Common Ground

Premierenkritik Yael Ronen lässt am Maxim Gorki Theater junge Menschen aus den ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens nach einer gemeinsamen Basis der Verständigung suchen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

"Balkane, Balkane Moj" (dt.: Mein Balkan) heißt eines der sehnsuchtsvollen bosnischen Lieder, die Schauspielerin Vernesa Berbo, die bis Anfang der 1990er Jahre in Sarajevo Theater spielte und 1992 nach Ausbruch des Bosnienkrieges nach Berlin floh, an diesem Abend im Maxim Gorki Theater singt. In einem anderen heißt es aber auch traurig „nichts wird bleiben, außer der Schmerz“. Ein Schmerz, der tiefe Wunden gerissen hat. Verursacht durch einen Krieg, der nach dem Zusammenbruch von Titos Jugoslawien auf dem Balkan mit einer Heftigkeit und Brutalität entbrannte, die den Vielvölkerstaat zerriss und an seinem Ende "ethnisch saubere" Grenzen zog.

*

Common Ground (dt.: Gemeinsamkeit) ist der Titel der neuen Produktion von Yael Ronen, die die israelische Regisseurin nach Die dritte Generation an der Schaubühne nun am Maxim Gorki Theater herausgebracht hat. Und wie bereits bei der Arbeit mit jungen Israelis und Palästinensern, geht es wieder um das spielerische Ausloten von Trennendem wie Verbindendem zwischen den aus Ex-Jugoslawien stammenden Schauspielern, die bis auf Vernesa Berbo fast ausnahmslos in Deutschland aufgewachsen sind.

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2014/03/Maxim-Gorki1.jpg

Maxim Gorki Theater Berlin - Foto: St. Bock

Was bereits in vielen Filmen aus Kroatien, Slowenien, Serbien oder Bosnien-Herzegowina immer wieder versucht wird. Hier kommt es nun erstmals auf eine deutsche Bühne. Der Versuch Vergangenes aufzuarbeiten, nicht aus der Perspektive des nach Ursachen und Erklärungen suchenden Polittheaters, sondern in einer Rückschau, die die in Deutschland lebenden Protagonisten bei einer gemeinsamen Reise nach Bosnien an die Ursprünge des Konflikts führt und sie mit Überlebenden, Opfern wie Tätern konfrontiert. Für die aus Bosnien, Kroatien und Serbien stammenden Schauspieler auch eine Reise zurück zu den eigenen Wurzeln ihrer fast vergessenen Geschichte.

Für dieses schwierige Unterfangen hat ihnen Yael Ronen die israelische Schauspielerin Orit Nahmias und den deutschen Schauspieler Niels Bormann, beide bereits in Ronens beiden Schaubühnen-Projekten mit von der Partie, als humorvolle Sidekicks an die Seite gegeben. Nahmias möchte ihre Kompetenz anhand der Analogien zum Palästinenserkonflikt anbringen, wird aber von Bormann beiseitegeschoben. Er gibt den verständnisvollen Deutschen, für den nur die Fakten zählen und dem das schließlich alles viel zu chaotisch wird. Seine teils unpassenden, von außen in den Konflikt gebrachten Kommentare nerven die anderen schließlich nur noch.

Um nach über 20 Jahren einen Überblick über die Zeit der Balkankriege zu geben, prasseln zu Beginn die Nachrichten jener Jahre im Schnelldurchlauf durch die Protagonisten vorgetragen auf das Publikum nieder. Beginnend mit der Unabhängigkeitserklärung Sloweniens 1991 bis zum Friedensvertrag von Dayton 1995, der den Bosnienkrieg beendete, werden wichtige Eckdaten des Konflikts neben Schlagzeilen aus Politik, Sport und Popkultur, die die Welt damals auch bewegten, gestellt. Eine mit Popsongs und Videobildern untermalte Überforderung, die alle schließlich zusammenbrechen lässt.

Das abrupte Aufwachen verursacht eine gewisse Orientierungslosigkeit. Man räumt auf, trägt das aus Holzkisten bestehende Bühnenbild wieder zusammen und versucht die Gedanken neu zu ordnen. Was nun beginnt, ist das Erzählen der Protagonisten in kurzen Spielszenen aus ihrer Kindheit in Ex-Jugoslawien. Eben noch Freunde und Nachbarn, muss man nun aufpassen, in welchem Dialekt man spricht und den richtigen Ausweis haben. Die Behauptung Jüdin zu sein, kann sogar erstmalig in einem ethnischen Konflikt in Europa lebensrettend sein. Diese Absurditäten sind schwer verständlich und verlangen nach Erklärungen, die bis heute keiner wirklich geben kann.

Der in Belgrad geborene Dejan Bućin (bekannt als Schauspieler am Berliner Ensemble) fühlt sich nicht vordergründig als Serbe und betont die multiethnische Herkunft seiner Familie. Gorki-Schauspieler Aleksander Radenković besitzt einen deutschen und serbischen Pass, die er auf Reisen immer bei sich trägt. Mateja Meded, eine junge Kroatin, hat einen Vater, der Aufseher in einem Lager war. Der Vater der in Bosnien geborenen Jasmina Musić, ist dagegen in einem Lager in Prijedor umgekommen. Der Zufall der Geburt entscheidet hier ein Schicksal. Die Suche nach der Wahrheit über die Väter, bei der sich die beiden jungen Frauen näher kommen, ist ihre Gemeinsamkeit, die schließlich in einer Freundschaft mündet.

Die Busfahrt nach Prijedor, das in der heutigen Republika Srpska liegt, ist für alle das gemeinsame Erlebnis, das die Basis bildet, auf der sich eine Verständigung aufbauen lässt. Bis auf Einschusslöcher in den Häusern, sind die Spuren der Kriegsgreuel hier fast verwischt. Ein Denkmal vor dem Lager, das nun wieder eine Schule ist, verweist auf die Kämpfer für die Republik Srpska. Es lässt sich schwer ausmachen, was die Wirklichkeit ist, was nur in der Erinnerung verzerrte Wahrnehmung? Ein Treffen mit der Vertreterin einer Organisation für Vergewaltigungsopfer wirkt da wie der heilsame Schock, der die jungen Leute aus der gemeinsamen Vergangenheit, die sie trennte, wieder in eine mögliche gemeinsame Zukunft katapultiert.

Hier wird es wieder sehr emotional. Schuldgefühle und Wut brechen sich Bahn, auf sich selbst, oder die mangelnde Gerechtigkeit für die Opfer. Aber es wächst auch die Erkenntnis, dass Nationalismus dieses Leid verursacht hat. Der anstrengende Abend mündet in einer kollektiven Erschöpfung. Etwas wehmütig erfasst Orit Nahmias Heimweh nach Israel. Wieder daheim in Berlin, ist für Vernesa Berbo Zuhause etwas, was einem die Sicherheit gibt, nachts die Augen schließen zu können. Sind diese Erlebnisse ein sicherer Grund, auf dem man in Zukunft gemeinsam stehen kann? Zumindest hoffen alle am Ende, doch mehr Gemeinsames als trennende Unterschiede gefunden zu haben.

----------

Zuerst erschienen am 16.03.2014 auf Kultura-Extra.

Common Ground von Yael Ronen und Ensemble

Premiere war am 14.03.2014

Regie: Yael Ronen, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Lina Jakelski, Video: Benjamin Krieg, Hanna Slak, Dramaturgie: Irina Szodruch. Mit: Vernesa Berbo, Niels Bormann, Dejan Bućin, Mateja Meded, Jasmina Musić, Orit Nahmias, Aleksandar Radenković.

Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

Weitere Infos: http://www.gorki.de/spielplan/common-ground/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden