Das weite Land

Premierenkritik Jette Steckel legt die Tragikomödie von Arthur Schnitzler auf die emotionale Psychocouch

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Das weite Land

Foto: Ezra Shaw/AFP/Getty Images

Der österreichische Dramatiker und Schriftsteller Arthur Schnitzler (1862-1931) gilt als großer Kenner der feinen Wiener Gesellschaft um die Jahrhundertwende. Schnitzler war bekannt mit Größen wie dem Maler Gustav Klimt, der Wiener Femme fatale Alma Mahler Werfel oder dem Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud. Besonders eng verbunden war er aber einem Kreis um das Ehepaar Louis Friedmann und Rose von Rosthorn-Friedmann (beide hervorragende Alpinisten), dem Arzt Georg Geyer und Jugendfreund Richard (Kuwazel) Tausenau. Ihre gemeinsamen Erlebnisse flossen in einige seiner Werke ein. Die Friedmanns aus Baden bei Wien dienten Schnitzler z.B. als Vorbild für das Ehepaar Hofreiter in seinem Theaterstück Das weite Land (UA: 1911 am Wiener Burgtheater), eine Tragikomödie um eheliche Untreue, Lügen und gesellschaftliche Konventionen einer untergehenden Epoche vor dem Ersten Weltkrieg, die Schnitzler genauestens protokollierte.

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Das weite Land: Nur eine Art von Höhenrausch. Bergfreunde Arthur Schnitzler, Richard Tausenau und Louis Friedmann um 1885. Foto: Wikipedia

Selbst kein Kind von Traurigkeit besinnt sich Schnitzler in seinen autobiografischen Erinnerungen Jugend in Wien an einen Operettenrefrain, den eine seiner jungen Liebeleien immer vor sich hin summte: „Die Lieb' erfordert Studium, und wer nur einmal liebt, bleibt dumm, dumm, dumm.“ Wirklich schlau scheint da zumindest Friedrich Hofreiter, die Hauptfigur in Schnitzlers Tragikomödie, aus seinen zahllosen Affären nicht geworden zu sein. Der Autor lässt ihn nämlich zu seiner gerade abgelegten Liebschaft Adele Natter folgendes sagen: „Mir ist eigentlich doch, als wäre alles Bisherige nur Vorstudium gewesen. Und das Leben und die Liebe fing' erst jetzt an.“ Dabei trauert der 40jährige Hofreiter in zynischer Weise zwischen zwei Amouren nur seiner bereits vergehenden Jugend nach.

Diese Jugend wird ihm dann am Ende des Stücks Aug in Aug gegenüberstehen. Der notorische Fremdgänger Hofreiter erschießt den jungen KuK Marinefähnrich Otto von Aigner bei einem Duell, da er ihn einer Affäre mit seiner Frau Genia überführt hat. So etwas war im ehemals kaiserlichen Österreich-Ungarn durchaus Usus. Schnitzler beschreibt das schon in seinem frühen Schauspiel Liebelei. Genia Hofreiter hat dagegen kaum eine Chance zur wahren Selbstbehauptung. Hofreiter nimmt ihr einerseits übel, dass sich der junge Pianist Korsakow aus unerwiderter Liebe zu ihr erschossen hat. Die Treue seiner Frau ist ihm dabei geradezu unheimlich. Anderseits fühlt er sich seiner eigenen Untreue rehabilitiert, als die verzweifelt Frau nun doch eine Liebschaft mit Otto eingeht. Dass er ihn dennoch tötet ist reine beleidigte Eitelkeit. „Man will ja nicht der Hopf sein.“

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Nun hat die Regisseurin Jette Steckel Schnitzlers Zeitstück Das Weite Land am Deutschen Theater Berlin neu inszeniert in der Annahme, es ließe sich problemlos auf heutige Berliner Verhältnisse übertragen. Schnitzler selbst wird hier ins Feld geführt, der optimistisch äußerte: „ - dieses Stück wird nicht nur bleiben - man könnte fast sagen: es wird erst kommen.“ Mit diesem Erbe plagen sich nun seit Jahrzehnten österreichische, deutsche und selbst internationale Regisseure ab. So wurde der Lette Alvis Hermanis zum 100jährigen Jubiläum an der Wiener Burg für seine düstere Film-Noir-Version ausgebuht und der Kärtner Martin Kusej langweilte wenig später das Münchner Publikum des Residenztheaters mit Rumsteh- und Kletteraktionen an steiler Felswand. Durchaus zentraler Punkt des Stücks ist nämlich der sogenannte Aignerturm in den Dolomiten. Ausdruck des menschlichen Höhenrauschs und Bild für die titelgebende weite Seelenlandschaft.

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Das weite Land von Arthur Schnitzler. Weihnachten am Deutschen Theater Berlin. Foto: St. Bock

“Das weite Land” der Seele auf dem Sofa suchend

Jette Steckel lässt sich dafür von Florian Lösche ein spätkubistisches Raumgebilde (an die Betonbalkenkirche des Wiener Bildhauers Fritz Wotruba erinnernd) aus lauter aufeinandergestapelten Ledersofas auf die Bühne stellen. Ein Couch-Berg aus über 100 Jahren Psychoanalyse, errichtet mit dem Lieblings-Accessoire der stylish deutsch-gemütlichen Mittelschicht. Und so benehmen sich die Schauspieler hier zu meist auch. Gelümmelt wird viel, aber mehr noch dient der Mont Klamott aus bequemen Sitzmöbeln auf der Drehbühne auch dem Umrunden, Hürdenlaufen und später auch paarweise Beklettern. Aus dem Wiener Schnitzler-Personal von eleganten Spielern und Lügnern werden lauter Gefühlsgestresste, „Das weite Land“ der Seele auf dem Sofa suchend.

Und wie schon in Wien und München stehen auch am Berliner DT wieder jede Menge Theaterstars auf der Bühne. Maren Eggert als Genia gibt souverän die leicht frustrierte Ehefrau, warum sie an Hofreiter festhält wird zu keiner Zeit wirklich klar. Hier hinkt der modernisierte Plot am deutlichsten. Da lassen sich solche Details wie eine Schiffspassage nach New York im Zeitalter der Billigflieger, der fehlende Wiener Duktus, Bierkasten und ein in die Ohren gestöpselter IPod der gelangweilten Hausfrau noch verschmerzen. Auch andere Stücke von Ibsen oder Strindberg atmen viel historisches Flair, aber man hat sich an einen Tesman in Jogginghosen bereits gewöhnt. Jedoch ein übergriffiger Womanizer-Hofreiter in der Art des Felix Goeser geht irgendwie gar nicht. Dass es Männer dieser Bauart gibt, keine Frage, aber so eindimensional als Arschloch zeigt ihn Schnitzler bei weitem nicht. Die Zweifel und Angst vor dem Altern nimmt man Goeser nicht wirklich ab.

Problematisch auch die Rolle des verständigen Freundes und Arztes Mauer, den Ulrich Matthes wie einen feinsinnig jovialen Moralapostel spielt. Der ehrliche Kumpel von Format ohne Glück bei den Frauen redet von Gefühlsschlampereien und lügt sich dabei vermutlich selbst in die Tasche. Das macht er allerdings gut, der Theaterarzt vom Dienst am DT. Und man fragt sich vielleicht nicht ganz zur Unrecht, ob hier nicht der Falsche in die Nebenrolle gedrängt wird. Stark auch der Gefühlsauftritt und -ausbruch von Almut Zilcher als geschiedene Schauspielerin Anna Meinhold-Aigner und Mutter des jungen Liebhabers Otto, den Ole Lagerpusch als lässigen Existentialisten in Schwarz hintänzelt.

Und Musik dazu gibt es viel und satt. Schon zu Beginn starrt das Ensemble zur Ouvertüre von Wagners Tristan und Isolde auf den Sofa-Kollos als wäre es die lichtdurchflutete Minnegrotte, der Sehnsuchtsort erfüllter, leidenschaftlicher Liebe. Ein anderes Mal singt Nick Cave „There is no need to forgive“ (We No Who U R) oder Rufus Wainwright bedeutungsschwanger vom Agnus Dei (Lamm Gottes). Jette Steckel macht da das, was sie immer macht: Große Gefühle mit Sound untermalen und dazu jede Menge Körperaktion. In Unterwäsche bekraxeln Hofreiter und seine neue Flamme Erna (auch neu am DT Anna Drexler), die er in den Dolomiten seinem Freund Mauer ausgespannt hat, die Sofaseelenlandschaft. Dabei blöken sie im Bergrausch auch mal wie auf der Alm. Denn da gibt’s ja bekanntlich keine Sünd‘. Auf der Couch nebenan turteln Otto und Genia wie einst Romeo und Julia auf dem Balkon (den es bei Jette Steckels großartiger Hamburger Shakespeare-Inszenierung nicht gab), und Hofreiter schaut kurz auf eine Fensterpromenade vorbei. Das passt zu Schnitzlers feinem Konversationsstück, das Jette Steckel textlich stark entschlackt hat, wie der Windbeutel oder Liebesknochen zur Sachertorte, und sieht dann hier auch eher aus wie Sofaseelengymnastik.

Schließlich deklamiert Bernd Stempel als belehrender Dr. von Aigner im Kurzauftritt die große Erkenntnis vom Natürlichen als das Chaos gegenüber dem verdutzten Hofreiter fast im Tonfall preußischer Ordnung. Und dabei darf man als Piefke ruhig auch mal an das zu weite Feld des alten Briest bei Fontane denken. Hier stehen sich zwei Dinosaurier der Männlichkeit gegenüber, daraus macht Jette Steckel keinen Hehl. Und so lässt sie am Ende nach dem Duell (Es muss trotz allem sein, s.o.) auch den unverbesserlichen Schwerenöter Hofreiter in Selbstmittleid jammernd unter der Couch verschwinden. Ihre moderne Schnitzler Fassung ist da aller Ehren wert. Wenn auch den plötzlichen Wandel zu begreifen etwas schwer fällt, genau wie die entscheidende Frage, warum es unbedingt der Wiener Schnitzler sein musste, wo Jette Steckel doch mit Stücken von Gorki, Sartre oder Camus schon wesentlich dringlichere Inszenierungen geglückt sind.

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Das weite Land
von Arthur Schnitzler
Regie: Jette Steckel, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Pauline Hüners, Musik: Mark Badur, Licht: Matthias Vogel, Ton: Matthias Lunow, Martin Person, Dramaturgie: Anika Steinhoff
Mit: Felix Goeser, Maren Eggert, Ulrich Matthes, Almut Zilcher, Ole Lagerpusch, Bernd Stempel, Simone von Zglinicki, Anna Drexler, Helmut Mooshammer, Katrin Klein (in der Premiere sprang Natali Seelig für die verletzte Katrin Klein ein)
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

Termine: 25. und 28.12.2014, 05., 15., 17.01.2015

Infos: www.deutschestheater.de

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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