Amphitryon

Premierenkritik Herbert Fritsch führt an der Berliner Schaubühne Molières Doppelgänger-Komödie als barocke Farce auf

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Nachdem die Fritsch-Familie in der letzten Zeit in eigenen Projekten wie Prometheus oder in Patrick Wengenroths Hannah-Arend-Abend The Human Condition aufgetreten ist, sind nun alle wieder vereint in der neuen Inszenierung von Herbert Fritsch zu sehen. Und sie haben prominente Verstärkung bekommen. Intendant Thomas Ostermeier hat den erfolgreichen Schauspieler und Schriftsteller in autobiografischer Mission Joachim Meyerhoff vom Burgtheater Wien an die Schaubühne geholt. Der wechselt nach eigenen Angaben vom bequemen Wiener „Plüsch“ auf die etwas kargere Bestuhlung am Lehniner Platz. Mit Herbert Fritsch verbinden Meyerhoff aber bereits gemeinsame Arbeiten in Wien und Hamburg. Die Umstellung dürfte also nicht allzu krass sein.

Auf dem Programm steht Molières 1668 in Paris uraufgeführte Doppelgänger-Komödie Amphitryon, mit der er eine antike Vorlage des römischen Dichters Plautus bearbeitet hatte. Gott Jupiter erscheint der Alkmene in Gestalt ihres Gatten, dem thebanischen Feldherrn Amphitryon, und verbringt eine Liebesnacht mit ihr. Jupiter wird begleitet vom Gott Merkur, der die Gestalt von Amphitryons Diener Sosias annimmt, und den Seitensprung Jupiters bewacht. Jener arme Tropf Sosias begegnet nun ausgesandt nach Theben, Alkmene die Siegesbotschaft ihres Mannes zu überbringen, seinem Ebenbild und gerät dabei in arge Nöte, die ihn bis zur Aufgabe seiner Identität bringen. Ähnlich ergeht es seinem Herrn Ampitryon, bis Gott Jupiter am Ende die ganze Sache selbst aufklärt.

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Eine herrliche Verwechslungskomödie wie für Herbert Fritsch gemacht. In einem Video-Interview der Schaubühne erklärt Fritsch diesen Plot auch zum Grundprinzip der Komödie. Weitestgehend hat er sich in der Ausstattung der Bühne und auch mit den Kostümen von Victoria Behr an das barocke Theater zu Zeiten Molières gehalten. Farbige horizontale und vertikale Papierbehänge bilden sich nach hinten verjüngende Bühnenportale mit dazwischenliegenden Gassen zum unerwarteten Auftritt und Abgang. Das Rascheln des Papiers erzeugt dabei einen zusätzlichen Effekt. Zunächst aber gibt es als Ouvertüre eine schräge Free-Jazz-Einlage von den Live-Musikern Ingo Günther am Klavier und Taiko Saito am Marimbaphon, was die Spannung auf das Geschehen noch steigert. Was folgt ist wie bei Molière der Auftritt der schwarz gewandeten Nacht und des Merkur im goldenen Kurzhöschen und Flügelhut. Werner Eng vollführt hier eine Art Travestie mit Gestalttanzeinlage, während sich Bastian Reiber als Merkur im Lispelton über seinen Herrn Jupiter beschwert.

Erst danach bekommt Neuzugang Joachim Meyerhoff seinen ersten Auftritt als Knecht Sosias, der ganz von sich selbst überzeugt seinen Botenauftritt bei Alkmene probt, was zur herrlichen Kostprobe von Meyerhoffs komödiantischem Können wird, bis Merkur seinen Sosias eines Besseren belehrt, wobei Bastian Reiber dem Affen erst richtig Zucker gibt, indem er immer wieder asiatische Kampfkunst persifliert. Überhaupt bietet Fritschs Inszenierung wieder ein Feuerwerk an Slapstick und sich ins Absurde treibenden Paarchoreografien. So gerät auch der Auftritt des Amphitryon zur reinsten Lachnummer, bei der Florian Anderer wie ein geckenhafter Sonnenkönig mit Meyerhoff ein barockes Gesellschaftstänzchen aufführt und dabei seinen Knecht maßregelt. Aber auch ihm wird alsbald die Macht weggleiten, wenn er seinem Kostümdouble Jupiter in Gestalt von Axel Wandke gegenübersteht und durch den Identitätsklau der Götter mächtig ins Schleudern gerät.

Fritsch zeigt hier boshafte, groteske Machtspielchen, das Verhalten von Machtausübenden, Machteinbüßenden und ewigen Verlierern, die wie Sosias gänzlich an die Seite gedrängt werden. „Doch wer bin ich?“ wird für ihn nicht nur zur reinen Existenzfrage. „Ich muss doch auch jemand sein“, ist trotzige Antwort, die ihn schnell die eigene Identität für die Zugehörigkeit zum Gewinner aufgeben lässt. So ausgebootet tanzt er im wahrsten Wortsinn lieber nach der Pfeife der anderen. Meyerhoff ist da ganz zweckdienlicher Mime und fügt sich gut in die hin und her wuselnde Fritsch-Familie ein. Doch nicht nur Amphitryon und Sosias wird hier übel mitgespielt, auch Alkmene wird zum Spielball zwischen den wechselnden Gatten. Annika Meier gibt sie mit bayrisch rollendem „R“ mal in Liebesraserei mit Jupiter, mal kühl abweisend gegenüber ihrem an ihrer Treue zweifelnden echten Gatten. Auch Carol Schuler als Cleanthis buhlt um den falschen und bekeift den echten Gatten Sosias. Dazu wird übertrieben grimassiert und im Chor Musical-like „Rache“ gesungen.

Viel wird an diesem Abend in der Schaubühne gelacht. Und auch wenn die Gags zuweilen in Unterleibsnähe rutschen, geht nicht alles in die barocke Pumphose. Wer sich hier aber mehr Tiefe wünscht, ist vermutlich auf die tragikomische Fassung von Heinrich von Kleist aus, der die Identitätskrise zur philosophischen Frage erhob. Das ist die Sache von Herbert Fritsch nicht. Auch wenn sich bei aller Hampelei und Klamotte hinter dem bunten, überdrehten Possenspiel durchaus etwas Tragisches verstecken mag. So bleibt es natürlich in erster Linie ein virtuoser, stilsicherer Komödienspaß, der keine Tiefe vorgibt, aber auch nicht zum ganz großen Wurf ausholt.

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Zuerst erschienen am 15.10.2019 auf Kultura-Extra.

AMPHITRYON
Regie und Bühne: Herbert Fritsch
Aus dem Französischen von Arthur Luther
Regie und Bühne: Herbert Fritsch
Kostüme: Victoria Behr
Musik: Ingo Günther
Dramaturgie: Bettina Ehrlich
Licht: Erich Schneider
Mit: Florian Anderer, Werner Eng, Annika Meier, Joachim Meyerhoff, Bastian Reiber, Carol Schuler, Axel Wandtke sowie den MusikerInnen Ingo Günther und Taiko Saito
Premiere war am 13. Oktober 2019.
Weitere Termine: 20., 31.10. / 01, 02., 03.11.2019

Weitere Infos siehe auch: https://www.schaubuehne.de/

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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