28. Filmfestival Cottbus

Osteuropäisches Kino Der in Cannes preisgekrönte Eröffnungsfilm "Cold War - Breitengrad der Liebe" des polnischen Regisseurs Paweł Pawlikowski zeigt eine Liebe in Zeiten des Kalten Krieges

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Mit stimmungsvollen Trommelrhythmen von Schülern der Finsterwalder Musikschule und ihrem Lehrer Weber, genannte Weberknechte, wurde gestern Abend das 28. Filmfestival Cottbus im dortigen Staatstheater eröffnet. 217 Filme aus 45 Produktionsländern stehen bis zum Sonntag auf dem sehr reichhaltigen Programm, das den Schwerpunkt wie immer auf das osteuropäische Kino legt. Ein Spotlight auf Georgien, ein Close Up der Ukraine und die Region Schlesien, die die Lausitz mit dem Nachbarland Polen verbindet, bilden die diesjährige Fokussektion. Dazu gibt es wie immer Polsky Horyzonty, einen Russky Den, den Jugendwettbewerb und den Wettbewerb um den besten Spielfilm.

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Viel Musik gab es auch im Eröffnungsfilm, dem diesjährigen polnischen Cannes-Teilnehmer Cold War - Breitengrad der Liebe. Regisseur Paweł Pawlikowski der mit seinem letzten Film Ida den begehrten Auslands-Oscar abräumte, erhielt dafür im Sommer auf dem Filmfestival an der französischen Côte d'Azur die Goldene Regie-Palme. Also gleich zu Beginn reichlich internationales Festival-Flair in Cottbus. Der Film ist dann in seiner 50er-Jahre-s/w-Ästhetik und dem früheren 4:3 TV-Format eher etwas für ältere Cineasten. In dem nur 87minütigen Streifen spult sich über ganze 15 Jahre eine recht komplizierte Liebesgeschichte in Zeiten des Kalten Krieges ab.

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Sehr stimmungsvoll auch der Beginn des Films, der in mehreren ruhigen Einstellungen, die Tonbandrecherche des Komponisten Wiktor (Tomasz Kot) und seiner Kollegin Irena (Agata Kulesza) in der polnischen Provinz 1949 zeigt. Die beiden sind auf der Suche nach alten Volksliedern und -tänzen und beabsichtigen ein polnisches Folkloreensemble aufzubauen. Beim Vorsingen für das dazugehörige Konservatorium lernt Wiktor die junge, forsch auftretende Zula (Joanna Kulig) kennen und verliebt sich sofort in sie. Zula ist auf Bewehrung, weil sie nach einem sexuellen Übergriff ihres Vaters, diesen mit dem Messer abgewehrt hat. Auch birgt sie ein Geheimnis, das sie Wiktor erst später offenbart. Vom staatlichen Leiter des Ensembles (Borys Szyc) ist sie auf Wiktor angesetzt worden. Sie soll ihm über die politische Einstellung des Komponisten berichten. Der kommunistische Staat übt aber nicht nur auf Zula, sondern sogar auf das Repertoire des Tanz- und Gesangsensembles großen Einfluss aus. Und so singt der Chor bald bei ersten Gastspielen auch Hymnen auf Väterchen Stalin.

Wiktor beschließt daher bei einem Gastspiel zu den Weltfestspielen der Jugend in der damaligen Frontstadt Berlin in den Westen zu flüchten. Die widerspenstige Zula hat aber ihren eigenen Kopf, will nicht nur Anhängsel des Komponisten im fremden Paris sein, und bleibt zurück. Wiktor schlägt sich als Komponist für Filmmusiken und Jazz-Pianist in verrauchten Pariser Clubs durch. Erst ein paar Jahre später treffen sich beide in Paris und die unheilige Liebe beider flammt wieder auf. Victor folgt der Frau seines Lebens sogar bis nach Jugoslawien, aber erst nachdem diese einen Italiener geheiratet hat, um aus Polen ausreisen zu können, kommen beide endlich in Paris zueinander.

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Doch das wäre zu einfach, wenn es hier zum Happy End kommen würde. Zula fühlt sich fremd in Paris. Eifersüchteleien und Verletzungen prägen das schwierige Verhältnis beider. Sie ist nicht einverstanden mit den Texten für eine Schallplatte die Wiktor mit ihr einspielen will. Zula bricht in Alkoholexzesse aus, tanzt wild Rock’n’Roll in einer Bar und beleidigt die Dichterin Juliette, eine Ex-Geliebte Wiktors, auf einer Party von dessen Plattenboss Michel. Die bekannten französischen Schauspieler Jeanne Balibar und Cédric Kahn sind hier in kleinen Nebenrollen zu sehen.

Auch die Politik spielt immer wieder in die Beziehung der sich selbstzerstörerisch Liebenden. Schließlich landet Wiktor, nachdem er Zula Anfang der 60er Jahre wieder nach Polen folgen will, sogar in einem Umerziehungslager. Hier entschließen sich die beiden Unzertrennlichen zu einem folgenschweren Agreement. Eine Liebe auf Leben und Tod, die Paweł Pawlikowski in eine an französischen Film noir angelehnte Schwarz-Weiß-Ästhetik kleidet. Das Europa des Kalten Krieges sieht in Polen wie an Seine in Paris gleich trist aus. Kameratechnisch ist das mit den vielen Spiegel-, Licht- und Schattenspielen sicher auch ein Augenschmaus. Die in viele kleinere Einzelszenen zerrissene Reise der beiden Protagonisten wirkt aber auch etwas übertrieben düster-pathetisch. Trotzdem ist Pawlikowskis Cold War wohl wieder ein aussichtsreicher Kandidat für den Auslands-Oscar. In den deutschen Kinos startet der Film am 22. November.

Cold War - Der Breitengrad der Liebe / Zimna Wojna (Polen/Großbritannien/Frankreich 2018)
Regie: Paweł Pawlikowski
Buch: Janusz Głowacki, Piotr Borkowski, Paweł Pawlikowski
Produktion: Tanya Seghatchian, Ewa Puszczyńska
Kamera: Lukasz Zal
Schnitt: Jarosław Kamiński
Ausstattung: Katarzyna Sobańska, Marcel Sławiński
Verleih: Neue Visionen Filmverleih
Mit: Joanna Kulig, Tomasz Kot, Borys Szyc, Agata Kulesza, Cédric Kahn, Jeanne Balibar
Deutscher Kinostart: 22. November 2018

Infos: http://www.filmfestivalcottbus.de/de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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