Es soll Leute geben, die sich neben dem TFF in Rudolstadt auch noch für die Umgebung der thüringischen Kleinstadt an der Saale interessieren. So lädt die z.B. auch zu einem Wandel auf Schillers Spuren rund um die Rudolstädter Rivera genannte Gegend ein. In diesem Jahr geriet bei Temperaturen um die 35 Grad allerdings schon der fröhliche Wechsel von Bühne zu Bühne zwischen Heinepark, der schönen Innenstadt und der Heidecksburg hoch über Rudolstadt - und das zu Fuß (!) - zur Tour de Force. Gerade noch bei 9Bach auf der Heidecksburg muss man schon wieder den Marsch in den Park antreten, wo ja nach Udo Jürgens' selig-bekanntlich Gabi wartet.
http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2015/07/25.-tff-2015-10.jpgDas 25. TFF in Rudolstadt/Thür. - Foto: St. Bock
Und Gabby wartet im (Heine)Park
Mit Gabi ist in diesem Fall die Britin Gabby Young mit ihren Other Animals gemeint. Eine burleske Truppe, die mit ihren schrägen Songs und Kostümen zwischen den fantastischen Tiger Lillys und barocker Barbarella changieren. Mit glockenheller Stimme und Blumen im Haar schlug Gabby ihre Fans am Freitagabend vor der Konzertbühne nach dem ersten vollen Hitzetag in ihren Bann. Nach kurzem Regenguss hatte da schon die spanische Gianna Nannini den Folkis wieder eingeheizt. Sés aus Galizien stand ihrem italienischem Vorbild in nichts nach und reihte sich umstandslos in den Reigen der großen Frauenstimmen am zweiten Festivaltag ein. Songs quer durch die Musikwelt der iberischen Halbinsel wechselten sich mit gut abgehangener Rockmusik und einigen feministischen Statements ab. Gut so.
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Gabby Young - Foto: St. Bock
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Sés - Foto: St. Bock
Fast noch besser war zuvor auf der Heidecksburg die walisische Band 9Bach, die im klassischen Sinne nichts mit dem Leipziger Barockkomponisten zu tun hat, sondern mit wunderbar melancholischer Folkmusik aus dem Südwesten der britischen Insel. Lisa Jen gab bei glühender Nachmittagshitze eine Lehrstunde in walisischer Sprache, angefangen beim Alphabet bis zu einigen Mitsingversen fürs gebannte Publikum, das sich teils an die schattenspendenden Wände des Burghofs gedrückt oder direkt vor der Bühne platziert hatte. Wer es nicht aushielt, konnte sich unter den Bäumen der unteren Burgterrasse ausruhen und von dort trotzdem den meditativen Klängen des deutsch-libanesischen Orient-Projekts Masaa lauschen. Die Band um den Sänger Rabih Lahoud hatte sich zur Verstärkung die Israelin Yael Deckelbaum geholt, die bereits mit ihrer Frauenband Habanot Nechama 2009 in Rudolstadt gastierte. Eine freud- und friedvolle Völkerverständigung der musikalischen Art.
http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2015/07/Masaa-Yael-Deckelbaum.jpgMasaa + Yael Deckelbaum - Foto: St. Bock
Das Highlight des Abends war aber mit Sicherheit die „Neue Stimme Amerikas“, die mit Rhiannon Giddens den Freitag der Frauen krönte. Die junge Sängerin aus dem Süden der USA führte mit ihren Liedern durch mindestens ein Jahrhundert amerikanische Folkmusik. Mit ihrer frischen an Joan Baez oder Joni Mitchell erinnernde Stimme interpretierte sie Songs von Nina Simon, Countrygrößen wie Dolly Parten oder Patsy Cline und natürlich Bob Dylan genauso gut wie Folk-, Blues- und Gospelklassiker, die in Deutschland u.a. durch den Filme der Coen-Brüder bekannt sind. Damit stellte sie den eigentlichen Headliner des Abends, den großen alten Mann des Mali-Blues, Salif Keita, mit seinen Ambssadeurs in den Schatten der großen Bühne im Heinepark.
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Rhiannon Giddens - Foto: St. Bock
Schwerpunkte Jazz und Norwegen
Neben dem Schwerpunkt norwegischer Musik war auch der Auftakt des 25. TFF recht jazzlastig. Der Sound zog sich in den verschiedensten Varianten durch die erste Hälfte des Festivals. Am Donnerstagabend gab es zur Eröffnung das, was man gemeinhin als Fusion bezeichnen würde. Die Rhythmuskings Sly & Robbie, die bereits Black Uhuru oder die Rolling Stones begleiteten, haben sich mit dem norwegischen Jazz-Trompeter Nils Petter Molvaer zusammengetan und ein relaxtes Programm zwischen Free-Jazz-Improvisationen, Elektrobeats sowie Samples und jazzy Remixen bekannter Rockklassiker der Rolling Stones oder Pink Floyd entwickelt. Dagegen konnte der blecherne Klang der hochgelobten Elektro-Swinger Caravan Palace, die nach den iberischen Trommler der Band Coetus die große Bühne im Heinepark enterten, nicht überzeugen. Die Tanzwütigen unter dem Festivalvolk wird das nicht weiter stören. Ob Klezmer-Punk mit Ramzailech aus Israel, magischen Zittern oder diatonische Akkordeon-Klänge mit Ferro Gaita von den Kapverdischen Inseln, getanzt wird immer beim TFF in Rudolstadt.
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Nils Petter Molvaer - Foto: St. Bock
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Coetus - Foto: St. Bock
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Verleihung des Deutschen Weltmusikpreises RUTH
So heiß, wie die ersten Tage begonnen hatten, ging es am Samstag und Sonntag beim 25. TFF auch weiter. Und es lag nicht nur an den hochsommerlichen Temperaturen, dass die in diesem Jahr wieder zahlreich erschienenen Zuschauer dabei ordentlich in Schwitzen kamen. In der glühenden Hitze des Samstagnachmittags auf der Heidecksburg ging es mit der Verleihung des Deutschen Weltmusik-Preises, der RUTH, an die deutsch-libanesische Band Masaa (die wir schon am Vortag auf der Burgterrasse bewundern durften), an das fantastische, multinationale Women-in-Jazz-Projekt Eurasians Unity und an den Berliner Liedermacher Funny van Dannen zunächst noch verhältnismäßig relaxed zu. Van Dannen freute sich sichtlich darüber, endlich auch mal einen Preis wie ein Fußballer bekommen zu haben und intonierte sogleich seinen Hit "Fußball 2" (Thema: latente Homosexualität). Auch wusste er zu berichten, dass die armen Berliner Künstler ab 55 aufwärts jetzt vom Kultursenator Kokain auf Krankenschein bekämen. Weitere herrliche Kostproben aus 20 Jahren ironischer Liedkunst zur Gitarre gab van Dannen dann noch mit den Klassikern "Nana Mouskouri", "Ich hab einen Arbeitsplatz vernichtet", "Okapiposter" und "Schilddrüsenunterfunktion".
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Funny van Dannen mit der RUTH - Foto: St. Bock
Spaß und Humor mit leichtem Hintersinn also, der später mit dem Kabarettisten Gerhard Polt seine bayrische Entsprechung bekam. Unterstützt von den Well-Brüdern (ehemals Biermösl Blosn), die auch in der neuen Besetzung ihre Klassiker zum Besten gaben, führte der begnadete Satiriker Polt die Zuschauer vor der großen Burg-Bühne in die Absonderlichkeiten bayrischer Kultur und Feuerwehrfeste sowie in die Geschichte der CSU-Reliquien und die Denkwelt eines fußgängerhassenden Autofetischisten ein. Musikalisch international und prominent wurde es dann nochmal am Abend auf der Burg mit der zurzeit bekanntesten Stimme des portugiesischen Fado, Mariza. Für die große, schlanke Frau mit dem markanten blonden Kurzhaar ist der melancholische Gesang der Lissaboner Kneipen aber nur eine Facette ihres künstlerischen Werks. Gemeinsam mit ihrer Band interpretierte sie auch brasilianische Musik sowie andere portugiesische Volkslieder und brachte das völlig bezauberte Publikum sogar zum Mitsingen.
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Mariza - Foto: St. Bock
Klänge ganz anderer Art gab es dann am späten Abend noch auf der Konzertbühne im Heinepark. Zu einzelnen Blitzen aus der Ferne, die von einem lang erwarteten Hitzegewitter kündeten, beschwor der norwegische Künstler Torgeier Vassvik wie ein Schamane mit dem Kehlkopfgesang der Sámi (Joik genannt) den leicht einsetzenden Regen. Vassvik begleitete seinen rauen, spirituell-meditativen Gesang auf der akustischen Gitarre, wozu sich noch weitere elektronisch verstärkte Streichinstrumente und Drums zu einem treibenden Rhythmus gesellten. Der große Regen blieb fürs erste aus, und die Samstagnacht im Heinepark beschloss die kanadische Rap- und HipHop-Band Nomadic Massive. Die Gruppe aus drei Rappern und zwei Rapperinnen, begleitet von Gitarre, Bass, Schlagzeug und zwei Bläsern, brachte die Menge vor der großen Parkbühne dann noch mal mit schnellem Rap-Gesang und Dance-Beats gewaltig zum Kochen.
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Torgeier Vassvik - Foto: St. Bock
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Nomadic Massive - Foto: St. Bock
Experimentelles, Twist und Reggae zum Abschluss
Nach drei ereignisreichen Tagen war man, der Hitze geschuldet, am Sonntag doch schon etwas ausgepowert. Der letzte Festivaltag lud aber nochmal zu einigen Entdeckungen und Highlights ein. Im Heinepark überraschte u.a. die erste Frauen-Akapella-Gruppe Nobuntu aus dem südafrikanischen Zimbabwe, die das Publikum ebenso begeisterten wie die Monster Ceilidh Band. Die jungen Briten mischten englische und schottische Volksmusik mit Drum’n’Bass und brachten so das müde Partyvolk, das sie schon am Samstag im Tanzzelt geschafft hatten, wieder auf die Beine.
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Nobuntu - Foto: St. Bock
Gleich im Anschluss dann das wohl interessanteste Musikprojekt des 25. TFF: Aus der Schweiz kommt das Orchestre Tout Puissant Marcel Duchamp. Mit musealer Sanitärkeramik des „allmächtigen“ Ready-made-Künstlers Marcel Duchamp hat das aber so gut wie nichts zu tun. Es ist wohl eher die Lust am Experimentieren mit gebräuchlichen Stilrichtungen der Musik wie Jazz, Punk, alternativem Pop und New-Wave, was recht schräg anmutend mit Afrobeats und Calypso-Klängen gemixt wird. Minimalistische Konzeptkunst im besten Sinne, die trotzdem rhythmisch mitriss und für gute nachmittägliche Stimmung im Park sorgte.
http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2015/07/Orchestre-Tout-Puissant-Marcel-Duchamp.jpgOrchestre Tout Puissant Marcel Duchamp - Foto: St. Bock
Kein TFF kommt ohne die obligatorische Balkan-Brass-Kapelle aus. Auf der großen Bühne des Heineparks battelte dann gleich eine ganze Schar von coolen mazedonischen Sonnenbrillenträgern um den Titel "Gypsy-Superstar". Angeblich können sie sogar Berge zum Tanzen bringen. Das Džambo Agušhevi Orchestra hatte so auch schon den inoffiziellen, aber amtlichen Weltmeistertitel aller Balkanbläser gewonnen und brachte zumindest das Rudolstädter Tanzvolk vor der großen Bühne des Heineparks zum Hopsen. Gepflegt, aber nicht unwitzig, konnte dann noch auf der Heidecksburg zu den Klängen des Yiddish Twist Orchesters getanzt werden. Die Gruppe um den Chef Dave Bitelli am Saxofon, den Sänger Natty Bo und den recht kommunikativen Gitarristen Ben Mandelson lässt ein ganzes jüdisches Salonorchester des Swingin‘ London der 1950er Jahre inklusive der reizvoll twistenden Radio-Sisters wieder aufleben.
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Yiddish Twist Orchester - Foto: St. Bock
Man kann sicher immer nur einen kleinen Querschnitt des vielfältigen TFF-Programms Revue passieren lassen. Alles zu sehen, wird einem wohl nie gelingen. Aber auch die Hitzeschlacht zum 25. Jubiläum bleibt in guter Erinnerung. Den Schlusspunkt setzte am Sonntagabend im Heinepark der Deutsche Reggae-Musikers Patrice, der neben seinem Faible für Reggae, Soul, Funk und HipHop auch seine romantische Seite mit Herz-Schmerz-Popsongs wie "Faces (I believe in something bigger than me)" vom neuen Album The Rising of the Son zeigte und damit vor allem den TFF-Nachwuchs begeisterte. Die Erlösung mit erfrischenden Temperaturen brachte dann kurz nach dem Ende des Konzerts der lange angesagte Gewitterguss.
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Patrice - Foto: St. Bock
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Auch im nächsten Jahr wird es wieder ein TFF in Rudolstadt geben. Es findet vom 7. bis 10. Juli 2016 statt und richtet den Fokus auf die unterschiedlichen Musikstile und Traditionen aus Kolumbien und auf den Tanz Cumbia.
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Zuerst erschienen am 04.07. und 08.07.2015 auf Kultura-Extra.
25. TFF Rudolstadt
Roots Folk Weltmusik
2.-5. Juli 2015
Weitere Infos: https://tff-rudolstadt.de/de/startseite.html
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