Christo and Jeanne-Claude  Projects 1963–2020

Ausstellung Eine Retrospektive des kürzlich vertorbenen Verhüllungskünstlers im Berliner Palais Populaire

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Es mutet schon fast etwas kurios an, dass eine der ersten wiedereröffneten Ausstellungen nach dem Corona-Lockdown in Berlin ausgerechnet eine über die Projekte des Verhüllungskünstlers Christo ist. Momentan ist ja jeder Bürger auch so etwas wie ein Verhüllungskünstler seiner selbst. Und so steht man nun dank eines ebenfalls momentan obligatorischen Zeitfenstertickets mit einer auserlesen kleinen Gruppe Kunstinteressierten mit selbstverhülltem Gesichtserkern und natürlich in gebührendem Abstand voneinander im PalaisPopulaire vor den Objekten und Dokumentationen über die kleinen und vielen großen Verhüllungsaktionen, die Christo, der beinahe 85-jährig am 31. Mai in New York doch etwas überraschend verstorben ist, gemeinsam mit seiner Partnerin Jeanne-Claude von 1963 bis zu deren Tod 2009 und darüber hinaus bis heute geplant und durchgeführt hat. Und so kann man diese Retrospektive eines nun fast als abgeschlossen geltenden Werks durchaus auch eine Art Vermächtnis nennen.

Das PalaisPopulaire, die gerade erst 2019 neu eröffnete Berliner Dependance der Kunstsammlung der Deutschen Bank, die von ihrem ursprünglichem Standort nur ein paar Meter weiter die Straße Unter den Linden rauf in Ausstellungsräume im preußischen Prinzessinnenpalais neben der Berliner Staatsoper umgezogen ist, hat mittels penibler Einhaltung der vorgeschriebenen Hygiene- und Abstandsregeln ihre vor kurzem erst eingerichtete Ausstellung Christo and Jeanne-Claude - Projects 1963–2020 für das Publikum wiedereröffnet. Man kann nun in kleinen Gruppen von max. 35 Personen zur gebuchten Zeit eine Stunde lang das Haus und die Galerie in der 1. Etage besuchen.

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Die retrospektiv angelegte Ausstellung beginnt mit den ersten Verpackungsobjekten Christos, die der 1956 aus Bulgarien über Wien nach Paris geflohene Künstler in den 1960er Jahren aus in transparente Kunststofffolie verpackten Alltagsobjekten, Zeitschriftenstapeln oder Magazinen gestaltete. Kunstvoll verschnürte Fetische der westlichen Konsumkultur. Inspiriert ist er da noch von den Assemblagen der französischen KünstlerInnen des Nouveau Réalisme wie Yves Klein, Jean Tinguely oder Niki de Saint Phalle. Die Verpackung wurde aber zu Christos Markenzeichen. Schon bald baute er verhüllte Ladenfronten, die sogenannten Store Fronts, als Objekte nach, bevor er schließlich 1969 für das Projekt Wrapped Coast raus in die Natur ging und in Australien nahe Sydney die Klippen der Little Bay mit synthetischen Erosionsschutzgewebe verhüllte.

Die Finanzierung dieser und der sich nun anschließenden Großprojekte erfolgt immer über den Verkauf von Editionen aus Entwürfen und Skizzen auf Papier, von denen hier auch einige zu sehen sind. Berliner kennen das noch von der Verhüllung des Reichstags. Die in den 1980er Jahren entstandenen farbigen Zeichnungsentwürfe des schließlich nach dem Mauerfall und erstem Vereinigungstaumel 1995 realisierten Projekts sind hier zwei Ausstellungswände gewidmet. In Form von größeren limitierten Sonderdruckeditionen waren sie auch für das weniger zahlungskräftige Volk erschwinglich. Aber auch Fotoserien, die der Fotograf Wolfgang Volz von den zahlreichen, immer temporär angelegten Mega-Land-Art-Verhüllungsevents des Künstlerpaars Christo und Jean Claude machte, werden gezeigt.

Ansonsten arbeitet sich die Schau chronologisch mit Originalpapierarbeiten aus der Sammlung Ingrid & Thomas Jochheim an den bekanntesten Verhüllungs-Projekten Christos ab. Zu erwähnen sind da vor allem Projekte wie Valley Courtain (1972) mit dem Bau eines orangefarbenen Vorhangs in einem Tal in Colorado, die Verhüllung der Pariser Pont Neuf (1975–1985), The Umbrellas (1984–1991), bei dem zeitgleich in Kalifornien und Japan gelbe und blaue Schirme aufgestellt wurden, The Gates im New Yorker Central Park (1979–2005), The Floating Piers (2014–2016) mit seinen mit Stoff bespannten Stegen auf dem italienischen Iseosees oder das Mastaba-Projekt, die Nachbildung eines ägyptischen Grabmals auf Ölfässern, das lange geplant für die Wüste in Abu Dhabi 2018 nur im Kleinformat im Londoner Hyde Park realisiert werden konnte.

Nachdem Paris, das 1985 noch der spektakulären Verhüllung der berühmten Seine-Brücke Pont Neuf zugestimmt hatte, lange Zeit weiteren Projekten von Christo und Jeanne-Claude einen Korb erteilte, hätte die lange geplante Verhüllung des Arc de Triomphe, eines weiteren großen Wahrzeichens der Stadt, nun endlich doch in diesem Jahr stattfinden können, wäre nicht die Coronakrise dazwischen gekommen. Trotz des Todes von Christo ist die Aktion nur um ein Jahr in den September 2021 verschoben worden. Neben der Erwähnung der langen Planungszeiten und Schwierigkeiten bei der Realisierung der zahlreichen Projekte stehen das Für und Wider in dieser Retrospektive allerdings nicht weiter zur Debatte.

Statt eines Gesichtsmaskenverhüllungswettbewerbs hat das PalaisPopulaire für das Publikum einen #MyChristoMoment-Photocontest auf Instagram ausgerufen. Unter dem angegebenen Hashtag kann jeder sein ganz persönliches Fotomoment der Ausstellung hochladen. Zu gewinnen gibt es drei von Christo höchst persönlich signierten Ausstellungskataloge, die zur ansonsten doch relativ großzügig angelegten Schau dann doch etwas zu schmal ausgefallen sind. Höfliches Understatement zu Ehren eines bei allem Bombast doch stets als bescheiden geltenden Künstlers.

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Zuerst erschienen am 21.05.2020 auf Kultura-Extra. Aktualisiert: 08.06.2020

Christo and Jeanne-Claude - Projects 1963–2020
Ingrid & Thomas Jochheim Collection
06.05. - 17.08.2020
Palais Populaire
Unter den Linden 5, 10117 Berlin

Weitere Infos siehe auch: https://www.db-palaispopulaire.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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