Borgen

Premierenkritik Nicolas Stemann versucht, an der Berliner Schaubühne die Repräsentation von Macht und Demokratie in der bekannten dänischen Polit-Serie zu dekonstruieren

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Politik ist seit jeher ein Spiel um Macht. Nur wer tatsächlich politische Macht besitzt, kann seine Ziele durchsetzen. „Daher siegen alle bewaffneten Propheten, und die nicht bewaffneten gehen zugrunde", schrieb der florentinische Staatsphilosoph Niccolò Machiavelli in seiner politischen Abhandlung Der Fürst. Mit dem unbewaffneten Propheten meinte Machiavelli den italienischen Dominikanermönch Girolamo Savonarola, der von 1494 bis kurz vor seiner Hinrichtung 1498 als politischer Berater de facto Herrscher über die damalige Republik Florenz war. Savonarola hatte eine große Vision von einem besseren, christlicheren Florenz, predigte für eine Volksregierung und versuchte Reformen gegen den korrupten etablierten Kirchenklärus durchzusetzen. Ein vergeblicher Kampf für mehr Sittlichkeit und Moral bei den politisch Mächtigen seiner Zeit.

Machiavellis Zitat ist auch Wahlspruch der erfolgreichen Polit-Serie Borgen (Die Burg) über das Machtzentrum Dänemarks, der Christiansborg. Ganz so drastisch scheitert die idealistische Politikerin und Serien-Heldin Birgitte Nyborg nicht, muss allerdings durch die Stahlbäder der politischen Willensbildung gehen und lernen, dass man als Politiker zum Machterhalt und zur Staatsraison im Sinne Machiavellis oft vor Entscheidungen steht, die die Gesetze der traditionellen Moral außer Kraft setzen. Um unbequeme Entscheidungen dem Volk als alternativlos zu verkaufen, halten sich die meisten Machtpolitiker sogenannte Spin-Doktoren, die ihnen die passenden Reden schreiben.

Mit Kasper Juul hat die angehende dänische Ministerpräsidentin Birgitte Nyborg auch so einen politischen Ghostwriter. An die Macht gekommen ist die aufstrebende Politikerin der Moderaten aber durch die Verletzung der Regel, nur die vorgefertigten Texte in die Kamera zu sprechen, sondern durch eine improvisierte Rede, die sie als Mensch mit Visionen aber auch Schwächen zeigt. „Kann ich politisch erfolgreich sein und ich selbst bleiben?“ fragt sich die Politikerin, die nebenbei auch noch Ehefrau und Mutter ist, was bei ihren Gegnern sofort Zweifel an ihrer Kompetenz und der Vereinbarung von Karriere und Familie aufwirft.

Gefährliche Seilschaften hieß die im deutschen Fernsehen auf arte ausgestrahlte Serie im Untertitel. Und genau das, wie Politik wirklich entsteht, scheint Nicolas Stemann an der Serie interessiert zu haben. Seine Bühnenfassung von Borgen feierte nun an der Berliner Schaubühne Premiere. Aber schon vorab hatte der Regisseur erklärt, dass für ihn die vom Borgen-Macher Adam Price mit „einem Kern von Idealismus, der wahr ist“ angelegte Politikerin Birgitte Nyborg viel zu gut wegkomme und dass er die Serie daher für ein schönes Märchen halte. Das legt den Fokus wieder klar auf die Inszenierung von Politik und den Spin-Doktor als eigentlichen Regisseur auf der Bühne der Macht.

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So zeigt sich die Inszenierung zu Beginn auch eher wie eine szenische Leseprobe am großen Konferenztisch, bei der zunächst die verschiedenen Charaktere vorgestellt werden mit ihren Parteizugehörigkeiten und Verbindungen untereinander. Die SchauspielerInnen Stephanie Eidt, Sebastian Rudolph, Tilman Strauß und Regine Zimmermann schlüpfen dabei immer wieder durch das Aufsetzen von Perücken, Bärten und Brillen in die einzelnen Figuren. Ganz wie in einem Fernsehstudio kommen Teleprompter zum Einsatz, von denen der Text abgelesen wird. Live gefilmt Großaufnahmen und Standbilder werden auf Videoscreens übertragen. Spielerisch ist das alles ganz auf Parodie angelegt. Wir erleben nun nach dem überraschenden Wahlsieg von Birgitte Nyborg die schwierige, intrigenreiche Regierungsbildung mit Bloßstellungsversuchen der Gegner, Erpressungsversuchen von Hinterbänklern und Stimmenfang mit kleinen Zugeständnissen.

Zur Privatfehde um Liebesleben, Karriere und Familie, die Nyborg (Stephanie Eidt) mit ihrem Mann Philipp (Sebastian Rudolph) auszufechten hat, wird auf ein großes orangenes Sofa umgeswitcht, an dessen Enden die Kinder (Tilman Strauß und Regine Zimmermann) sitzen und bissige sozialkritische Kommentare über Realpolitik und Klassenkampf abgeben. So wird allein fast 90 Minuten darauf verwendet, das Prinzip der Serie für das Publikum begreifbar zu machen und den Idealismus, den die Macher gegen den herrschenden Politzynismus ins Feld führen wollten, ad absurdum zu führen.

Nach der Pause ändert sich daran nicht allzu viel, nur dass jetzt einzelne Episodenthemen näher verhandelt werden. Etwa der geplante Besuch des US-Präsidenten, der kurz als riesige Freiheitstatue nach vorn geschoben wird, dann aber wegen unbequemen Fragen über Guantánamo-Häftlinge auf Grönland wieder absagt. Dafür entern Komparsen in orangenen Overalls mit schwarzen Säcken über dem Kopf die Bühne. Eine Transparenzoffensive Nyborgs wegen Korruptionsverdachts kostet ihren Mann die neue CEO-Stelle bei einem Rüstungszulieferer und beendet auch die Ehe. Profilieren kann sie sich dagegen durch einen Deal mit der Wirtschaft, der ihr einen außenpolitischen Erfolg bei Friedenvermittlung in einem afrikanischen Bürgerkrieg sichert. Weiterhin kommen bissige Kommentare aus der Sofaecke und ein paar Fremdtexteinsprenksler über den Lobbyisten als stärksten Feind der Demokratie ohne Bannmeile sowie den Zusammenhang von Militärinterventionen, Terrorismus und Flüchtlingskrise. Und wir lernen: offene Grenzen sind wichtig für den Freihandel.

„Zum Regieren brauche ich Bild, Bams und Glotze“, hatte Medien-Kanzler Schröder einst gesagt. Also positive News. Bei Stemann kommen zur schlechten Presse noch Pegida-Galgen und Nyborg-muss-weg-Chöre zum Einsatz. Denn natürlich spielt auch in Borgen die Macht der Medien eine nicht unwesentliche Rolle. Der einstige politische Gegner hat eine Boulevardzeitung gegründet, und das Fernsehen verfolgt die Ministerpräsidentin bis in die Privatsphäre. Mit der Handykamera hält Videofilmerin Claudia Lehmann die Gesichter fest. Aber auch im meinungsmachenden TV-Kanal 1 gibt es ein idealistisches Pendant zu Brigitte Nyborg. Die junge Moderatorin Katrine Fønsmark, von Regine Zimmermann mit Blondhaarperücke und Poster der Unbestechlichen gespielt. Sie möchte ihr eigenes kleines Watergate in Kopenhagen, wird aber immer wieder von ihrem Chef zurückgepfiffen. Das Thema Frauen und Quote performt man dann zur zweiten Pausenmusik im Abendkleid.

Es gibt einen großen Bedarf beim Zuschauer an Serienformaten, die Politik oder Genre wie Krimi mit spannender Unterhaltung verbinden. Die amerikanischen Erfolgsserien wie House of Cards, auf die Stemann in seiner Inszenierung auch anspielt, oder Breaking Bad dienen in Europa immer wieder als Vorbilder, die man dem regionalen Mainstreamgeschmack anpasst, oder mit denen man auch schon mal auf den internationalen Markt schielt. Dabei entstehen dann Politreißer wie etwa die norwegische Serie Occupied - Die Besatzung oder bieder produzierte und mäßig interessante deutsche Polit- und Genrekopien wie Die Stadt und die Macht oder Morgen hör ich auf. Das zu kritisieren ist aber sicher nicht der Hauptintension von Nicolas Stemann. Wenn nicht immer mal wieder die beiden Musiker Thomas Kürstner und Sebastian Vogel, die sonst für agit-propere Songs á la Brecht-Weill zuständig sind, fragend ein paar reflektierende Episoden-Fazits frontal ins Publikum sprechen würden, wüsste man allerdings nicht, wozu man dieser mäßig spannenden Dekonstruktion von Borgen zur Politclownerie fast vier Stunden lang beiwohnen sollte.

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Zuerst erschienen am 16.02.2016 auf Kultura-Extra.

Borgen

nach der TV-Serie von Adam Price, entwickelt mit Jeppe Gjervig Gram und Tobias Lindholm

Deutsch von Astrid Kollex, Fassung von Nicolas Stemann

Regie: Nicolas Stemann, Bühne: Katrin Nottrodt, Kostüme: Katrin Wolfermann, Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel, Video: Claudia Lehmann, Dramaturgie: Bernd Stegemann, Bettina Ehrlich, Licht: Erich Schneider

Mit: Stephanie Eidt, Sebastian Rudolph, Tilman Strauß, Regine Zimmermann

Statisterie: Daniel Ahl, Frank Jendrzytza, Hauke Petersen, Steven Raabe, Fabrice Riese, Benjamin Scharweit, Philip Schwingenstein, Malik Smith

Premiere war am 14.01.2016 in der Schaubühne am Lehniner Platz

Dauer: 3 Stunden 45 Minuten, zwei Pausen

Termine: 06., 07., 08.03. 2016

Weitere Infos siehe auch: http://www.schaubuehne.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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