Splitter der Gattung

Musik auf Rädern »Oper für 4 Busse« im Berliner Museumsviertel

Galileis »Und sie bewegt sich doch« sagt, dass nichts auf Erden starr, wohl aber alles in Bewegung sei. Dreht die Erde, dreht folglich auch die Oper, dreht alles Irdische - in einem übergeordneten Sinn. Insofern ist eine Oper auf Rädern auch nur die Fortbewegung einer Fortbewegung. Sie löst nicht a priori aus einer Starrheit. Auch in Bussen rollende »Opern« können unbeweglich sein, langweilig, ja unsinnig.

Regisseurin Gisela Weimanns Idee des Multimediaspektakels Oper für 4 Busse ist denkbar schlicht. Das Stück lädt ein zu insgesamt vier Fahrten im Takt von etwa 15 Minuten. In dem jeweiligen Gefährt rollen vier Mal in Folge die gleichen Ereignisse ab. Umsteigen genügt, um die Angebote in den Bussen komplett zu erleben. In Clownsklamotten gesteckt, spektakeln in den Bussen maximal drei Musiker/Sänger: Russen, Engländer, Finnen, Deutsche; ihre Musik, der Intention nach national gefärbt, soll die Leute, so gut es geht, unterhalten. Ergebnis ist eine Performance, Tempo largo, angereichert mit mancherlei visuellen Einflüssen. Wie Gitter wirken die verspiegelten Busscheiben, wodurch in dunkler Stunde Licht von außen dringt, das sich innen mannigfaltig bricht. Mit dem Motorenlied, das Georg Katzer herstellte, hebt der rituelle Reigen an. Der raffinierte elektronische Track geisterte über die Freitreppe zum Alten Museum wie das Läuten der Nachtglocken droben vom Dom über den Lustgarten. Die Tour selbst führte auf verschlungenen Wegen, gesäumt vom Spot der Scheinwerfer, quer durchs Museumsviertel. Eine durchaus neckische Idee, die sich verwirklichte, konsumierbar wohl vorzugsweise für Touris, die pflastermüde geworden sind.

Wer indes mehr erwartet hatte, den plagte in den Bussen zumeist die Langeweile. Anstrengung des Kopfes war nicht eben gefragt, und wenn, dann zufällig. Vorsätzlich folgt die Oper auf Rädern keiner Handlung. Stattdessen betont sie das Wechselspiel von Eindrücken und Gefühlen, das durch Geräusche, Klänge, vertraute Melodien, Farben und Formen erzeugt würde. Die ohnehin geringen verbalen Vorgaben der Stücke sollten obendrein unverständlich bleiben.

Gisela Weimann will nach eigenen Worten nicht, dass ihre »Oper« mit geschichtlicher Oper verwechselt werde. Oper sei kein Maßstab. Ihr Produkt, ein multimediales, verwerte allenfalls Splitter der Gattung. Oper für 4 Busse, Untertitel Eine imaginäre europäische Reise, sei ein Kunstwerk, das für sich stehe. Wozu dann aber das Wort Oper?

Die gebotenen Kompositionen differierten qualitativ zum Teil erheblich. Imaginatives europäisches Reisen wurde nirgends wirklich vernehmbar. Pseudophilosophisch gerierte sich die Performance der Russin Natalia Pschenitschnikowa in Bus 1. Ein amorpher Singsang, der so geheimnisvoll wie hemmungslos wehleidig etwa die Trübsal des Einatmens und Ausatmens ausmalt. Nicht besser die beiden finnischen Klanginstallateure in Bus 2. Per Schlagzeug und Elektronik operierten sie wie improvisierende Handwerker, die das Gluckern und Rauschen einer WC-Spülung auf Touren zu bringen suchen.

Etwas zufriedener stellten zwei Engländer die anwesenden Fahrgäste in Bus 3. Melvyn Poores Komposition beschwor zwar alles andere als den »schwierigen Weg zu persönlicher Freiheit und kultureller Unabhängigkeit«, doch zeigten die beiden Interpreten, Stimmkünstler Jaap Blonk und Bassklarinettist Philippe Micol, dass englischer schwarzer Humor durchaus auch in Musik komische Ängste auszulösen vermag.

»National« im glücklichsten Sinne verhielt sich allein der Deutsche Friedrich Schenker, europaweit bekanntes Originalgenie, das aus Thüringen stammt. Er bot das einzig »aufregende künstlersche Erlebnis«. Titel goethefaustzweischnittchen, 64 ca. 20 Sekunden dauernde Miniaturen für Frauenstimme und zwei Tubisten. Das klassische Weimar geriet damit auf höchst sonderbare Weise ins Berliner Bus-Operntableau. Die rasch ablaufende zyklische Komposition bringt in ihren Einzelteilen Töne, Linien, Silben, Gesten auf den jeweils knappsten Nenner. Schenker wählte aus seiner Sammlung etwa 20 Nummern aus, Stücke, meisterlich gearbeitet in Form, Struktur und Ausdruck und so beredt, witzig, kommunikativ intoniert von Anna Clementi, Melvyn Poore und Robin Hayward, dass die quälende Bustour schließlich doch noch einen Freudenpunkt hatte.

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