Ehrensache. Erinnert sei an die frischen, volkssprachlich gewürzten Shakespeare-Übertragungen Braschs, die Claus Peymann noch zu dessen Lebzeiten, er starb 2001, auf die Bühne gebracht hat.

Das große Gewitter

Filmsequenzen kommen auch später. Brasch im Freien, auf einer Treppe an der Weidendammer Brücke. Die Augen glänzen. Des Dichters Gesicht sagt bisweilen so viel wie seine Verse. In beiden wohnt widersprüchliche Befindlichkeit, Erstaunen, Verwunderung, oft auch die Kultur des Paradox’. Katharina Thalbach hebt den Gedichtreigen mit 6.20 MEZ an. „Öde ist die Gegend hier, / ist nicht Winter, doch ich frier. / In mein rotes Herz fällt Schnee / und mein armer Kopf tut weh.“ Und es endet: „hätte ich wenigstens blutige Hände, / besser ein Schwein als ein zahnloser Biber.“

Viele Gedichte führen das Ich mit – jedoch Die Augen der anderen sehen mich. Gelassen, sachlich trägt Martin Wuttke dieses Gedicht vor. Brasch interessieren Menschen. Wenn er sich selber meint, notierend einen Traum, meint er immer auch andere. Lustig ist ein Interview, das Wuttke und Matthes nachspielen. Es geht um Shakespeare. Nachdichten ist Scheißarbeit. Der Engländer stehe, wenn er ihn übersetzt, immer hinter ihm in der Zimmerecke, erzählt der Interviewte. Einmal habe er gesagt: Was du machst, geht nicht. König klinge nicht. King muss es heißen. Außerdem willst du bloß Geld machen. Auch der politische Brasch kommt zum Zuge. Die Einigung Deutschlands sei ein laues Gewitter gewesen, die großen Gewitter kommen noch.

„Wer bin ich? Wer bist du, der du im Spiegel mich fremdes Auges anschaust? Wo bin ich?“, fragt der Dichter. Und kann darauf nur mit Fragen und Zweifel antworten. Thalbach weiß ein Lied davon zu singen. Sie war Zeugin von Braschs teils quälerischer Gedichtproduktion. Sie liest im BE auch diese traurigen Verse: „Den eigenen Worten aus dem Sinn/ dem eigenen Gesicht meinen Rücken gekehrt/ mich teuer verkauft ohne Gewinn/ um Liebe gejammert, doch mich selber entehrt./ Mein eigenes Haus zum Theater gemacht/ drin eingeschlossen und ausgedacht.“

Die Matinee schließt mit Braschs Abendlied. Schneider singt es poesievoll zur Klampfe: „Gute Nacht, ihr weisen Leute/ ich hör euch nicht mehr zu/ und eure großen Worte/ verstummen in der Ruh.“ Anders darf ein Thomas-Brasch-Programm nicht enden.

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