beach house

AUTORENTHEATERTAGE Philipp Preuss´ bemerkenswerte Uraufführung eines Textes von Dorian Brunz über Illusionen, Sehnsüchte und Isolation im Deutschen Theater Berlin

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Die im Juni wegen der Corona-Abwehrmaßnahmen abgesagten AUTORENTHEATERTAGE konnten nun in etwas abgespeckter Form am ersten Oktoberwochenende im Deutschen Theater Berlin stattfinden. Wie immer gab es einen Stücke-Wettbewerb, bei dem die Jury - bestehend aus der Dramatikerin Dea Loher, der Schauspielerin Nina Hoss und dem Übersetzer David Tushingham - drei Gewinnerstücke auswählte, für die das DT und die kooperierenden Theater Schauspiel Leipzig und Schauspielhaus Graz Uraufführungsinszenierungen einrichteten. Das DT übernahm die Nazifarce Hitlers Ziege und die Hämorrhoiden des Königs von Filmemacher Rosa von Praunheim, das Schauspiel Leipzig das Stück beach house des Berliner Autoren Dorian Brunz und das Schauspielhaus Graz das Stück Schleifpunkt der Schweizer Autorin Maria Ursprung. Diese Uraufführung konnte allerdings wegen eines Covid19-Falls im Umkreis des aus Graz angereisten Inszenierungsteams nicht stattfinden. Der Corona-Virus grassiert trotz umfangreicher Sicherheits- und Hygienemaßnahmen, hatte aber auf das Programm der AUTORENTHEATERTAGE mit etlichen szenischen Lesungen keine weiteren Auswirkungen.

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Im weiterhin recht ausgedünnt besetzten Saal des Deutschen Theaters kam jetzt also das besagte Stück [beach house von Dorian Brunz] in der Regie des Leipziger Hausregisseurs Philipp Preuss zur Uraufführung. Das eigentlich für die kleine Spielstätte Diskothek am Schauspiel Leipzig eingerichtete Inszenierung konnte in Berlin auf der großen Bühne des DT ihre volle Wucht entfalten. Bühnenbildner Ramallah Aubrecht hat dafür eine hausähnliche Stahlskelett-Konstruktion bestückt mit Neonröhren gebaut. Um ein Haus geht es auch in jenem beach house-Text. Allerdings ist es eher die Metapher für einen lang erträumten Sehnsuchtsort. Diesen zu erreichen nimmt das Zwillingspaar Taylor und Ronny einiges auf sich. Auf dem Jahrmarkt feiern sie ihren Geburtstag. Nachdem beim Breakdancer alles Geld draufgegangen ist, muss Ronny sich für ein paar Lose bei einem fremden Mann prostituieren. Das Glück ist ihm dennoch hold, und er gewinnt für sich und seine Schwester die Reise zu besagtem Beach House. Allerdings hat das Ganze auch einen Haken. Die Zwillinge müssen für dazuzubuchende Ausflüge ein Eigenanteil aufbringen, so dass sich Ronny weiter prostituiert und auch Taylor auf recht zweifelhafte Avancen des schmierigen Videofilmers Fernando eingeht.

Fernando sucht Teilnehmer für ein "Rage" (Wut) genanntes Videoformat, bei dem sich zwei Menschen 15 Minuten lang vor laufender Kamera anschreien. Autor Brunz hat hier eine Parabel auf den neoliberalen und entmenschlichten Kapitalismus geschrieben. Die disfunktionale Familie Schmetterling vom Rand der Gesellschaft mit den Zwillingen und ihrer nur in der Vergangenheit lebenden Mutter kann an den Verheißungen der Konsumwelt nicht teilnehmen und wird gnadenlos aus der Verwertungsmühle wieder ausgespuckt. Das klingt nach biederem Sozialdrama mit alkoholkranker alleinerziehender Mutter im Plattenbau, wie man es aus dem jungen deutschen Kino kennt. Aber Autor Brunz und Regisseur Preuss umschiffen die Klischees gekonnt mit einer an Horvath oder Bukowski geschulten Kunstsprache und einer auch sehr künstlichen, abstrakten Bühnenwelt, die durch viel Licht- und Soundeinsatz noch verstärkt wird. Preuss lässt Julia Preuß und Felix Axel Preißler als Taylor und Ronny Schmetterling zunächst ihre Sätze an der Rampe trotzig hinrotzen. Sie tanzen ungelenk als Schattenrisse im Gegenlicht. Ihre Gesichter werden immer wieder mit Livekamera auf die Bühnenrückwand projiziert. Ein weiterer Verfremdungseffekt kommt dazu, wenn sich Preißler eine Tüte über den Kopf zieht und darauf das Gesicht von Preuß projiziert wird.

Einsam in ihrer Welt versunken sitzt Anna Keil als Frau Schmetterling im Inneren des in allen Farben leuchtenden Neonrörengestänges. Sie träumt von einer vergangenen Revolution und singt entrückt die spanische Version des ABBA-Hits Fernando. Die Nachbarin hat sich diesem Leben schon durch Sprung aus dem dritten Stock entzogen. Tilo Krügel gibt den zwielichtigen androgynen Videofilmer Fernando, der Taylor eine Versuchsparabel vom Sozialverhalten isolierten Kapuzineräffchen erzählt. Isoliert wirken hier alle ProtagonistInnen, was sich auch in ihren Worten widerspiegelt. Wiederholt werden die Sätze der einzelnen Figuren zu kleinen, fast melodischen Soundcollagen verschnitten. Einsamkeit ist eines der großen Themen dieses Stück. Die Inszenierung setzt das bildlich und darstellerisch treffend um. Das Beach House bleibt neonflackernde Illusion. Der Run nach dem Glück wird zum ewigen Kreislauf, was am Ende auch die Rückkehr zum Anfangsbild verdeutlichen soll.

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Zuerts erschienen am 04.10.2020 auf Kultura-Extra.

BEACH HOUSE (Deutsches Theater Berlin, 02.10.2020)
Regie: Philipp Preuss
Bühne und Kostüme: Ramallah Aubrecht
Sound: Alexander Nemitz
Lichtdesign: Carsten Rüger
Dramaturgie: Matthias Döpke
Mit: Anna Keil (als Frau Schmetterling), Julia Preuß (als Taylor Schmetterling, ihre Tochter), Felix Axel Preißler (als Ronny Schmetterling, deren Zwillingsbruder) und Tilo Krügel (als Fernando)
Uraufführung war am 2. Oktober 2020.
Weitere Termine im Schauspiel Leipzig: 15., 17., 22.10 / 11., 12.11.2020
Eine Koproduktion mit dem Schauspiel Leipzig

Weitere Infos siehe auch:https://www.deutschestheater.de/programm/a-z/autorentheatertage2020/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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