Berlin Biennale 2018

Zeitgenössische Kunst Unter dem Titel "We don’t need another hero" stellt die 10. Berlin Biennale die Frage nach der Notwendigkeit von Helden im postkolonialen Zeitalter

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Besucher betrachten das Kunstwerk 'Where Are The Hereos?' von Lorena Gutierrez Camejo
Besucher betrachten das Kunstwerk 'Where Are The Hereos?' von Lorena Gutierrez Camejo

Foto: Sean Gallup/Getty Images

We don’t need another hero ist eine recht bekannte Rock-Hymne der schwarzen Pop-Ikone Tina Turner und stammt aus einem der dystopischen Mad-Max-Filme, die in den 1980er Jahren über die Kinoleinwände flimmerten. Das ebenfalls ausschließlich schwarze KuratorInnen-Team der 10. BERLIN BIENNALE für zeitgenössische Kunst um die aus Südafrika stammende Leiterin Gabi Ngcobo hat sich diesen Songtitel als Motto für die Jubiläumsausgabe gewählt. Kunst und Heldentum - schließt sich das aus? Oder wer sind die neuen Helden der immer noch vorwiegend weiß dominierten Kunstgeschichte? Ist dieses Motto also auch als politisches Statement zu verstehen? „Wir sind alle postkolonial.“ hat Gabi Ngcobo dem Goethe-Institut, das die Biennale auch finanziell unterstützt, auf die Frage geantwortet, ob sie bei der Ausrichtung den Fokus auf die von ihr kunstwissenschaftlich vertretenen Theorien des Postkolonialismus legen würde.

„Die Beteiligten setzen sich mit den anhaltenden Ängsten und Sorgen in unserer heutigen Zeit auseinander - Ängste, die durch die Missachtung komplexer Subjektivitäten vervielfacht werden - und denken und handeln in ihrer Auseinandersetzung über den Kunstkontext hinaus.“ Diese Ankündigung im Begleittext zur Biennale mag zunächst recht kryptisch klingen, bedeutet aber nichts anderes als Berlin als internationalen Standort für miteinander im Dialog stehender KünstlerInnen über Deutschland und Europa hinaus zu begreifen. Nach der Bedeutung der Kunst im webbasierten Computerzeitalter vor zwei Jahren hat sich die 10. BERLIN BIENNALE das Hinterfragen der globalen Zusammenhänge und vielgestaltigen Psychosen der postkolonialen Welt zur Aufgabe gemacht.

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Bunter, diverser und vor allem feministischer ist die diesjährige Biennale in jedem Fall geworden. Sie verteilt sich auf vier Ausstellungsorte. Neben dem traditionellen Herz der Biennale in den KunstWerken in der Auguststraße sind das die Akademie der Künste am Hanseatenweg, der kleine Pavillon neben der Volksbühne am Rosa-Luxemburgplatz und als Neuentdeckung das Zentrum für Kunst und Urbanistik (ZK/U) in Moabit, in dem ein Künstlerkollektiv in einem alten Güterbahnhof nahe dem Westhafen Ateliers und Urban Gardening betreibt. An einigen Tagen wird es auch im Hebbel am Ufer (HAU 2) Ausstellungen und Performances zu sehen geben.

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Auffallend ist dann zunächst die große Ruine aus Pappmaché, die die haitianische Künstlerin Firelei Báez vor die Akademie der Künste gestellt hat. Sie ist das gleichnamige Pendant des Potsdamer Schlosses Sanssouci, der weltberühmten Sommerresidenz preußischer Könige, das sich der haitianische König Henri Christophe von 1810 bis 1813 auf der Karibikinsel errichten ließ, und von dem nach dem großen Erdbeben von 1842 nur nach die Ruinen stehen. Ein Sinnbild militärischer Macht, das nach dem Sieg der aufständischen Sklaven über Engländer und Franzosen als Symbol einer neuen Ära feudaler Herrschaft gebaut wurde. Ein Held dieser Kämpfe ist auch der schwarze Oberst Jean-Baptiste Sans-Souci, der später von seinem König verraten und getötet wurde. Eine Geschichte von Revolution und kolonialer Restauration, der Firelei Báez hier in Architektur, Zeichnungen und Collagen gedenkt. In der Installation through patches of wheat, corn and mud, die der in London lebende kolumbianische Künstler Oscar Murillo in den Innenhof der Akademie der Künste gebaut hat, werden in Industriebacköfen steinartige Brotlaibe aus einer Mischung von Mais und Ton aus verschiedenen Teilen der Welt gebacken. In lange, wie Därme aufquellende Stoffschläuche gepackt, bilden sie den globalen Verdauungsweg unserer Konsumgesellschaft.

Mit den Traditionen ihrer Länder beschäftigen sich Minia Biabiany aus Guadeloupe mit ihrer Installation Toli Toli aus Video und selbst gewebten Fischreusen sowie die chilenische Künstlerin Johanna Unzueta, die in ihren frei im Raum stehenden Zeichnungen, die zwischen Plexiglasscheiben montiert sind, Motive von Stickrahmen aus indigener Handwerkskunst adaptiert. Die bereits 1999 verstorbene Künstlerin Belkis Ayón aus Kuba beschäftigt sich in ihren ikonografischen Papierdrucken mit einem alten afrokubanischen Männerkult der Abakuá-Mythologie, in deren Zentrum die Frauenfigur Sikán steht. Ähnliches betreibt die aus Haiti stammende Künstlerin Tessa Mars, die sich in ihren groß- und kleinformatigen Papierarbeiten der Serie The Good Figth, die im ZK/U ausgestellt ist, als geschlechterübergreifende Heldin Tessalines in einer feministisch umgeschriebenen Version eines haitianischen Nationalepos darstellt.

Immer wieder begegnet man auf den Rundgängen an den verschiedenen Ausstellungsorten den Acrylarbeiten der in Sansibar geborenen britischen Künstlerin und letztjährigen Turnerpreisträgerin Lubaina Himid. Sie sind in der Tradition der aus rechteckigen Stoffbahnen bestehenden afrikanischen Kleidungsstücke namens Kanga gemalt. Die neunteilige Serie On the Night of the Full Moon beschäftigt sich in Symbolen und Textaufschriften mit Gedichten schwarzer SchriftstellerInnen. Starke Positionen afrikanischer Malerei zeigen auch Herman Mbamba mit seinen farbenfrohen informellen Gemälden, Lynette Yiadom-Boakye mit mehreren Portraitserien schwarzer Frauen und Portia Zvavahera, deren spirituelle Traumlandschaften wie das Triptychon Hapana Chitsva (Alles ist uralt) zu den Highlights in den Berliner Kunstwerken gehören.

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Die 10. BERLIN BIENNALE schafft es mit ihrer Auswahl aus verschiedenen Kunstformen durchaus, aktuell-politische Themen wie den Postkolonialismus gewinnbringend mit künstlerisch ästhetischen Fragen zu verbinden. Ganz in rötliches Licht getaucht ist die große Ausstellungshalle der Berliner KunstWerke. Hier hat die südafrikanische Künstlerin Dineo Seshee Bopape eine Rauminstallation aus ziegelrotem Backsteinbruch, Eimern und einem Video von einem Auftritt Nina Simones arrangiert, zu der auch andere Künstler Beiträge geleistet haben, wie etwa Jabu Arnell mit einer aus Pappe und Tape zusammengeklebten riesigen Discokugel. Untitled (Of Occult Instability) [Feelings] thematisiert u.a. Gewalt an Frauen und bezieht sich dabei auf den Roman A Question of Power von Bessie Head. Performance und Protestaktion gegen die britische Kolonialverwaltung verbanden sich in den sogenannten „Egwu“, die um 1929 nigerianische Frauen in den Höfen von Kolonialbeamten aufführten. Dabei wurde getanzt und gesungen. Den Spirit dieser gewaltlosen Women-Riots kann man in der Rauminstallation Sitting on a Man’s Head von Okwui Okpokwasili und Peter Born nachempfinden. Das Publikum ist aufgefordert, in einen mit Plastikbahnen umgrenzten Raum zu gehen und dort miteinander zu interagieren, um einen kollektiven Raum für eine neue Sprache, neue Gemeinschaftsbindungen und gemeinsame Fragen zu schaffen. Eine Art kreative Utopie.

Im ZK/U ist dagegen der Anti-Control Room von Heba Y. Amin zu sehen. Dort zeigt die aus Ägypten stammende Künstlerin ihre Videoarbeit Operation Sunken Sea, in der sie als Rednerin vor einem imaginären Kongress den Superkontinent Atlantropa propagiert. Für diese Verbindung von Europa mit Afrika soll sogar das Mittelmeer trocken gelegt werden. Flankiert wird das von weiteren Videoscreens mit Reden bekannter Politiker aus der nordafrikanischen Geschichte wie Mussolini, Gaddafi, Gamal Abdel Nasser, dem britischen Außenminister Anthony Eden, der mit Nasser das Sueskanalabkommen schloss, Chruschtschow und Erdogan. Ein nicht ganz unironischer Verweis darauf, wie nahe sich Utopien und totalitäre Ideologien sind. Durch kritisches Reenactment einer hindu-nationalistischen Radiosendung, die der indische Unabhängigkeitsaktivist Subhas Chandra Bose mit Unterstützung der Nazis 1941 bis 1943 von Berlin aus sendete, verweist die Künstlerin Zuleikha Chaudharis auf dunkle Flecken in der Geschichte der indischen Unabhängigkeitsbewegung.

Mit dem Ödipus-Mythos beschäftigt sich die in den KunstWerken ausgestellte Videoarbeit ILLUSIONS, Vol. II, OEDIPUS der portugiesische Autorin und Künstlerin Grada Kilomba. Sie untersucht darin mit einem Ensemble schwarzer DarstellerInnen „inwiefern Symbolik und Allegorie das Potenzial zur Unterdrückung in sich tragen“. In Deutschland ist Kilomba u.a. mit Beiträgen zum alltäglichen Rassismus und Blackfacing im Theater bekannt geworden. Die schwarze Berliner Künstlerin Natasha A. Kelly hat in Anlehnung an Ernst Ludwig Kirchners Gemälde Schlafende Milli, in dem eine nackte, schwarze Frau als exotisches Objekt fungiert, den Portraitfilm Millis Erwachen gedreht. Darin erzählen acht deutsche Künstlerinnen of Colour aus verschiedenen Genrationen, wie struktureller Rassismus auch im Kunstbetrieb greift, schwarze KünstlerInnen von den Institutionen und Ressourcen ausgeschlossen werden und wie sie sich dennoch durchgesetzt haben. Ein über drei Jahrzehnte umfassendes Foto-Archiv schwarzer Perspektiven hat die Londoner Fotografin Liz Johnson Artur mit ihrem Black Balloon Archive zusammengestellt.

Nochmal um ganz deutsche Ängste geht es in dem großformatigen Doppelscreen-Video Again (Noch einmal) des Berliner Videokünstlers Mario Pfeifer in der Akademie der Künste über den Fall eines geistig verwirrten jungen irakischen Flüchtlings, der von Bürgern der sächsischen Kleinstadt Arnstorf in einem Akt von Zivilcourage, wie sie es selbst nannten, aus dem örtlichen Supermarkt geschleift und an einen Baum gefesselt wurde. In einer Art Reenactment des Vorfalls untersuchen die SchauspielerInnen Mark Waschke und Dennenesch Zoudé mit anderen deutschen Bürgern verschiedener Herkunft, ob es sich tatsächlich um Zivilcourage oder doch einen Akt der Selbstjustiz handelt. Der Film offenbart das Versagen der sächsischen Behörden gegenüber einem an epileptischen Anfällen leidenden Mannes und die zweifelhaften juristische Aufarbeitung des Falls des mittlerweile verstorbenen Irakers, bei der das Verfahren gegen die Beteiligten vor Gericht eingestellt wurde.

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Zuerst erschienen am 12.06.2018 auf Kultura-Extra.

10. Berlin-Biennale für zeitgenössische Kunst
We don’t need another hero
09.06. - 09.09.2018
Kuratorin: Gabi Ngcobo
Kuratorisches Team: Nomaduma Rosa Masilela, Serubiri Moses, Thiago de Paula Souza und Yvette Mutumba
Direktorin: Gabriele Horn
Ausstellungsorte:
Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin
HAU Hebbel am Ufer (HAU 2), Hallesches Ufer 32, 10963 Berlin
KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, 10117 Berlin
Volksbühne Pavillon, Rosa-Luxemburg-Platz, 10178 Berlin
ZK/U - Zentrum für Kunst und Urbanistik, Siemensstraße 27, 10551 Berlin
Öffnungszeiten:
Mi-Mo: 11-19 Uhr
Do: 11-21 Uhr
Di geschlossen
Zusätzliche Schließtage Volksbühne Pavillon 20.6, 4.7., 18.7., 8.8., 22.8. und 5.9.2018
HAU Hebbel am Ufer (HAU2): Ausstellung vom 9.-10. Juni und 13.-16. Juni 2018 von 17-22 Uhr, Performances am 15. und 16 Juni 2018, 20 Uhr (separates Ticket für die Performances benötigt)

Infos: http://berlinbiennale.de/de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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