Berlins digitale Theatervision

#tn15 Der Impuls des Kulturstaatssekretärs Tim Renner in der Diskussion – Eine Nachbetrachtung zur Konferenz Theater und Netz 2015

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Bereits zum dritten Mal diskutierten an diesem Wochenende bei der Konferenz Theater und Netz in Berlin Journalisten, Blogger, Theatermacher und -enthusiasten in Workshops und Panels darüber, wie die vorwiegend noch analoge Bühnenkunst für das Internet fit gemacht werden kann. Also wie kommt nun das Theater ins Netz? Die Frage lässt sich so einfach und erschöpfend nicht beantworten, stehen dabei doch immer auch rein künstlerisch ästhetische Aspekte neben wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen, die es alle zu beachten gilt.

Seit einiger Zeit hat der Berliner Senat nicht nur einen neuen Bürgermeister und Kultursenator, sondern auch einen neuen Staatssekretär für Kultur. Tim Renner, Quereinsteiger aus der Musikbranche, hat sich da einiges vorgenommen, was man durchaus als eine kleine Revolution in der Berliner Theaterlandschaft bezeichnen könnte. Neben der heiß diskutierten Umbesetzung der Volksbühnenintendanz, will Renner auch Impulse im digitalen Bereich setzen. Bereits zum Beginn seiner Amtszeit machte er sich für das sogenannte Livestreaming von Theateraufführungen im Netz stark. Ein weiterer Punkt neben dem schon vielerorts praktizierten Twittern aus der Vorstellung heraus.

Frage: Bringt der Einbruch der digitalen Welt in die analoge des Theaters den Machern oder den Zuschauern neben dem „Yes, we can!“ auch noch andere nennenswerte Vorteile? Ersetzt der Livestream das Live-Theatererlebnis vor Ort, oder soll er nur den Appetit auf den eigentlichen Besuch einer Theateraufführung anregen? Wie könnten speziell für das Internet erzeugte Theaterformate aussehen? Vereinzelt gibt es diese ja auch schon. Der allseits bekannte Theaterberserker Herbert Fritsch ist mit seinem Internet-Projekt X-Hamlet Vorreiter für eine nachstrebende Genration von Netzkünstlern, wie sie nun nach Vorstellung von Tim Renner an der neuen Volksbühne ab 2017 etabliert werden sollen.

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Hier sei nun noch einmal an den Vortrag von Kulturstaatssekretär Tim Renner erinnert, der am 02.05.2015 in der Heinrich-Böll-Stiftung über Berlins digitale Theatervision sprach und sich anschließend noch einer Gesprächsrunde mit stellte. Auch das hatte sicher Potential für ein kleines Politikum.

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Diskussionsrunde mit Moderator Christian Römer (Heinrich-Böll-Stiftung), Tim Renner (Berliner Kulturstaatssekretär), Franziska Werner (Leiterin der Berliner Sophiensaele), Christian Holtzhauer (Vorsitzender der Dramaturgischen Gesellschaft) und Wolfgang Behrens (nachtkritik.de) - Foto: St. Bock

Erstmal ist zu konstatieren, dass sich die „Visionen“ Renners nicht nur um den schon oft diskutierten Livestream drehen. Zwischen „Geht nicht, gibt’s nicht“ und „Alles streamen ist Quatsch“ könne das Theater doch ganz entspannt auf das Phänomen der Digitalisierung schauen, sagte der sichtlich entspannte Kulturstaatssekretär. Aber was das TV (hier im Besonderen der arte-Theaterkanal) nicht geschafft habe (wie er selbst einwirft), wird wohl auch das Streamen von Theateraufführungen nicht leisten können. Der spätere Kommentar aus dem Publikum, dass der Livestream doch jetzt schon out wäre, spricht da Bände. Renner ist dann auch schnell weiter im Text und beim Marketing für die Theater, sprich einheitlichen Online-Ticketsystemen, der Bedeutung für die kulturelle Bildung in den Schulen und der unbeschränkten Teilhabe für alle, die nicht ins Theater gehen könnten. Sogar das Außenministerium zeige Interesse an Kunst und Internet, zum Beispiel mit Livestreams aus Istanbul.

Tim Renner gab sich zunächst ganz als geübter Medienrhetoriker und den Spielball für die digitalen Visionen auch gleich wieder an die Theater zurück. Auch hier also weiterhin Entspannung beim Staatssekretär. Sein Impuls ist: Zum Sammeln der Ideen und Vorschläge hat die Senatskulturverwaltung einen sogenannten Call for Ideas eingerichtet, eine Plattform die erstmal nur einen Namen hat, aber noch kein Geld für die Umsetzung des von den Theatern und anderen Berliner Kulturinstitutionen zu leistenden Inputs. Die Auswertung beginnt laut Renner nach dem 5. Juli. Den Rest des Vortrags erspare ich mir hier mal. Zur künstlerischen Ausrichtung der neuen Volksbühne unter Chris Dercon und deren geplanten digitalen Ausdrucksformen war außer dem Hinweis auf das Terminal plus, einer Studiobühne als digitalem Raum, nicht viel mehr zu erfahren.

Die Verblüffung unter den Panel-Teilnehmer auf dem Podium, ob der neuen Vision, die Berliner Theater digital nach vorn zu bringen, hielt sich dann auch eher in Grenzen. Zunächst natürlich Freude über den neuen, noch virtuellen Projekttopf bei der Leiterin der Sophiensaele. Irgendwas wird man damit schon anfangen können, denn Förderinstrumente erzeugen immer auch Nachfrage, und mit der Truppe Turbo Pascal ist man da ja schon bestens am Start. Es gab aber auch Bedenken von Seiten Wolfgang Behrens. Einen unbedingten Bedarf zur Förderung sieht er nicht, da hier vorrangig auch die Marketingabteilungen der Theater selbst zuständig wären. Und was letztendlich zur Initialzündung bei den Schulklassen führe, sei immer noch die physische Präsenz im Theater.

Es wurde dann noch viel in Anglizismen wie Performance Spaces, Live Journey, Open und Close Shops gesprochen, oder über die Monopolmacht von Twitter, YouTube und Facebook sinniert. Das digitales Theater aber mehr als nur eine Frau mit einem Laptop im leeren Raum (sozusagen die 2.0-Version von Peter Brooks Theatervision) ist, dürfte jedem klar sein. Auf das salbungsvolle Schlusswort Renners, dass die Förderung von Kultur eine entscheidende Investition in die Zukunft ist, wird man den Staatssekretär aber wohl in Zukunft auch festnageln. Was zunächst bleibt, ist der Spruch von den dicksten Eiern am Theater, was ein auflockernder Tiefschlag in Richtung der alten Patriarchen sein sollte, und zum echten „Renner“ unter den Twitterern des Kongresses wurde.

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http://blog.theater-nachtgedanken.de

Der Beitrag ist im Rahmen des Bloggerspace auf dem Liveblog der Konferenz Theater und Netz erschienen.

Texte zu den Schwerpunkten der Konferenz “Theater und Netz. Vol. 3″ vom 2. und 3. Mai 2015 in Berlin stehen auf nachtkritik.de.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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