"Brandung" in der Box des DT Berlin

Eine Premierenkritik Das mit dem Kleist-Förderpreis ausgezeichnete Stück von Maria Milisavljevic feierte in der Regie von Christopher Rüping am 10. Oktober seine Berlin-Premiere

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„Ein Schrei, durch die Brandung. Und brennt der Himmel, so sieht man's gut. Ein Wrack auf der Sandbank, noch wiegt es die Flut. Gleich holt sich‘s der Abgrund.“ Otto Ernst, aus: Nis Randers, verwendet in Brandung von Maria Milisavljevic

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Diese und noch einige andere poetische Einlassungen im sonst recht epischen Text von Maria Milisavljevic geben ihrem Stück Namen und Richtung. Und noch von anderer Seite ist poetisch Hochtrabendes in den Text geflossen. Regisseur Rüping stellt den Musiker des Abends, Christoph Hart, als bebildertes Zitat an den Anfang. Er, oben Mensch und unten Fisch, spricht einen Auszug aus Hermann Hesses Demian. Bei Hesse heißt es in der Einleitung zum Roman weiter: „Und allen sind die Herkünfte gemeinsam, die Mütter, wir alle kommen aus demselben Schlunde; aber jeder strebt, ein Versuch und Wurf aus den Tiefen, seinem eigenen Ziel zu. Wir können einander verstehen; aber deuten kann jeder nur sich selbst.“ Maria Milisavljevic geht es um die Rückkehr zu den Wurzeln der Kindheit, um die Herkunft und Heimat des Menschen.

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Deutsches Theater und Kammerspiele Berlin - Foto: St. Bock

Im Stück, dass im Juni bereits bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen zur Uraufführung kam, sind es zunächst drei, Milisavljevic nennt sie ICH, ER, SIE, die einen weiteren, namens Karla, suchen. Karla ist von einem schnellen Ausflug zum Supermarkt um die Ecke nicht mehr zurückgekehrt. Die Freunde melden sie als vermisst und beginnen ihrerseits mit einer groß angelegten Suchaktion. Was wie ein spannend inszenierter Krimi daherkommt, hat im zweiten Hinsehen aber wesentlich tiefere Ursachen. Ungeklärte Freundschafts- und Liebesbeziehungen quälen die Protagonisten und lassen sie schließlich auf eine Reise zurück bis zu ihren familiären Wurzeln gehen.

Die von Natalia Belitski gespielte Ich-Erzählerin ist mit Vlado, dem ER, zusammen, zeigt aber auch Interesse an den Annäherungsversuchen von Jo, was sie Vlado natürlich verschweigt. Der neu aus Leipzig zum Ensemble des DT gestoßene Benjamin Lillie spielt die beiden erst nichts voneinander wissenden und dann sich beargwöhnenden Kontrahenten. SIE (Barbara Heynen) heißt eigentlich Martina und ist die Schwester der Ich-Erzählerin. Als Mitbewohnerin Karlas und einzig scheinbar unbelastete Figur wirft sie sich pflichtschuldig in die Suche nach ihr, organisiert das Erstellen von Webseiten und Handzettel, macht Druck bei der örtlichen Presse und Polizei.

Die anderen beiden bergen weiter ihr Geheimnis, werden aber von einem inneren Gefühl, wie einem schlechten Gewissen angetrieben, die Verschwundene zu finden. In wechselnden Monolog- und Dialogpassagen forschen sie einander aus, suchen nach Ursachen des plötzlichen Verschwindens. Ihre einst innige Beziehung ist an einem gewissen Kältepunkt angelangt, was sich im Text in der Metapher des gefrorenen Sees, der erst später die Leiche der jungen Karla freigeben wird, wiederfindet und sich auf der Bühne in Form einer Wand voller quadratischer, schmelzender Eisscheiben spiegelt.

Je weiter die Protagonisten in die Tiefen ihres Beziehungsgeflechts und ungeklärte Vergangenheit vordringen, je schneller das Eis in der Wand schmilzt, umso näher kommen sie sich wieder bei der gemeinsamen Suche nach Karla. Für den nötigen Spannungsbogen sorgt die Autorin mittels einiger Krimibezüge und kolportagereifen Szenen, die der Regisseur auch in entsprechend spritzige Bilder übersetzt. Da will ein zwielichtiger Deutscher die Tasche Karlas in der Nähe eines barackenartigen Russenviertels am Fluss gefunden haben, wo dann auch noch ein roter Gummistiefel mit aufgemaltem Herzen entdeckt wird.

Die drei Schauspieler laufen dabei mit Taschenlampen bewaffnet durch die Zuschauerreihen und treiben das skurrile Spiel mit der Spannung auf die Spitze. Der Musiker Christoph Hart hinter der Wand liefert je nach Stimmung den passenden Keyboardsound dazu. Da schreien mal die Darsteller wie Möwen, ist unablässig tropfendes Wasser zu hören oder später auch feinfühliges Harfenspiel.

Nachdem Karlas Tod Gewissheit wird, flieht das Paar schließlich zu Vlados Großeltern nach Kroatien. Ob es Mord oder Selbstmord war, untersucht die Polizei, während das Paar zur Ruhe zu kommen versucht und sich unter dem Druck von Schuldgefühlen ihre Geheimnisse gesteht. So birgt nicht nur ICH ein Geheimnis, auch Vlado hat Karla die Wahrheit über seine Beziehung zur Ich-Erzählerin verschwiegen.

Mit Einsprengseln über die Geschichte von ICHs und Vlados Familie versucht Maria Milisavljevic die Verlustängste der beiden zu erklären und gibt den beiden dadurch wieder Halt. So können sie ihre Luftwurzeln wieder erden, und aus imaginären Sehnsuchtsorten mit Sonne und Meer werden echte gemeinsame Erlebnisorte. Hier verarbeitet die Autorin mit Wurzeln in Ex-Jugoslawien durchaus auch eigene Erfahrungen. Nicht alle Rätsel über das Verschwinden Karlas können hier gelöst werden. Aber eines ist den beiden Zurückgebliebenen klar: „Wer nicht erzählt, braucht das Schweigen.“ Und das zu brechen, ist manchmal wie Löcher in eine Eiswand schlagen.

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Ein bemerkenswerter Achtungserfolg und neben Marianna Salzmanns Muttersprache Mameloschn weiterer gelungener Beitrag des Deutschen Theaters zum Thema Heimat und Familie. Salzmanns berührendes Familienstück über drei Generationen jüdischer Frauen in Deutschland wird durch die DT-Schauspielerinnen Gabriele Heinz, Anita Vulesica und ein weiteres Mal großartige Natalia Belitski mittels viel Witz und Hilfe einer frischen, lockeren Regie hervorragend in Szene gesetzt. Das mit reichlich Mutter- und Sprachwitz ausgestattete Stück war ganz zu Recht für den diesjährigen Mülheimer Dramatikerpreis 2013 nominiert. Muttersprache Mameloschn in der von Regie von Brit Bartkowiak ist ebenfalls wieder in der Box des DT zu sehen.

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Brandung: wieder am 28. Okt. um 20:00 Uhr, 1. und 17. Nov. um 19.30 Uhr und 30. Nov. um 18:00 Uhr

Muttersprache Mameloschn: am 15., 16., 17. Okt. und 14. Nov. um 20:00 Uhr sowie 29. Nov. und 25. Dez. um 19:30 Uhr

http://www.livekritik.de/livekritiken/livekritik-von-stefan-bock-27/

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BRANDUNG in der Box des Deutschen Theaters Berlin

Regie Christopher Rüping
Bühne Jonathan Mertz
Kostüme Lene Schwind
Musik Christoph Hart
Dramaturgie Meike Schmitz

Besetzung
Natalia Belitski (ICH), Benjamin Lillie (ER), Barbara Heynen (SIE), Christoph Hart (Live-Musiker)

Infos unter: http://www.deutschestheater.de/spielplan/brandung/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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